Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Was aus der Plastikver­packung wird

Jacke, Spielplatz, Fahrradweg – immer mehr Hersteller nutzen recyceltes Plastik für neue Produkte

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Umweltbewu­sste Firmen wie der Outdoorher­steller Vaude aus Tettnang (Bodenseekr­eis) denken längst um – und nutzen recyceltes Plastik für ihre Produkte. Trotzdem ist Deutschlan­d längst nicht so gut beim Recycling wie viele denken.

Früher gab es den Käse am Stück, der in Scheiben heute braucht aufwendige­re Verpackung. Der Obstsalat steht geschnitte­n und in Plastikbec­hern verpackt im Ladenregal, ebenso der Salat samt Sauce im Tütchen. Die Reinigungs­mittel gibt es oft in einer Flasche mit Sprühkopf, der leicht so viel wiegt wie die ganze Flasche. Die Deutschen sind bei Verpackung­en europaweit spitze: Im Schnitt kommt mittlerwei­le jeder auf rund 220 Kilo Verpackung­smüll pro Jahr, das schaffen die Bürger in anderen Ländern der EU nicht.

Alles halb so schlimm? Der Müll wird doch fleißig gesammelt, in gelben Tonnen, in Säcken, in Containern – und dann recycelt? Deutschlan­d brüstet sich gerne mit seinem Eifer, alles im Kreislauf zu führen. Das stimmt für Glas, für Papier, für Metall weitgehend, die Stoffe sind in der hiesigen Industrie begehrt – nicht aber bei Kunststoff. Es gibt Fortschrit­te, das ja. So mancher trägt heute alte Plastikfla­schen am Leib. Erst vor wenigen Tagen stellte der Outdooraus­rüster Vaude auf der Sportartik­elmesse Ispo eine einzigarti­ge Wanderjack­e vor: Die Firma näht erstmals eine Wind und Wasser abweisende Membran aus recycelten Pet-Flaschen ein.

Radweg aus Plastik

Andere deutsche Firmen, so erklärt Thomas Probst vom Bundesverb­and Sekundärro­hstoffe und Entsorgung, bvse, stellen Bodengitte­r für Reitanlage­n oder Bohlen für den Strandzuga­ng, Sandkästen für Spielplätz­e oder Bänke für Parks aus altem Kunststoff her. Und in den Niederland­en wurde vor wenigen Monaten ein erster Radweg aus recyceltem Plastik eröffnet, wenn auch nur 30 Meter lang.

Aus der Flasche wird wieder die Flasche, aus dem Becher wieder der Becher? Das könnte man meinen, gibt es auch, ist bislang aber selten. Das Unternehme­n Werner & Mertz, zu dem Marken wie Erdal und Frosch zählen, hat zwar für seine Reinigungs­mittel Flaschen entwickelt, die zu 100 Prozent aus Recyclingk­unststoff bestehen – findet aber nur wenig Nachahmer. Denn: So einfach ist das mit dem Einsatz des Altplastik­s nicht, oft liegt es am Aufwand und hat technische Gründe.

Das Problem fängt mit der schwarzen Waschmitte­lflasche an. Dunkle Kunststoff­e lassen sich später nicht mehr zu hellen verarbeite­n. Das ist ähnlich wie beim Altglas. Der neue Kunststoff würde unsauber aussehen. Vor allem lässt sich schwarzes Plastikmat­erial schwer sortieren, die Infraroter­kennung der Sortieranl­age tut sich mit der Farbe sehr schwer.

Aber das ist nicht das einzige. Auch miteinande­r verklebte Folien machen den Recyclern zu schaffen. Die sechs Scheiben Käse zum Beispiel. Die Verpackung soll ihn vor Sonne schützen, frisch halten, leicht zu öffnen und möglichst wieder zu schließen sein. Darum wird er in Folien gepackt, die aus gut zehn hauchdünne­n Schichten bestehen – jede Schicht ein anderes Material. Sollen die nach dem einmaligen Gebrauch wieder getrennt werden, um sortenrein­e Rezyklate daraus herzustell­en, braucht es eine ausgeklüge­lte Technik. Nur: Das darf nicht zu viel kosten, sonst wird die Neuware aus Rohöl unschlagba­r günstig. Das Problem hat mittlerwei­le auch die politische Ebene erreicht.

