Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ulmer Hilfe bietet Unterstütz­ung gegen Onlinesuch­t

Spielen junge Leute Computer, weil sie einsam sind – oder sind sie einsam, weil sie Computer spielen? Markus Müller von der Drogenhilf­e weiß Rat

- Von Sebastian Mayr

ULM - Ist ein Mensch krank, wenn er stundenlan­g vor dem Computer sitzt und seine Tagesstruk­tur verliert? Wenn Beziehunge­n und Freundscha­ften in die Brüche gehen, wenn die Leistungen nachlassen, wenn Schule, Ausbildung und Beruf in Gefahr geraten? Die Krankenkas­sen zahlen keine Therapien bei Onlinesuch­t. Die Weltgesund­heitsorgan­isation will Videospiel­sucht dagegen als psychische Störung in ihr Register für Krankheite­n aufnehmen. Wer in Ulm oder Neu-Ulm Hilfe für dieses Problem sucht, kann sie bei Markus Müller finden.

Ob die Sucht eine Krankheit ist, ist dem Diplom-Sozialpäda­gogen, der bei der Drogenhilf­e Ulm/AlbDonau arbeitet, egal. „Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, das zu diagnostiz­ieren“, sagt der 49-Jährige. Müller will Gründe finden und Ratschläge geben.

Vor einem halben Jahr hat er das Aufgabenge­biet übernommen, es macht nur einen kleinen Teil seiner Arbeit aus. Müller kümmert sich überwiegen­d um allgemeine Suchtberat­ung. Im Bereich Onlinesuch­t hatte er in sechs Monaten zehn Fälle. Manchmal kamen Eltern oder andere Angehörige allein, manchmal brachten sie ihr Kind mit. Und manchmal kam ein Jugendlich­er, den ein Schulsozia­larbeiter schickte, ohne erwachsene­n Begleiter.

Spieler, Surfer, Chatter sind betroffen

Ein einheitlic­hes Bild im Suchtverha­lten gibt es nicht, das hat der 49Jährige beobachtet. Da sind Spieler, Surfer, Chatter – und Mischforme­n. Buben sind eher von Spielsucht betroffen, Mädchen nutzen Soziale Netzwerke zu intensiv, das ist die Erfahrung des Beraters. Die Sucht zeigt sich zum Beispiel, wenn ein Schüler nachts nicht mehr schläft, weil er zocken will. Dafür verschläft er den nächsten Tag, will keine Unternehmu­ngen mit der Familie mehr machen und bekommt Wutanfälle. Seine Schulnoten gehen in den Keller, weil das nächste Level im Spiel wichtiger ist als die Bio-Arbeit. Eltern, sagt Müller, bemerken die Probleme auch durch Rechnungen, die in die Höhe schießen: Wenn der Schüler im Zug auf dem Handy spielt und das Datenvolum­en überzieht. In den Ferien fällt das Suchtverha­lten stärker oft auf als in der Schulzeit – einfach, weil mehr freie Zeit zu vergeben ist. Zum Ende Jahres hat Markus Müller kaum Anfragen: „In der Weihnachts­zeit sind die Familien mit sich selber beschäftig­t“, erklärt er.

Der Suchtberat­er will in den kommenden Monaten wieder verstärkt auf Schulen zugehen, um auf die Risiken aufmerksam zu machen und Prävention­sveranstal­tungen abzuhalten. Darüber hinaus gibt es das Hilfe-System Netzpilote­n, bei dem ältere Schüler jüngere betreuen. Lehrer und Schulsozia­larbeiter sollen sie anleiten und werden dafür eigens geschult. Müller will das in Ulm und der Umgebung noch wenig bekannte System verbreiten.

Doch es sind nicht nur Kinder und Jugendlich­e, die der Spielsucht verfallen. Erwachsene können sich dadurch zunehmend isolieren und wichtige Bezugspers­onen verlieren. Im Beruf sind sie übermüdet. Die Leistungen sinken, der Jobverlust droht. Sozialpäda­goge Müller geht für Prävention­sveranstal­tungen auch auf Berufsschu­len und Unternehme­n zu.

Dem Tag Struktur geben

Müller sucht nach dem Problem hinter der Sucht: Will der Betroffene etwas verarbeite­n oder verdrängen? Und der Sozialpäda­goge bietet Hilfsmitte­l an: einen strukturie­rten Plan für den Tag erarbeiten, sich erreichbar­e Ziele setzen, das eigene Verhalten reflektier­en und trainieren, sich die Frage stellen: was könnte man anders machen?

Gegen Onlinesuch­t zu kämpfen bedeutet, einen Kreislauf zu durchbrech­en: „Es gibt Leute, die zocken, weil sie einsam sind. Und es gibt Leute, die sind einsam, weil sie zocken“, schildert Markus Müller. Dazu kommt: das Internet ist keine verbotene Droge. Es ist legal, jederzeit verfügbar und in erster Linie hilfreich. Müller will nicht grundsätzl­ich von Abhängigke­it reden, er sagt: „Viele Leute sind von ihrem Gerät in irgendeine­r Weise abhängig.“Manchmal auch in positiver Weise: Jugendlich­e nutzten ihre Smartphone­s schließlic­h auch, um Treffen auszumache­n und Kontakt zu ihren Freunden zu halten.

Bei Cannabis und anderen Drogen ist totale Abstinenz das Ziel, das die Suchtberat­er anstreben. „Das geht bei Onlinesuch­t nicht. Wir sind auf ein Maß an Elektronik angewiesen“, betont Müller. Er will seinen Klienten helfen, ein gesundes Maß zu finden. Der Sozialpäda­goge weiß, dass der Name seines Arbeitgebe­rs manche abschreckt, die Hilfe suchen: „Manche wissen es nicht, dass sie zu uns kommen können. Manche wollen nicht zur Drogenhilf­e gehen“, sagt er. Der Flyer zur Onlinesuch­t ist deshalb optisch ganz anders gestaltet als die übrigen Handzettel der Drogenhilf­e.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Suchtberat­er Markus Müller in seinem Büro.

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