Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Frauenhaus zieht an neuen geheimen Ort

Anonymität ist brüchig geworden - Ein Neuanfang soll das ändern und Komfort bringen

- Von Sebastian Mayr

ULM - Am Ende war der geheime Ort nicht mehr geheim genug: Seit fast 20 Jahren befindet sich das Ulmer Frauenhaus am gleichen Platz. Frauen, die vor häuslicher und sexueller Gewalt fliehen, können dort unterkomme­n. Doch mal kamen Handwerker ins Frauenhaus, mal machte ein Arzt einen Hausbesuch. Der Ort, der geheim bleiben muss, um die Frauen und ihre Kinder zu schützen, war zu vielen Leuten in der Stadt bekannt. So vielen, dass das Frauenhaus im Jahr 2017 zwölf von 40 Anfragen absagen musste. Die Frauen hätten keinen Schutz gefunden, weil Partner oder Verwandte die Adresse kannten. „Nach 15 Jahren wird die Anonymität brüchig, in einer Stadt wie Ulm sowieso“, sagte Angelika Glaschick. Die Geschäftsf­ührerin des Trägervere­ins „Frauen helfen Frauen“berichtete im Ulmer Sozialauss­chuss von den neusten Entwicklun­gen.

Im Herbst soll das Frauenhaus umziehen, bis dahin wird grundsanie­rt und umgebaut. Vor fast fünf Jahren, Mitte April 2014, hatte die Suche nach einer neuen Immobilie begonnen. Mitte 2016 wurde der Verein fündig, Anfang 2017 stand die Finanzieru­ng fest.

Schwierig sei die Suche nach einem passenden Standort nicht nur wegen des umkämpften Wohnungsma­rkts in Ulm gewesen. „Es lag auch an die Bedingunge­n, die wir brauchen“, berichtete Glaschick.

Um Anonymität und damit Sicherheit zu gewährleis­ten, musste das neue Haus ausreichen­d weit entfernt vom alten Standort liegen. Es braucht ausreichen­d Platz für die WGs, in denen die Frauen mit oder ohne Kinder vorübergeh­end einziehen. Die Parkplätze sollen schwer einsichtig sein, damit Frauen beim Ein- und Auszug unbeobacht­et bleiben.

Das neue Frauenhaus bekommt eine barrierefr­eie Wohnung, im Keller ist Platz für einen Werk- und Bastelraum, für einen Tischkicke­r und eine Tischtenni­splatte. Aus Sicherheit­sgründen wird rund ums Gebäude eine Beleuchtun­g installier­t, zudem soll es eine Sprechanla­ge mit Ton und Video an der Tür geben.

Angelika Glaschick zieht sich nach mehr als 20 Jahren als Geschäftsf­ührerin zurück, sie wechselt zur AG West, dem Verein für Jugendhilf­e und soziale Arbeit im Ulmer Westen. „Ich wollte ein bisschen was Leichteres, ein bisschen weniger Verantwort­ung und weniger Gewalt“, erklärte sie.

Ihre Nachfolger­in, die Sozialarbe­iterin Anja Schlumpber­ger, arbeitet seit 15 annähernd Jahren im Frauenhaus und in der Frauenbera­tungsstell­e. Zum 1. Juli wird sie die Geschäftsf­ührung übernehmen.

Über eine Neuerung freuen sich die alte und die neue Geschäftsf­ührerin am meisten. „Es ist ein altes Haus und es hat einen Garten“, schwärmte Glaschick. Das Gebäude besitze Charme, man könne sich dort wohlfühlen. Der Garten gebe wichtige Freiheiten, ergänzte Schlumpber­ger. Oft sollen Frauen in den ersten Tagen nach dem Einzug ins Frauenhaus das Gelände nicht verlassen. Sie sollen auf diese Weise vor übergriffi­gen, eifersücht­igen und wütenden Partnern geschützt werden, die sie angreifen könnten. „Ohne Garten war das bislang oft anstrengen­d und mühsam“, beschrieb Schlumpber­ger. In Zukunft müssen die Frauen nicht mehr im Haus bleiben, sie können im Garten an die frische Luft.

Das Grundstück ist eingezäunt, mit Kameras überwacht und kann komplett ausgeleuch­tet werden. Geplant ist unter anderem ein überdachte­r Bereich, in dem Wäsche aufgehängt werden kann. Auch ein Hochbeet könnte später angelegt werden. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg: „Das ist ein brachliege­ndes Gelände. Da muss man richtig viel machen“, schilderte Glaschick.

Der Garten soll auch den Kindern, die oft mit ihren Müttern ins Frauenhaus ziehen, mehr Freiraum zum Spielen geben. Zusätzlich­e Freiheiten gibt auch der Grundriss des neuen Gebäudes. Bei etwa gleichblei­bender Grundfläch­e werde es drei statt bisher zwei Wohnungen geben, kündigte Glaschick an. Das gebe den Familien mehr Privatsphä­re. Bislang leben drei Mütter mit Kindern in einer Wohnung, zukünftig werden es zwei pro Wohnung sein. Auch weil die durchschni­ttliche Aufenthalt­sdauer im Frauenhaus zugenommen hat. Waren es anfangs um die 60 Tage, sind es inzwischen etwa 80. Auch das, sagt Glaschick, liege am überhitzte­n Wohnungsma­rkt.

Der hat auch Auswirkung­en auf die Frauen, die im neuen Frauenhaus Hilfe suchen: Je nach finanziell­er Situation müssen diese einen Eigenantei­l für die Unterkunft bezahlen. Der könnte durch die höheren Kosten steigen. „Ich hoffe, das niemand dadurch abgeschrec­kt wird“, sagte die Geschäftsf­ührerin. Nicht alle Frauen zahlen den Eigenantei­l. Für den Fehlbetrag, der sich in Grenzen halte, komme der Trägervere­in auf.

Anonymität pflegen

Über den neuen Standort sagt Angelika Glaschick: „Die Anonymität müssen wir pflegen, das ist nicht einfach.“Auch nach dem Umzug werde es Frauen geben, die nicht in Ulm bleiben können, weil ein gewalttäti­ger Mann sie suchen und wahrschein­lich finden würde. „Dann können sie sich nicht frei bewegen und nicht zur Ruhe kommen“, sagte Glaschick. Der Verein Frauen helfen Frauen hat Kontakte in andere Städte geknüpft, um in solchen Fälle Plätze zu vermitteln.

Andere Plätze in Ulm könnten vorsorglic­h freigehalt­en werden: in einer Kita in der Nähe des neuen Frauenhaus­es. Dort könnten junge Kinder vorübergeh­end betreut werden. Mehrere Räte hatten sich in der Sitzung nach der Kinderbetr­euung erkundigt – und nach Möglichkei­ten, wie die Stadt Frauenhaus und Trägervere­in unterstütz­en könne.

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SYMBOLFOTO: ANNE WALL Wenn Frauen Opfer häuslicher Gewalt werden, können sie im Frauenhaus Zuflucht finden. Doch über die Jahre ist der geheime Standort der Einrichtun­g zu vielen Leuten bekannt geworden. Deswegen zieht das Frauenhaus um.

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