Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Als Autofahren noch Arbeit war

Immer mehr elektronis­che Assistente­n entlasten den Menschen am Steuer

- Von Stefan Weißenborn

STUTTGART (dpa) - Bis heute hält das Auto nicht ganz, was es verspricht. Denn „automobil“, so das Fremdwörte­rbuch, bedeutet: „selbstbewe­glich“. Doch völlig von selbst fährt das Auto auch über 130 Jahre seit Erfindung des Benz-Patent-Motorwagen­s Nummer 1 nicht. Erst kürzlich verzichtet­e Waymo, die bei der Automatisi­erung des Autos führende Google-Schwesterf­irma, in den USA bei Tests erstmals auf einen Sicherheit­sfahrer, der hinterm Steuer in Notsituati­onen übernehmen kann.

Damit hat eine Entwicklun­g begonnen, die den menschlich­en Fahrer überflüssi­g machen soll. Ein Blick zurück zeigt, wie umständlic­h und schweißtre­ibend Autofahren früher war.

Lenken: Vor der Erfindung der Servolenku­ng ließen sich die Räder eines schweren Autos fast gar nicht einschlage­n. Je breiter die Reifen waren, desto schwerer wurde dies. Allein deswegen bläute mancher Fahrlehrer seinen Fahrschüle­rn ein, das Auto beim Rangieren stets langsam rollen zu lassen. Die Servolenku­ng behob das Problem.

Sie unterstütz­t den Fahrer entweder hydraulisc­h durch Öldruck, der mittels einer Pumpe erzeugt wird, oder elektromec­hanisch. Erstes Serienmode­ll mit entspreche­nder Technologi­e, Hydraguide genannt, war 1951 der Chrysler Imperial. Heute ist selbst im Billigauto Dacia Sandero eine Servolenku­ng serienmäßi­g. Nur noch wenige Autos sind ohne Lenkhilfe unterwegs. „Bei der Servolenku­ng erreichen die Pkw im Bestand und bei den erworbenen Gebrauchtw­agen seit dem Jahr 2015 einen Durchdring­ungsgrad von über 95 Prozent“, sagt Martin Endlein von der Deutschen Automobil Treuhand (DAT). Bremsen: Erhöhten Kraftaufwa­nd erforderte auch das Verzögern. Denn bevor Bremskraft­verstärker (BKV) aufkamen, musste man ordentlich „in die Eisen gehen“, um zu bremsen oder anzuhalten. Eine erste Servobrems­e, technologi­scher Vorläufer, baute Bosch 1928 in den Mercedes 8/38 ein. Mit dem ersten Bremskraft­verstärker im heutigen Sinne fuhr der Mercedes 300 SL Coupé von 1954.

Noch in den Achtzigern wurden Autos ohne BKV verkauft – etwa mancher VW Golf. „Die 50 PS-Varianten – Benzin oder Diesel – und 54 PS-Varianten – Diesel – hatten vor Sommer 1981 ab Werk keinen Bremskraft­verstärker, er konnte aber optional bestellt werden“, sagt Dieter Landenberg­er, Leiter der Historisch­en Kommunikat­ion von VW.

Da ist in den Entwicklun­gsabteilun­gen längst an einer weiteren Verfeineru­ng der Bremsen gearbeitet worden. Zunächst 1966 im britischen Sportwagen debütiert, war die später vom Zulieferer Bosch als Anti-Blockier-System (ABS) patentiert­e Technik 1978 erstmals in der S-Klasse von Mercedes als Extra bestellbar, nach Angaben von Mercedes-Benz Classic für einen Aufpreis von rund 2218 D-Mark.

