Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Afghanistan-Soldaten zweifeln
Gut jeder Zweite hält Bundeswehrmission für nutzlos
BERLIN (dpa/sz) - Viele in Afghanistan eingesetzte Bundeswehrsoldaten sind nach einer neuen Untersuchung nicht von der Wirksamkeit der internationalen Mission überzeugt. Etwa 27 Prozent der Befragten seien hingegen davon überzeugt, dass der Einsatz letztendlich nutzlos gewesen ist, da er zu keiner grundlegenden Verbesserung geführt habe, heißt es in einem Forschungsbericht des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. 26 Prozent stimmten dieser Aussage teilweise zu. Jedoch teile auch gut die Hälfte (52 Prozent) der Befragten die Einschätzung, dass der Einsatz einen sinnvollen Beitrag zur Hilfe für die Menschen dort geleistet habe.
Der Bericht „Leben nach Afghanistan – Die Soldaten und Veteranen der Generation Einsatz der Bundeswehr“untersucht am Beispiel des 22. Isaf-Kontingents erstmals Folgen und Wirkungen über mehrere Jahre. Die befragten Soldaten waren von März bis Oktober 2010 in Afghanistan.
BERLIN - 58 tote Bundeswehrsoldaten. Vier Milliarden Euro deutsche Aufbauhilfe. Zehn Milliarden Euro Militärkosten. Und Afghanistan lebt noch immer nicht vollständig im Frieden. „Die Lage in Afghanistan bleibt weiter schwierig“, umschrieb Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Lage kürzlich vor dem Bundestag. „Wir sind noch lange nicht am Ziel.“Knapp die Hälfte der Bundeswehrsoldaten, die im Land am Hindukusch stationiert waren, ist von dieser Bestandsaufnahme frustriert, wie eine Studie zeigt. Sie halten ihren Einsatz für nutzlos – während die andere Hälfte sich sicher ist, dass die Mission das Leben der Menschen dort verbessert hat, dass sich die Opfer gelohnt haben.
„Das darf nicht umsonst gewesen sein“, zitiert die Studie „Leben nach Afghanistan“einen befragten Bundeswehrsoldaten. Immerhin haben die 90 000 Angehörigen des deutschen Militärs, die in dem zentralasiatischen Land Dienst geleistet haben, einen hohen Preis dafür bezahlt. Der Untersuchung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr zufolge leidet ein Teil der Soldaten auch lange Zeit nach dem Auslandseinsatz immer noch unter den Folgen. Jeder Fünfte musste sich nach der Rückkehr in ärztliche Behandlung begeben – entweder wegen seelischer Probleme oder wegen einer Verletzung. Nach drei Jahren war mehr als die Hälfte von ihnen noch in Behandlung.
Traumatische Kampferfahrungen
Ein besonderes Risiko für langfristige Schäden haben vor allem jene Soldaten, die in Außenposten eingesetzt waren. Sie waren deutlich häufiger mit Gefechten und anderen Gewalterfahrungen konfrontiert. Jeder Vierte fühlt sich deswegen auch nach Jahren in seinem Alltagsleben eingeschränkt. Dies seien „drastische Zahlen, die deutlich machen, dass sich Kampfeinsätze auch noch lange nach dem Einsatz tief in das Leben von Soldaten und Veteranen eingraben können“, schreiben die Studienautoren Anja Seiffert und Julius Heß in ihrer Studie. Vor allem Soldaten aus den Lagern in Kundus und Faisabad berichten von solchen Spätfolgen. Die Arbeit in den Camps von Masari-Scharif und Kabul hinterließ bei den dortigen Bundeswehrangehörigen weniger bleibende Schäden.
Die gesundheitlichen Folgen des Einsatzes wurden bereits in mehreren anderen Studien untersucht. Neben einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung, die etwa drei bis vier Prozent der AuslandsSoldaten durchleiden – mit einer geschätzt genauso hohen Dunkelziffer – gelten andere psychische Störungen ebenfalls als Folgen des Erlebten, beispielsweise Angststörungen oder eine Alkoholabhängigkeit.
Untersucht wurden rund 1100 Soldatinnen und Soldaten, die im Jahr 2010 in Afghanistan waren. Ihre Entwicklung wurde über mehrere Jahre hinweg durch regelmäßige Befragungen begleitet. Die Studie wurde bereits 2017 erstellt, aber erst jetzt veröffentlicht.
Auch das Familienleben hat bei einem beträchtlichen Teil der eingesetzten Bundeswehrangehörigen unter der Entsendung nach Afghanistan gelitten. „Mein Leben kam mir nach dem Einsatz irgendwie anders vor. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer sein würde, wieder hier in den Alltag reinzukommen. Das ist einfach ‘ne andere Welt“, erklärt ein Betroffener. In das tägliche Leben zurückzufinden und gleichzeitig das Erlebte aufzuarbeiten, sehen viele als Herausforderung: Knapp jeder Zweite hat auch drei Jahre nach dem Einsatz noch nicht mit dem Partner oder der Partnerin über seine Erfahrungen gesprochen. Jede vierte Beziehung überstand den Auslandseinsatz erst gar nicht oder scheiterte in den drei Jahren danach.
Nur 17 Prozent für Rückzug
Trotz der privaten Folgen und Zweifeln an der Sinnhaftigkeit ihres Einsatzes: Nur ganze 17 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass die Bundeswehr umgehend aus Afghanistan abziehen sollte. Der überwiegende Teil befürchtet, dass danach die Gewalt im Land wieder um sich greifen würde.
Auch Ministerin von der Leyen will das nicht. Allerdings würde die Lage für die Bundeswehr schwierig werden, falls die USA als Rückgrat des dortigen Einsatzes ihre Truppen in den kommenden Jahren aus Afghanistan abzieht. Innerhalb von drei bis fünf Jahren soll das passieren, berichtet die „New York Times“unter Berufung auf einen Plan des US-Verteidigungsministeriums. Demnach sollen außerdem die islamistischen Taliban an einer Regierung in Kabul beteiligt werden.