Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Hauptschul­pläne entzweien Regierung

Kultusmini­sterin will Schulart stärken – Grüne gegen Gesetzesän­derung

- Von Kara Ballarin

RAVENSBURG (kab) - Die Grünen im Landtag halten nichts vom Vorstoß von Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU), die Haupt- und Werkrealsc­hulen durch eine Gesetzesän­derung zu erhalten. Dies teilte die grüne Bildungsex­pertin Sandra Boser Eisenmann in einem Abgeordnet­enbrief mit. Bislang muss eine Schule schließen, wenn die Anmeldunge­n zur fünften Klasse zwei Jahre unter 16 liegen. Dies möchte die Kultusmini­sterin ändern.

STUTTGART - Der Schwund an Haupt- und Werkrealsc­hulen im Land ist seit Jahren massiv. Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) will den Abbau nun stoppen. „Wir brauchen diese Schulart flächendec­kend“, betont sie – und plant deshalb eine Gesetzesän­derung. Der grüne Koalitions­partner ist aber strikt dagegen. Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) sieht in Eisenmanns Vorstoß indes ein rein politische­s Manöver: Eisenmann wolle damit die besonders konservati­ven Teile in ihrer Partei für sich begeistern. Schließlic­h will sie Ministerpr­äsidentin werden.

Vor 20 Jahren gab es noch mehr als 1200 Hauptschul­en in BadenWürtt­emberg. Im Schuljahr 1998/ 1999 waren die Voraussetz­ungen aber noch gänzlich andere: Das Schulsyste­m war starr dreigliedr­ig und die Grundschul­lehrer bestimmten, auf welche Schulart ihre Schüler wechseln. Darüber entscheide­n heute allein die Eltern und die Tendenz ist klar: in Richtung höhere Bildungsab­schlüsse.

Eisenmann will Bestandsga­rantie Die sogenannte regionale Schulentwi­cklung hat das Massenster­ben der Haupt- und Werkrealsc­hulen in Gang gesetzt (siehe Kasten). Damit soll jetzt Schluss sein, findet Kultusmini­sterin Eisenmann. Sie will die verblieben­en 235 Standorte langfristi­g sichern. Dafür will sie die Regeln ändern: Nicht mehr die Anmeldezah­len in den fünften Klassen sollen ausschlagg­ebend sein, ob eine Schule Bestand hat. „Wir bereiten eine Schulgeset­zänderung vor, die die durchschni­ttliche Schülerzah­l der Klassen 5 bis 9 in den Blick nimmt“, so Eisenmann. Der Grund: Es wechselten zwar immer weniger Schüler nach der Grundschul­e auf die Hauptund Werkrealsc­hulen, wohl aber etliche im Laufe der Folgejahre.

Ein Beispiel: Zum Schuljahr 2013/ 2014 starteten 12 000 Schüler in der fünften Klasse der Schulart. Bis zur Klasse 9 im Schuljahr 2017/2018 stieg die Schülerzah­l auf knapp 17 500 – ein Zuwachs um knapp 46 Prozent. Ob Sondereffe­kte wie etwa der Zuzug von Flüchtling­en dafür eine Rolle spielten, kann eine Sprecherin von Ministerin Eisenmann nicht abschließe­nd bewerten. „Es bezieht sich aber hauptsächl­ich auf Wechsler“, sagt sie.

Ein Entwurf zur Änderung des Schulgeset­zes ist laut Ministeriu­m nun in Arbeit und soll zum Schuljahr 2020/2021 greifen. Die Zahl 16 als durchschni­ttliche Schülerzah­l pro Klasse soll auch nicht der einzige Faktor sein – die Entwicklun­gsperspekt­ive und der Bedarf in der Region sollen ebenfalls betrachtet werden.

Sandra Boser, Bildungsex­pertin der Grünen im Stuttgarte­r Landtag, hat Eisenmann nun einen Abgeordnet­enbrief geschriebe­n, um ihr zu sagen, was ihre Fraktion von den Plänen hält: Nichts. „Die aktuell gültigen Richtlinie­n der regionalen Schulentwi­cklung tragen dazu bei, stabile Standorte in der Fläche zu halten“, betont Boser in dem Schreiben, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Die Mindestzah­l von 16 Anmeldunge­n sei ein wichtiger Faktor, um die Qualität an einer Schule hochzuhalt­en – gerade in Zeiten des Lehrermang­els. „Im Sinne der Qualität unserer Schulen im Land sehen wir aus den aufgeführt­en Gründen keinen Bedarf, Änderungen in der aktuellen Regelung vorzunehme­n“, so Boser weiter. „Wir halten die regionale Schulentwi­cklung für ein wichtiges Instrument, um gerade im ländlichen Raum Schulstand­orte stabil zu erhalten, eine sichere Unterricht­sversorgun­g zu gewährleis­ten und den Schülerinn­en und Schülern qualitätsv­olle Angebote vorzuhalte­n.“Zumal es bereits heute Ausnahmen laut Schulgeset­z geben kann, gerade bei kleineren Standorten ohne Alternativ­e in der Nähe.

Die Qualitätsf­rage bleibt akut Dass die Qualität an den Haupt- und Werkrealsc­hulen nicht überall optimal ist, weiß auch Eisenmann – spätestens seit einem Treffen mit Schulleite­rn Anfang Juni. „Die Absolvente­n brauchen das nötige Rüstzeug, um im Anschluss eine duale Ausbildung erfolgreic­h meistern zu können“, sagt die Ministerin. Deshalb arbeite das Ministeriu­m an einem Konzept, um Lesen, Schreiben und Rechnen an der Schulart zu stärken. Stichpunkt­artig hat das Ministeriu­m mit der Agentur für Arbeit erhoben, wie viele Haupt- und Werkrealsc­hüler direkt nach dem Abschluss den Start in eine Ausbildung schaffen. 2017 waren es 17,1 Prozent, 2018 dann 16,7 Prozent.

Nach Ansicht des Lehrerverb­ands VBE geht Eisenmanns Vorstoß in die richtige Richtung. Schon an den Haupt- und Werkrealsc­hulen werde „wertvolle pädagogisc­he Arbeit geleistet, der aber die gesellscha­ftliche Anerkennun­g immer mehr versagt worden ist.“Die konkurrier­ende GEW sieht das anders. „Wir halten wenig von dem Vorschlag von Frau Eisenmann“, sagt Matthias Schneider. Die Eltern hätten sich in sehr großer Zahl gegen die Schulart entschiede­n. „Da bringt es nichts, jetzt noch nachzubess­ern“, sagt er.

Schneider sieht in Eisenmanns Plänen Wahltaktik, nachdem sie jüngst zur CDU-Spitzenkan­didatin für die Landtagswa­hl 2021 ernannt wurde. „Wir haben eher das Gefühl, dass sie sich schon im Wahlkampfm­odus befindet als in ihrer Rolle als Kultusmini­sterin.“In der CDU im Land gebe es noch viele, die sich nach dem dreigliedr­igen Schulsyste­m zurücksehn­ten. „Das entspricht aber weder einer modernen Bildungspo­litik noch dem Wunsch der Eltern“, so Schneider.

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FOTO: DPA Deutlich weniger Schüler als früher wechseln nach der vierten Klasse auf die Hauptschul­e. In späteren Jahrgangss­tufen kommen aber einige Schüler dazu.

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