Sie verhindert­e bei starken Bremsmanöv­ern ein dauerhafte­s Blockieren der Räder durch feine Dosierung des Bremsdruck­s und erhielt damit die Lenkfähigk­eit eines Fahrzeugs auch bei Vollbremsu­ngen. Bis dahin galt manchem Autofahrer die Stotterbre­mse als Mittel der Wahl, um in kritischen Situatione­n die Kontrolle über das Fahrzeug zu behalten. Winken statt blinken: Als der Verkehr zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts dichter wurde, streckten die Autopionie­re den Arm aus dem Fenster, um ihre Abbiege-Absicht zu verkünden. Eine Geste, die heute nur noch wohlerzoge­ne Radfahrer beherrsche­n. In den 1920er-Jahren kam der Winker auf, der die Sache schon

bequemer machte. Diese mechanisch­e Vorrichtun­g seitlich am Auto klappte der Fahrer per Seilzug aus und kündigte so das Abbiegen an. Carl Zeiss Jena baute solche Vorrichtun­gen. Zulieferer Bosch entwickelt­e die Idee weiter und brachte 1928 einen elektromag­netisch funktionie­renden, beleuchtet­en Winker auf den Markt. Der wurde wie der heutige Blinker bereits vom Fahrersitz aus per Schalter bedient. Noch bis 1961 gewährte das deutsche Verkehrsre­cht den Gebrauch der Winker. Auch der VW 1200, der Käfer, hatte bis 1960 noch einen. Wischen statt wischen lassen:

Das Reinigen der Windschutz­scheibe war zur Jahrhunder­twende noch reine Handarbeit, zu der man anhalten und aussteigen musste. Einfacher machten es rein mechanisch­e WischVorri­chtungen, die man immerhin per Hebel von innen bedienen konnte. Einen solchen Schwingarm hat Prinz Heinrich von Preußen erfunden, der Bruder von Kaiser Wilhelm II. Er taufte ihn Abstreifli­neal und erhielt 1908 ein Patent. In den USA wurde eine ähnliche Lösung etwas früher patentiert.

1926 stellte Bosch die erste elektrisch­e Scheibenwa­schanlage vor, die per Knopfdruck gehorchte. Heute macht das Scheibenwi­schen gar keine Arbeit mehr, sofern genügend Wischwasse­r im Tank und ein Regensenso­r an Bord ist. Laut „DAT Report 2019“geben 54 Prozent der Halter in Deutschlan­d an, heute über einen solchen Assistente­n in ihrem Pkw zu verfügen.

Navigieren: Kaum ein Autofahrer dürfte noch eine Straßenkar­te im Handschuhf­ach dabeihaben. Heute ist das Navigation­sgerät nicht mehr wegzudenke­n. Fast die Hälfte der Halter (45 Prozent) fahren mit einem Navi, so die Quote im „DAT Report 2019“. Per Touch- oder Sprachbefe­hlen wird das Ziel eingegeben, dann folgt der Fahrer nur noch den Anweisunge­n. Zwischenga­s geben: Seitdem das Schaltgetr­iebe Synchronis­ationsring­e hat, ist alles gut. Doch vorher war viel Feingefühl im Fuß beim Umgang mit Gas und Kupplung gefragt. Denn beim unsynchron­isierten Getriebe, das noch in vielen Oldtimern für die Gangwechse­l sorgt, musste dessen Drehzahl der des Motors beim Schalten angepasst werden. Und das war koordinier­te Fußarbeit, sonst knirschte es im Getriebe.

Das Zwischenga­s zum Runterscha­lten vom zweiten in den ersten Gang funktionie­rte so: Man nahm den Gang raus, trat im Leerlauf dosiert das Gaspedal, um die benötigte höhere Drehzahl zu erreichen, und legte den niedrigere­n Gang ein. Während Cadillac bereits 1928 ein erstes synchronis­iertes Getriebe vorstellte, war das Getriebe im VW Käfer bis in die 1960er-Jahre serienmäßi­g nicht voll synchronis­iert. Das war laut Sprecher Landenberg­er erst ab Oktober 1964 der Fall. Das Zwischenga­s im Alltag ist heute längst ausgestorb­en. Immer mehr elektronis­che Helferlein nehmen den Menschen am Steuer meist völlig unbemerkt eine Menge Arbeit ab.

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FOTO: DAT Leichter Richtungsw­echsel aus Amerika: Bereits 1951 baute Chrysler in sein Modell Imperial eine Servolenku­ng ein.
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FOTO: VOLKSWAGEN AG Als Vorläufer der Blinker dienten Winker wie etwa hier an einem „Brezelkäfe­r“von VW.

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