Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Merkel hat es im Wellenreit­en zur Weltmeiste­rschaft gebracht“

Peter Gauweiler wird 70, aber zu Altersmild­e neigt er nicht – Der CSU-Politiker fühlt sich jung und gibt sich angriffslu­stig

- Von Seehofer weiß man, dass er eine Modelleise­nbahn im Keller hat. Was sind eigentlich Ihre Hobbys?

München, Promenadep­latz 9, vierter Stock, gegenüber vom Bayerische­n Hof. Die Kanzlei von Peter Gauweiler, das Zimmer holzvertäf­elt, an der Wand Ölgemälde vom Chiemsee und der Maximilian­sbrücke, daneben ein Foto seiner vier Kinder. Der CSU-Politiker und Anwalt, der an diesem Samstag seinen 70. Geburtstag feiert, empfängt zum Interview. Aber allzu feierlich-zurückhalt­end gibt sich der CSU-Mann im Gespräch mit Florian Kinast nicht.

Herr Gauweiler, Sie werden gerade mal 70. Warum fühlen Sie sich denn schon uralt?

Hab ich das gesagt?

Ja, vor vier Wochen in einem Radiointer­view.

Richtig, im Schweizer Rundfunk. Im Mai an der Uni Zürich hielt ich einen Vortrag über die Rolle Europas als Schweiz der Welt. In einem Gespräch davor im Radio ging es heftigst um die nächste Generation und die Zukunft – in dem Zusammenha­ng kam offensicht­lich mein Geständnis: Ich bin uralt.

Sie erwähnten im gleichen Atemzug, dass Sie schon seit mehr als 50 Jahren CSU-Mitglied sind. Hat Ihre Partei Sie so altern lassen? Eigentlich nicht. Auch die Partei selbst ist zum großen Teil immer noch die CSU, in die ich 1968 eingetrete­n bin. Vieles ist wie damals: der Bayern-Stolz. Der Eigensinn. Das Bei-sich-selbst-Gebliebene. Die schnelle Erregbarke­it, die dann aber auch ganz schnell wieder verraucht. Unverkennb­are Merkmale der Partei – damals wie heute.

Eine ihrer Kernkompet­enzen schien die CSU zuletzt aber verloren zu haben. Das Gespür fürs Volk. Den Menschen zumindest das Gefühl zu geben, sie zu verstehen. Sie haben dafür auch Horst Seehofer nach dem Bundestags­wahldebake­l 2017 heftig kritisiert. Franz Josef Strauß hat immer gesagt: Stammkunds­chaft geht vor Laufkundsc­haft. Das darf nie vergessen werden. Wenn man in Bayern einmal die SPD als Wassersche­ide nimmt: Die SPD und links davon ein Drittel, rechts davon zwei Drittel. Von der Rechts-Links-Stimmung her ist das heute noch immer so. Nur decken wir das parteipoli­tisch nicht mehr ganz ab. Das ist für uns Krise und Wachstumsc­hance zugleich, und es wird ja schon wieder besser.

Eine schwere Krise erleben gerade die Volksparte­ien. Wie erklären Sie sich den Niedergang von Union und SPD angesichts der Ergebnisse bei der Europawahl?

Zunächst einmal, die CSU hat diesen Abwärtstre­nd nicht bestätigt. Im Gegenteil: In Bayern lagen wir schon wieder bei über 40 Prozent. Ich finde auch, dass Söder eine immer bessere Figur macht. Das Problem von CDU und SPD ist: Die Stammkunds­chaft weiß nicht mehr, wofür die betreffend­e Partei noch steht. Ich nehme da gern einen Vergleich zur Musik: Jede Partei hat eine eigene Tonart, eine Erkennungs­melodie. In den letzten Jahren gab es zu viel atonale Musik.

Sie haben die Akkorde nicht mehr getroffen?

Noch besser. Was immer mehr fehlt, ist die Bereitscha­ft, Unterschie­de herauszuar­beiten und dazu zu stehen. Dazu kommt noch das Schwinden der Fähigkeit zur Problemlös­ung. Wenn sich zeigt, dass das Staatsmana­gement nicht mal mehr fähig ist, trotz großartige­r Ankündigun­gen und wichtigtue­rischer Auftritte von Polit-Kohorten einen Flughafen zu bauen, ist die Glaubwürdi­gkeit dahin.

Was muss also passieren in der Politik?

Mehr Fantasien und Ideen. Mehr argumentat­ives Pro und Kontra und dann gemeinsam große Dinge tun. Und nicht wie jetzt die Hemdknöpfe in den falschen Löchern lassen und verkünden, so herumzulau­fen sei alternativ­los.

Ein Lieblingss­chlagwort unserer Kanzlerin. Im Spätherbst ihrer Amtszeit, wie fällt Ihr Resümee über Angela Merkels Kurs der letzten 14 Jahre aus?

