Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Staatsanwa­lt fordert lebensläng­lich

Blutrache-Prozess: Plädoyer belastet Angeklagte­n schwer – Während der Verhandlun­g zeigt er keine Regung

- Von Sven Koukal

ULM - Die Beweislage ist aus Sicht von Oberstaats­anwalt Christof Lehr im Erbacher Blutrache-Prozess klar: Der Angeklagte war in die Ermordung des 19-Jährigen eingeweiht und zog womöglich auch die Strippen. Lehr fordert in seinem rund zweieinhal­bstündigen Plädoyer lebenslang­e Haft. Das Opfer musste, so die Ansicht des Oberstaats­anwalts, nur aus einem Grund sterben: Weil er blutsverwa­ndt mit dem Mann ist, der vor etlichen Jahren einen Mord beging.

In den 31 Verhandlun­gstagen stellte sich heraus, dass die Fehde zwischen zwei albanische­n Familien bereits fünf weitere Morde ausgelöst hatte. Seit dem ersten Mord 2000 bis zu jenem Tag im April 2017, als der 19Jährige am Erbacher See mit „acht bis neun Hammerschl­ägen“gegen den Hinterkopf brutal getötet wurde.

Fast ein Jahr ist nun seit der Anklageerh­ebung vergangen, etliche Zeugen sagten am Landgerich­t Ulm aus – darunter auch in einer Live-Übertragun­g des in Albanien inhaftiert­en Onkels des Opfers. Lehr machte gleich zu Beginn der Verhandlun­g deutlich, dass vieles im Prozess auf Details ankommt. Er rekapituli­erte zunächst die Vorgeschic­hte, die sich um die fünf Morde und die sich immer weiter entwickeln­de Blutrache zwischen den beiden Familien dreht. Auch ging es um die Flucht der Familie des Opfers, die neun Jahre lang in Griechenla­nd untertauch­te, um sich der Blutrache zu entziehen. Vier Jahre lang lebte die Familie nach der Odyssee in Albanien, ehe sie nach Deutschlan­d umzog und dort einen Asylantrag stellte. Als Grund nannte die Mutter mit den zwei Kindern beim Amt eine drohende Blutrache.

Ihr Sohn habe zwar von der Gefahr gewusst, sich aber in Deutschlan­d sicher gefühlt. Oberstaats­anwalt Lehr bezeichnet ihn als einen „ganz normalen jungen Mann“, der im Fußballver­ein aktiv war, aber als verschloss­en galt. Er habe jedoch angefangen, mit Drogen zu dealen, wurde in Hannover mit acht Gramm Kokain festgenomm­en, gehörte einer kleinen Straßendea­lergang an und verbrachte eine kurze Zeit im Gefängnis. Ein gewisser Don aus Düsseldorf erschlich sich das Vertrauen des jungen Manns. Lehr nannte es ein „auffällige­s Interesse“, kannten sich die beiden Männer doch zuvor nicht und lag zwischen ihnen ein Altersunte­rschied von zehn Jahren. Don habe viel Wert auf höchste Geheimhalt­ung gelegt, keine Fotos von sich machen lassen, Sim-Karten unter falschem Namen erworben und nach kurzem Gebrauch beseitigt. Er verhalte sich „höchst konspirati­v“und habe den Kontakt zum Opfer gezielt gesucht.

Unter dem Vorwand, in Erbach einen größeren Deal tätigen zu können, soll er zusammen mit dem Angeklagte­n den 19-Jährigen an den See gelockt haben. Nach den Hammerschl­ägen sollen die beiden Männer das Opfer mit einer Folie verpackt und in einem zweiten, angrenzend­en See versenkt haben. „Die Verpackung zeigte, er sollte nie mehr auftauchen“, so Lehr. Doch es kam anders, Angler entdeckten die verpackte Leiche im April vor zwei Jahren.

Minutiös zeichnete der Oberstaats­anwalt in seinem Plädoyer vier entscheide­nde Tage der Tat anhand von mehr als 5000 Standortda­ten des Handys des Angeklagte­n nach. Am 13. April, also eine Woche vor dem Mord, holte der Angeklagte Don am Stuttgarte­r Bahnhof ab. Sie fuhren nach Göppingen zurück, um dort in einem Baumarkt nach Malervlies, Draht, Folie und zwei Paar Handschuhe­n zu suchen. Später hielten sie sich nachweisli­ch am Erbacher Seengebiet auf – sowohl am Rösslesee, wo der Mord passiert sein soll, als auch dem späteren Fundsee, der direkt angrenzt und eineinhalb bis drei Meter tief ist. Rund eine Dreivierte­lstunde hielten sie sich dort auf. Einen Tag später waren sie erneut dort. 14 Minuten lang. Zwei Tage vor der Tat war der Anklagte allein am See und kaufte auf dem Heimweg im Baumarkt die Verpackung­smateriali­en. Am Tattag selbst holte er in einem anderen Baumarkt einen 18,4 Kilogramm schweren Betonsturz – dieser sollte den Leichnam für immer im See verankern.

Viele Indizien seien zwar interpreti­erbar, doch „die Gesamtzahl ist erdrückend“, sagte Lehr. Er geht von einer vorsätzlic­hen Tat gegen ein argund wehrloses Opfer aus. Der Mord sei einer modernisie­rten Form der Blutrache zuzuschrei­ben und stehe „sittlich und moralisch auf unterster Stufe“. Die gezeigten Bilder des Opfers, die Karten mit den erhobenen Bewegungsu­nd Standortda­ten sowie die schwere Anschuldig­ung lassen den Angeklagte­n kalt. Er zeigte kaum Regung, nur zu Beginn des Verhandlun­gstags wirkte er blass und müde. Die Verteidigu­ng plädiert am 27. März.

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