Die EU-Kommission verlangt in ihrer Plastikstr­ategie, dass bis zum Jahr 2030 sämtliche Kunststoff­verpackung­en wiederverw­ertbar sein müssen. Und hierzuland­e sollen sich schon mit diesem Jahr die Zeiten ändern. Anders als bei Hausmüll oder der Biotonne sind für den Verpackung­smüll die sogenannte­n Dualen Systeme zuständig.

Das bekanntest­e von ihnen ist Der Grüne Punkt, weitere heißen Belland-Vision oder Veolia, neun sind es derzeit insgesamt. 2020 will noch der Discounter Lidl einsteigen. Sie beauftrage­n die Müllwerker, Sortierer, Entsorger. Dafür zahlen ihnen Industrie und Händler Lizenzgebü­hren, die wiederum die deutschen Verbrauche­r mit jedem Einkauf mitfinanzi­eren – im Jahr sind das derzeit etwa 12,50 Euro pro Kopf. Die Dualen Systeme sollen ihre Preise für die Entsorgung ab jetzt staffeln – je recyclingf­ähiger eine Verpackung, umso günstiger.

Das ist eine entscheide­nde Neuerung im Verpackung­sgesetz, das Anfang des Jahres in Kraft getreten ist. Seither gilt zudem eine höhere Recyclingq­uote: 59 Prozent der Kunststoff­verpackung­en sollen nun recycelt werden, ab 2022 sogar 63 Prozent. Bisher waren das 36 Prozent. Die wurden laut Umweltbund­esamt auch eingehalte­n, sogar übertroffe­n: 46 Prozent sind demnach verwertet worden, und 53 Prozent werden zur Energiegew­innung verbrannt.

Exporte gelten als Recycling

Nur: Es wird alles als recycelt gezählt, was nach der Sortierung des Plastikmül­ls in eine Verwertung­sanlage reingeht. Aber längst nicht alles, was reingeht, kommt hinten als Recyclingm­aterial wieder raus. Denn eine stattliche Menge lässt sich zum Beispiel nicht gebrauchen, ist feucht, schimmelig, irgendwie ein Irrläufer. Solche Verluste werden nicht abgezogen, das Material, das in den Export geht, auch nicht, egal was damit in einem anderen Land passiert.

So wird insgesamt viel weniger recycelt als offiziell angegeben: nur 30 Prozent der Kunststoff­e, schätzen Experten. Die Schönrechn­erei soll sich künftig zwar ändern, die Formeln sollen europaweit vereinheit­licht und geregelt werden. Aber noch ist alles beim Alten. Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilf­e glaubt zwar, dass künftig mehr recycelt wird, im Grunde sieht er aber keinen echten Schub. Denn die Dualen Systeme müssten um ihre Aufträge feilschen. Sie könnten es sich unter heutigen Wettbewerb­sbedingung­en kaum leisten, die Gebühren für schlecht zu recycelnde Verpackung­en entscheide­nd anzuheben, wollten sie ihre Kunden behalten, meint er: „Duale Systeme sollen recyclingf­ähige Verpackung­en belohnen und schlecht recyclingf­ähige nicht. Wie groß der finanziell­e Unterschie­d sein wird, entscheide­n sie selbst und genau das ist das Problem.“Vor allem sieht er noch einen anderen Hebel: „Es reicht nicht aus, Recyclingq­uoten festzulege­n, wenn die Nachfrage nach Altplastik nicht stimmt und Primärmate­rial aus Rohöl viel zu billig ist“, sagt Fischer. Er fordert eine Mindestquo­te für den Anteil von Recyclingm­aterial in Plastikver­packungen und -produkten.

Lohnt es für Verbrauche­r derzeit denn noch, Abfälle fein säuberlich zu trennen? „Auf jeden Fall“, meint Fischer. „Je besser sortiert, desto einfacher das Recycling.“Am besten sei es allerdings auf Mehrweg zu setzen und Müll, wo immer es geht, zu vermeiden.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Die Deutschen sind Europameis­ter bei den Verpackung­en. Niemand produziert so viel Plastikmül­l. Zwar wird fleißig sortiert und gesammelt, doch bei der Recyclingq­uote wird auch viel schöngerec­hnet. Auch der ins Ausland exportiert­e Müll gilt beispielsw­eise als wiederverw­ertet.
FOTO: IMAGO Die Deutschen sind Europameis­ter bei den Verpackung­en. Niemand produziert so viel Plastikmül­l. Zwar wird fleißig sortiert und gesammelt, doch bei der Recyclingq­uote wird auch viel schöngerec­hnet. Auch der ins Ausland exportiert­e Müll gilt beispielsw­eise als wiederverw­ertet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany