Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Tabubruch scheint möglich
CDU diskutiert vor Wahlen im Osten über AfD-Umgang
BERLIN (sal) - Mit zunehmender Nervosität schaut man in den Berliner Parteizentralen von CDU und SPD auf die bevorstehenden Landtagswahlen im Osten. Am 1. September wählen Brandenburg und Sachsen, am 27. Oktober zieht Thüringen nach. Derzeitigen Umfragen zufolge kann sich keine der Landesregierungen so halten, wie sie ist. Die AfD könnte an den Regierungsparteien vorbeiziehen. Damit geraten völlig neue Konstellationen ins Blickfeld: von Dreier- oder Viererbündnissen bis hin zu Minderheitsregierungen und Tolerierungen.
Es gibt aber auch schon vereinzelt Stimmen in der CDU, die langfristig Koalitionen mit der AfD nicht mehr konsequent ausschließen wollen. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak erteilte solchen Überlegungen, etwa aus der CDU in Sachsen-Anhalt, eine schnelle und klare Absage und erinnerte an den Parteitagsbeschluss, der dies ausschließt.
BERLIN - Gleich drei Landtagswahlen im Osten stehen im Herbst an. Am 1. September wählen Brandenburg und Sachsen, am 27. Oktober Thüringen. In neuesten Umfragen könnte die AfD in Sachsen die CDU und in Brandenburg die SPD überholen. In deren Parteizentralen herrscht große Nervosität.
Höhere Renten, besseres Handynetz: Vor den Wahlen im Osten wollten alle Parteien nach Möglichkeit noch auf den letzten Metern Terrain gutmachen. Fest steht: Viele Bürger im Osten hadern mit den immer noch ungleichen Lebensbedingungen und kreiden dies den etablierten Parteien an.
In Brandenburg regiert seit zehn Jahren die SPD zusammen mit den Linken. Das könnte sich angesichts neuer Umfragen ändern. Infratest dimap sieht die AfD bei 21 Prozent, SPD (18) und Linke (14) hätten keine Mehrheit mehr. Die CDU (17) hätte allerdings auch nur dann eine Chance, an die Regierung zu kommen, wenn sie ihrerseits Dreierbündnisse einginge. Die Grünen liegen ebenfalls bei 17 Prozent.
Ausgelaugte Sozialdemokraten Ingo Senftleben, der brandenburgische CDU-Landes- und Fraktionschef kam vor einem Jahr bundesweit in die Schlagzeilen, weil er eine Regierungszusammenarbeit der CDU in Brandenburg mit den Linken für möglich gehalten hatte. Das fanden nicht alle in seiner Partei gut. Senftleben wurde kürzlich mit nur 73 Prozent zum Spitzenkandidaten gewählt. Sein Hauptziel ist es, die seit der Wende regierenden Sozialdemokraten abzulösen. SPDMinisterpräsident Dietmar Woidke gilt zwar als beliebt, doch seine Partei wirkt ausgelaugt und ist weit entfernt von jenen 31,9 Prozent, die sie 2014 holte, und von der Beliebtheit, die sie noch unter ihren Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und Matthias Platzeck hatte.
Dabei geht es dem Land wirtschaftlich gut. Die Arbeitslosenquote in Brandenburg liegt bei 5,7 Prozent, vor fünf Jahren waren es noch 9,4 Prozent. Doch die Unzufriedenheit ist da. Mangelnde Infrastruktur und schlechte Verkehrsanbindungen verderben manchen Brandenburgern die Laune. Und der verabredete Ausstieg aus der Braunkohle treibt in der Lausitz der AfD weitere Wählerstimmen zu.
Zeiten Biedenkopfs vorbei
Noch unübersichtlicher ist die Lage in Sachsen. Hier regiert CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer zusammen mit der SPD. Die Sozialdemokraten sind in Sachsen schwach, vor fünf Jahren waren sie gerade einmal auf 12,4 Prozent gekommen. Doch die CDU ist traditionell sehr stark, seit den Zeiten Kurt Biedenkopfs stellt sie ununterbrochen den Ministerpräsidenten, bis 2004 konnte sie sogar alleine regieren. Doch die Zeit, als sich die Sachsen mit einem väterlichen Regierungschef („König Kurt“) wohlfühlten, scheinen ebenfalls vorbei zu sein. Neuesten Umfragen zufolge liegt die CDU bei 24 Prozent – gleichauf oder sogar knapp hinter der AfD. Die CDU könnte danach weder mit der SPD noch mit den Grünen oder den Linken alleine regieren, selbst für Jamaika (mit Grünen und FDP) würde es derzeit nicht reichen.
Kein Land in Sicht
In Thüringen wird zwar erst Ende Oktober gewählt, doch auch hier sieht es nicht gut aus für die regierende rot-rot-grüne Koalition unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Der hat zwar keine großen Fehler gemacht, doch selbst dieses Dreierbündnis hätte derzeit keine Mehrheit mehr. Die CDU würde nach derzeitigen Umfragen stärkste Kraft, ihr Spitzenkandidat und Fraktionschef Mike Mohring will im Vorfeld überhaupt keine mögliche Koalition ausschließen. Er meint, dass solche Koalitionsdiskussionen derzeit nur der AfD zugutekommen könnten.
Für Grünen-Chef Robert Habeck sind die drei bevorstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland riesige Herausforderungen. „Das werden für alle demokratischen Parteien echt anstrengende Wahlen bis zur Koalitionsbildung“, sagte er diese Woche vor allem mit Blick auf die starke AfD in Sachsen bei einer Konferenz in der Dresdner Frauenkirche. „Das wird echt ein Höllenritt.“