Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wirtschaftsweiser für höhere Steuern
Achim Truger startet als Wirtschaftsweiser – Soli soll bleiben, Erbschaftssteuer kommen
BERLIN (sz) - Der neue Wirtschaftsweise Achim Truger hat sich gegen eine Abschaffung des Soli und für höhere Steuern für Gutverdienende ausgesprochen. „Der Solidaritätszuschlag sollte nicht komplett abgeschafft werden“, sagte Truger der „Schwäbischen Zeitung“. Der Staat brauche das Geld zwar „nicht mehr unbedingt für den Aufbau Ost, aber für andere Felder“.
BERLIN - Privathaushalte sollten einen Teil der Ökostromkosten zurückerhalten, die Schuldenbremse könnte gelockert werden und die Steuern für Gutverdiener steigen. Das sagte der neue Wirtschaftsweise Achim Truger im Gespräch mit Hannes Koch.
Herr Truger, Sie sitzen nun für mindestens fünf Jahre im Sachverständigenrat Wirtschaft (SVR) und beraten die Bundesregierung. Eine wichtige Frage ist gegenwärtig der Klimaschutz. Gibt es eine Lösung, ohne dass die Leute draufzahlen, die sowieso wenig verdienen?
Zurzeit wird viel diskutiert, wie sich der Ausstoß von Kohlendioxid besteuern und dadurch reduzieren lässt. Möglich erscheint, der Bevölkerung jedes Jahr zumindest einen Teil einer solchen Steuer zurückzugeben und dadurch einen positiven Verteilungseffekt zu erzielen. Das wäre Klimapolitik mit sozialer Komponente.
Wie könnte das konkret aussehen?
Die Schweiz erhebt eine Ökosteuer unter anderem auf Heizöl. Die Einwohner bezahlen diese gemäß ihres jeweiligen Verbrauchs. Bei der Rückerstattung bekommen aber alle die gleiche Summe. Leute mit niedrigen Einkommen und kleinen Wohnungen, die wenig verbrauchen, erhalten mehr zurück, als sie eingezahlt haben. Sie profitieren.
Kommt das hier bei uns zu kurz?
Bei der Umlage zur Finanzierung der erneuerbaren Energien, die in den deutschen Stromrechnungen enthalten ist, spielt es keine Rolle. Arme Haushalte entrichten dieselbe Abgabe pro Kilowattstunde wie wohlhabende. Deshalb fressen die Stromkosten einen größeren Teil ihres Budgets auf als von Haushalten mit höheren Einkommen. Direkte Rückzahlungen wie in der Schweiz gibt es jedoch bei uns nicht. Das könnten wir ändern. Ich betrachte die Volkswirtschaftslehre als Ermöglichungswissenschaft. Wir sollten wichtige gesellschaftliche Probleme ernst nehmen und nach Lösungen suchen, die sozial gerecht und wirtschaftsverträglich sind.
Der jahrelange Aufschwung, der dem Staat regelmäßig Mehreinnahmen brachte, endet möglicherweise bald. Ist es deshalb schlau, teure Sozialprogramme aufzulegen, wie die SPD sie wünscht?
Wenn ein Abschwung kommt, müssten wir eine andere Finanzierung finden. Augenblicklich verwendet die Koalition konjunkturbedingte Mehreinnahmen, um dauerhafte Ausgaben zu bezahlen. Das ist ein Problem.
Aber grundsätzlich finden Sie Vorhaben wie die Grundrente und die Abkehr von Hartz IV richtig?
Ich habe mich schon oft kritisch zur Politik der Schröder-Jahre geäußert. Ob die Hartz-Reformen spürbare positive Effekte auf den Arbeitsmarkt hatten, ist umstritten. Aber sie verursachen hohe soziale Kosten. Viele Menschen empfinden es als ungerecht, dass sie jahrzehntelang in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, dann jedoch nur kurz abgesichert sind. Unter dem Strich ist das Ergebnis von Hartz IV negativ.
Was meinen Sie mit „andere Finanzierung“– mehr Schulden?
Wer Investitionen etwa in Bildung und Infrastruktur bezahlen will, kann dafür Kredite aufnehmen. Solche Ausgaben steigern die Wirtschaftskraft in der Zukunft, so dass zukünftige Generationen über die Kreditkosten auch beteiligt werden können und sollten.
Sie wollen also die Schuldenbremse im Grundgesetz lockern?
Ja, wir brauchen mehr Spielraum für öffentliche Investitionen. Wie die aktuelle Debatte zeigt, teilt eine zunehmende Zahl von Ökonomen diese Position.
Wie aber steht es mit Schulden, um Sozialprogramme zu finanzieren?
Auch die können sehr produktiv sein. Sie sollten aber über laufende Einnahmen finanziert werden. Höhere Steuern sind dann der bessere Weg.
Welche Abgaben müssten steigen?
Da sich die Einkommen und Vermögen von armen und reichen Bevölkerungsgruppen in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend auseinanderentwickelten, wäre die geplante Abschaffung des Solidaritätszuschlages genau der falsche Schritt, weil davon die reichsten Haushalte am stärksten profitieren würden. Stattdessen sollte man den Zuschlag in die Einkommensteuer integrieren. Nach Bedarf könnte man zusätzlich auch beim Spitzensatz der Einkommenteuer ansetzen. Der könnte dann problemlos schrittweise um ein paar Prozentpunkte auf zum Beispiel 48 oder 50 Prozent angehoben werden. Und auch bei der Erbschaftsteuer besteht Handlungsbedarf. Gegenwärtig entrichten viele Unternehmer gar keine Abgaben, wenn sie Betriebsvermögen erben. Eine moderate Steuer von zehn oder 15 Prozent für Firmen verbunden mit Stundungsmöglichkeiten wäre aber völlig unschädlich ist. Das Aufkommen verdoppelte sich damit.
Mit solchen Positionen werden Sie im SVR vermutlich alleine sein – wie Ihr Vorgänger Peter Bofinger. Welchen Sinn hat es, trotzdem in dem Gremium mitzuarbeiten?
Es ist eine große Ehre, im SVR mitzuwirken. Mir ist daran gelegen, dass bestimmte Argumente, die sonst vielleicht zu kurz kämen, eine Rolle in der politischen Debatte spielen.