Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Hochgefühle beim bergab Radeln
Auf dem Fahrrad von den Drei Zinnen bis nach Venedig: Italien abseits der üblichen Routen
Eine Fahrradtour von Toblach im östlichen Südtirol nach Venedig, von 1250 Metern über dem Meer bis an die Lagune, hat nicht nur den Charme, dass es – mehr oder weniger – stets bergab geht. Die sechs Etappen führen erst durch die alpinen Dolomiten, dann in die Obstund Weinanbaugebiete Venetiens und schließlich in die Kulturstadt Norditaliens. Mehr Abwechslung geht kaum, vor allem, wenn eher unbekannte Perlen wie die Städte Feltre, Bassano del Grappa und Treviso am Weg liegen.
Schroffer Schicksalsberg
Am besten, man steigt vor dem Ortsausgang von Toblach, dem Ausgangspunkt, noch einmal kurz aus dem Sattel. Denn hinter der schmucken Backsteinfassade des ehemaligen Grandhotels erfährt man im Naturparkhaus Drei Zinnen viel über das Unesco Weltnaturerbe. Zum Beispiel, wer auf welcher Route die Drei Zinnen wann bestiegen hat – oder grandios gescheitert ist. Zehn Kilometer später ist es dann auch schon zu sehen, das spektakuläre Wahrzeichen der Dolomiten. Wie verhängnisvoll diese schroffen Felsen allerdings werden können, erfährt man kurz vor diesem Aussichtspunkt auf dem Soldatenfriedhof Nasswand. Auf dem Areal befand sich 1915 bis 1917 während des Ersten Weltkriegs der Hauptverbandsplatz der österreichischen Armee. Wer dort starb, wurde an Ort und Stelle begraben. Oft waren die Verletzungen allerdings nicht auf Schusswaffen zurückzuführen. Die meisten der 1250 begrabenen Soldaten wurden Opfer der Kälte oder von Lawinen und Abstürzen im Gelände. ANZEIGEN
Es soll nicht die einzige Station auf dieser Reise sein, die an Katastrophen, von Menschen oder Naturgewalten verschuldet, erinnert. Doch beim Halt für die erste Übernachtung nach rund 30 Kilometern kommt erst einmal der Sport in den Sinn: In Cortina d’Ampezzo fanden 1956 die Olympischen Winterspiele statt. Im Sommer mag dies eher nicht der Ort für einen längeren Urlaub sein – als Station in Richtung Süden lässt sich dort aber gut ein Abend im getäfelten und rustikalen Ristorante Il Ponte verbringen.
Während der ersten beiden Tage verläuft die Radstrecke auf der ehemaligen Trasse der Dolomitenbahn, deren Betrieb in den 1960er-Jahren eingestellt wurde. Die Radwege sind teils geteert, teils unbefestigt aber bestens präpariert, und somit zwar für Rennräder nicht immer ideal, aber machbar. Höhepunkte auf den ersten 30 Kilometern der zweiten Etappe ab Cortina d’Ampezzo sind die liebevoll renovierten kleinen Bahnhofsgebäude. In dem Bergdorf Pieve di Cadore wurde der Maler Tizian, ein Zeitgenosse Michelangelos und Raffaells, geboren. Nur ein einziges Bild Tizians gibt es allerdings in Pieve di Cadore, und zwar in der Pfarrkirche Maria Nascente. Denn der talentierte Junge verließ schon als Neunjähriger um 1500 seine Familie in Richtung Venedig.
Weiter bergab Richtung Belluno – nun nicht mehr auf der Bahntrasse, sondern auf Radwegen und Nebenstraßen – liegt Longarone: Die Stadt gelangte zu trauriger Berühmtheit durch eine gigantische Felslawine, die 1963 in den Vajont-Stausee abging und eine Überflutung auslöste. 2000 Menschen starben.
Die folgenden vier Etappenziele sind die eigentlichen Überraschungen auf dieser Tour. Denn dass das Endziel Venedig für Touristen viel zu bieten hat, ist bekannt. Aber wer weiß, dass Belluno, Feltre, Bassano del Grappa und Treviso Städte sind, die man als Italienreisender auf keinen Fall verpassen sollte?
Belluno bietet noch die Kulisse der Dolomiten. Die Piazza del Duomo ist das Zentrum mit Kathedrale und dem Palast der Rektoren. Einen berühmten Sohn kann auch diese Stadt vorweisen: Ein Foto von Albino Luciani, besser bekannt als Papst Johannes Paul I., fehlt in keinem Haus. Der als „Papst des Lächelns“bekannt gewordene Luciani war 1978 nur 33 Tage im Amt. Noch heute ranken sich Verschwörungstheorien um seinen Tod.
Die dritte Etappe bis Feltre führt 40 Kilometern lang gemütlich auf einem Radweg am Ufer des Flusses Piave entlang. Die Renaissancestadt Feltre liegt auf einem kleinen Hügel und zählt zu den schönsten Orten Ventiens. Sehenswert ist vor allem das alte Theater, die Burgruine Alboino thront über allem. Bei der vierten Etappe von Feltre nach Bassano del Grappa vollzieht sich am offensichtlichsten der Übergang von der alpinen Welt in mediterrane Gefilde. Entlang des Flusses Brenta gelangt man in das nur noch 130 Meter über dem Meer gelegene Bassano del Grappa. Die Altstadt betritt man über die Holzbrücke Ponte Vecchio, das Wahrzeichen der Stadt. Auch wenn man sich mit bestem Tresterbrand, dem Grappa, eindecken kann: Bassano del Grappa verdankt seinen Namen nicht dem Nationalgetränk, sondern dem mächtigen Monte Grappa, auf dessen Hochebene ein gewaltiges Denkmal an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs erinnert.
Unbedingt anhalten sollte man bei der fünften Etappe in Richtung Treviso im reizenden Städtchen Asolo – auch wenn eine Pause bei Kilometer 16 verfrüht erscheint. Doch wenn Franco in seiner Kneipe oberhalb des Marktplatzes fragt, ob man nicht eine Kleinigkeit essen möchte, sollte man schnell vergessen, dass das Frühstück noch nicht lange zurückliegt. Denn die gemischte Platte mit Schinken und Käse und dem selbstgemachten Spargelsenf nebst einem Krug Weißwein sollte niemand auslassen. Die 300 Höhenmeter aufwärts hat man schließlich auf dem Weg nach Asola schon hinter sich gebracht.
Bummeln in Klein-Venedig
Durch Obst- und Gemüsegärten, an Weingütern vorbei, erreicht man schließlich Treviso mit seinen zahlreichen Wasserläufen. Die Stadt wird nicht nur Klein-Venedig genannt, sie erinnert mit den vielen Plätzen und Palästen tatsächlich an die Stadt an der Lagune – nur, dass es sich gemütlicher bummeln lässt. Treviso liegt quasi schon auf Meereshöhe, was bedeutet, dass sich die letzte, die sechste Etappe mit ihren 45 Kilometern in der Ebene abspielt. Zunächst führen noch schöne Wege durch das Naturschutzgebiet Sile, die letzten 20 Kilometer vor Mestre, dem riesigen Vorort Venedigs, radelt man – wenig überraschend – durch Wohn- und Gewerbegebiete.
Und dann endlich Venedig. Fahrräder müssen draußen bleiben. Für Besucher gilt: Frühmorgens und spätabends, wenn die Touristenschwärme sich verzogen haben, kann man in der Stille des Markusplatzes tatsächlich noch erahnen, warum dies einer der meistbesuchten Orte der Welt ist.
Die Recherche wurde unterstützt vom Reiseveranstalter RadwegReisen in Konstanz.