Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Richter zweifelt an der Razzia in der LEA
Streit um Rechtmäßigkeit des Einsatzes in Ellwangen – Ministerium verweist auf Polizei
STUTTGART - Ein Amtsrichter aus Ellwangen zweifelt daran, ob der Polizeieinsatz in der Landeserstaufnahmestelle (LEA) Ellwangen am 3. Mai rechtmäßig war. Das geht aus Unterlagen hervor, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegen.
Im Mai waren rund 500 Polizisten in der LEA, hatten Zimmer betreten und Flüchtlinge festgenommen. Die Razzia war eine Reaktionen auf einen missglückten Abschiebeversuch wenige Tage zuvor. Dabei hatten etwa 150 Asylbewerber Polizisten daran gehindert, einen Togolesen aus der LEA abzuholen. Wenige Tage später folgte die groß angelegte Durchsuchung, der Mann wurde festgenommen und abgeschoben.
Eigentlich sollte das Amtsgericht Ellwangen am kommenden Donnerstag gegen Flüchtlinge verhandeln. Ihnen wird Widerstand gegen Polizisten vorgeworfen. Der zuständige Amtsrichter jedoch hat den Termin abgesagt. Er bittet die Staatsanwaltschaft Ellwangen, noch einmal in die Ermittlungen einzusteigen. Das bestätigte Amtsgerichtsdirektor Norbert Strecker am Montag.
Der Grund: Der Amtsrichter hat erhebliche rechtliche Bedenken, was den Polizeieinsatz angeht. Sollte dieser nicht rechtmäßig gewesen sein, wäre der Widerstand der Flüchtlinge nicht strafbar. Es geht um die Frage, ob die Zimmer in der LEA als Wohnung zu werten sind. Eine Wohnung ist streng geschützt, die Polizei darf sie in der Regel nur mit richterlicher Erlaubnis durchsuchen.
Deswegen soll die Staatsanwaltschaft klären, auf welcher Grundlage und auf wessen Weisung die Razzia erfolgte. „Wir haben das Polizeipräsidium Aalen um Stellungnahme gebeten, diese liegt noch nicht vor“, so Staatsanwalt Armin Burger. Amtsgerichtsdirektor Strecker hatte in ähnlichen Fällen im Zusammenhang mit der Razzia Flüchtlinge wegen Widerstands gegen Polizisten verurteilt. Sein Kollege hat nun eine andere Rechtsauffassung. Eine Sprecherin des Innenministeriums sieht die Verantwortung bei der Polizei: „Der Polizeieinsatz in der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen am 3. Mai 2018 wurde durch das Polizeipräsidium Aalen geplant und verantwortlich durchgeführt.“Das sei bei solchen Einsätzen üblich.
STUTTGART/KARLSRUHE - Rund 500 Polizisten sind in der Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Ellwangen im Einsatz, sie betreten Zimmer und stellen Personalien der Bewohner fest. Das geschah im Mai 2018 – und sorgte bundesweit für Aufsehen. Nun hat ein Richter erhebliche Zweifel daran, ob dieser Einsatz rechtmäßig war. Worum es geht:
Wie kam es zur der Razzia?
Am 30. April rückte die Polizei in die LEA Ellwangen aus. Die Beamten wollten einen Togolesen abholen, der Mann sollte abgeschoben werden. Sie rechneten nicht mit Widerstand. Laut Polizei versammelten sich zwischen 150 und 200 LEA-Bewohner. Sie seien aggressiv gewesen und hätten den 23-Jährigen „befreit“, heißt es in einem Bericht des Innenministeriums. Der Mann hatte schon Handschellen getragen, die Beamten nahmen sie ihm wieder ab. Sie fürchteten eine weitere Eskalation. Demnach beschädigten die aufgebrachten Menschen auch Streifenwagen. Die Polizisten rückten unverrichteter Dinge ab. Der Kameruner Alassa M., der bei der Aktion dabei war, schildert die Situation anders. Es seien höchstens 50 Flüchtlinge vor der LEA gewesen, Gewalt gegen Polizisten habe er nicht bemerkt.
Was geschah bei der Razzia?
Die Polizei informierte die Öffentlichkeit erst Tage später über die missglückte Abschiebung. Der Fall machte deutschlandweit Schlagzeilen, Innenminister Thomas Strobl (CDU) stand in der Kritik. Am 3. Mai folgte der Großeinsatz der Polizei in der LEA. Laut Innenministerium hatte die Polizei Hinweise darauf, dass sich Asylbewerber in der LEA organisierten und den Widerstand gegen die Polizei koordinierten. Darum wollte man solche Strukturen aufdecken. Außerdem sollte der Einsatz ein Signal senden. 500 Beamte durchsuchten die Zimmer. 23 Flüchtlinge leisteten laut Polizei Widerstand, zwölf Personen wurden verletzt, darunter ein Polizist – allerdings ohne Fremdeinwirkung. „Das Signal ist sehr deutlich: Der Rechtsstaat setzt sich durch, nicht der Mob“, sagte Innenminister Strobl damals.
Welche Bedenken gibt es?
Von Anfang an äußerten Flüchtlingshelfer Zweifel am Einsatz. Der Kameruner Alassa M. hat das Land deswegen verklagt. Nun teilt ein Amtsrichter aus Ellwangen die rechtlichen Bedenken. Er soll entscheiden, ob Flüchtlinge aus der LEA wegen Widerstands gegen Polizeibeamte verurteilt werden. Doch aus seiner Sicht war der Polizeieinsatz wohl rechtswidrig – womit die Beschuldigten sich nicht strafbar gemacht hätten, als sie sich wehrten. Es geht um den Artikel 13 des Grundgesetzes. Er behandelt die Unverletzlichkeit der Wohnung. Durchsuchungen dürfen nur durch Richter erlaubt werden – es sei denn, es ist Gefahr im Verzug. Doch in Ellwangen hatte die Polizei nur die Erlaubnis des Regierungspräsidiums Stuttgart, das die LEA betreibt. Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“hält der Amtsrichter das jedoch für nicht ausreichend. Eine Durchsuchung sei schon gegeben, wenn Personalien der Bewohner festgestellt würden. Auch Gefahr im Verzug sieht der Richter nicht. Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte zuletzt geurteilt, das Öffnen von Zimmern in Sammelunterkünften durch die Polizei bedürfe der richterlichen Erlaubnis.
Was sagen Polizei und Land?
Ihrer Meinung nach überlässt das Regierungspräsidium (RP) die Zimmer den Flüchtlingen, deren Wohnungen seien diese im rechtlichen Sinne nicht. Deswegen reiche die Erlaubnis des RP. Norbert Strecker, Richter und Gerichtspräsident in Ellwangen, hatte nicht dieselben Bedenken wie sein Kollege. Er hatte in ähnlichen Fällen Flüchtlinge wegen Widerstands gegen Beamte am 3. Mai verurteilt.
Was geschieht jetzt?
Der Ellwanger Richter will von der Staatsanwaltschaft, dass diese ermittelt, ob der Einsatz rechtmäßig war. Diese hat das Polizeipräsidium Aalen gebeten, sich zu äußern. Wenn diese Stellungnahme vorliegt, wird die Staatsanwaltschaft beurteilen, ob sie den Einsatz weiter für rechtmäßig hält. Dann kann der Richter sein Urteil fällen oder den Prozess gegen die Flüchtlinge einstellen. Welche Folgen das für das Land und die Polizei haben würde, ist offen. „Ich bin überzeugt, dass die rechtliche Bewertung des Amtsrichters in Ellwangen auch Einfluss auf das laufende Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart haben wird“, sagte Roland Meister, Anwalt von Alassa M. am Montag. Dort wird entschieden, ob der Einsatz tatsächlich gegen Gesetze verstoßen hat.