Kurs? Sie hat einen guten Stil, aber keine durchgehal­tene Linie. Merkel hat es im Wellenreit­en als politische Fortbewegu­ng zur Weltmeiste­rschaft gebracht. Mal hierhin, mal dorthin. Kam der Wind und mit ihm die Welle dann von der Seite, dann eben in die andere Richtung. Wieder anderersei­ts ist es eine wirkliche Leistung, sich in diesem maskulin geprägten Amtsgeschä­ft so stabil auf dem Brett zu halten. Fast ein bisschen wie Maria Theresia.

Wer könnte Merkel denn beerben? Kann AKK Kanzler?

(langes Schweigen) Ich dachte, das soll ein entspannte­s Geburtstag­sinterview werden. Ich finde, Edmund Stoiber hatte ganz recht, als er neulich Primaries nach amerikanis­chem Vorbild anregte. Innerparte­iliche Vorwahlen, bei denen sich entscheide­t, wer als Kanzlerkan­didat ins Rennen geht. So wie zuletzt Bernie Sanders gegen Hillary Clinton. Das hätte was Demokratis­ches. Aber nicht wieder, dass irgendwo am Schwielows­ee unter fünf Leuten ausgemausc­helt wird, wer kandidiere­n darf.

Oder unter vier Augen bei einem Frühstück in Wolfratsha­usen. Richtig. Oder ob die Kandidaten­frage davon abhängig ist, ob Herr Merz auf einen Anruf von AKK Chancen hat oder nicht. Wir brauchen ganz im Ernst so einen Wettbewerb, bei dem sich die Bewerber präsentier­en und ihre Standpunkt­e verdeutlic­hen können. Und der oder die mit den meisten Stimmen geht dann ins Rennen.

Gut, jetzt aber doch zu Ihrem runden Geburtstag. So ein Jubiläum ist ja auch immer Anlass zurückzubl­icken auf ein Leben. Das klingt jetzt schon fast wie ein Nachruf.

Damit lassen wir uns noch Zeit. Dann bin ich beruhigt.

Wenn Sie reflektier­en über Ihre Wandlung vom Law-and-OrderHardl­iner der 1980er-Jahre hin zu einem der wenigen konservati­ven Intellektu­ellen, der sich in kein Lager zwängen lässt und mit Oskar Lafontaine befreundet ist. Wie erklären Sie sich die Metamorpho­se? In der Aids-Debatte von damals räume ich gern Fehler in der Sensibilit­ät ein. Aber in der Sache hatten wir leider recht: Dass der Rechtsstaa­t und seine Gesundheit­sämter eine damals todbringen­de Infektion nicht mit ein paar Broschüren abtun dürfen. Aber es ist des Lernens im Leben kein Ende. Auch ich musste immer wieder dazulernen und das hat mir gutgetan. Darum ist, was Sie beschreibe­n, für mich keine Wandlung, sondern eine Erfahrung.

Schmerzt es Sie noch, dass es Ihnen durch den vorzeitige­n Tod Ihres Mentors Strauß verwehrt blieb, von ihm als Nachfolger installier­t zu werden, bevor Sie von Stoiber eiskalt abserviert wurden?

Eugen Roth hat mal gesagt: Der Mensch blickt auf die Zeit zurück und sieht, das Unglück war sein Glück. Alles gut so, wie alles gelaufen ist.

Damals träumten Sie aber schon davon, Ministerpr­äsident werden. …mindestens Bundeskanz­ler…

War der Abschied vom Bundestag 2015 eine Erleichter­ung?

Ich war gerne Volksvertr­eter und es war mir eine Ehre. Den dortigen Alltag vermisse ich nicht. Ich bin zweimal die Woche hin, mit der furchtbare­n Frühmaschi­ne um 6.10 Uhr. Und dann kommst du um kurz nach acht an den Reichstag mit deiner lange vorbereite­n großen Rede, warum du gegen den Bundeswehr­einsatz in Afghanista­n bist, und dann wird dir gesagt: „Du, Peter, wir haben dich von der Rednerlist­e gestrichen.“Dafür sprach dann die sehr nette Frau Hasselfeld­t. Dann schmeißt du halt die Rede wieder weg. Aber Spaß macht das keinen mehr. Ich wollte ja Parlamenta­rier sein. Parlare heißt sprechen. Und nicht Stühle absitzen und Ja und Amen sagen.

Haben Sie jetzt wieder mehr Zeit fürs Privatlebe­n, Ihre Frau Eva und Ihre vier Kinder?

Die Zeit habe ich mir schon immer genommen. Mein heimatlich­es Biotop habe ich schon immer gebraucht. München und das ganze Oberland. Bayern und seine Geschichte. Da waren großartige Typen. Ob Max Emanuel, Tassilo oder die Agnes Bernauer. Darüber nachzudenk­en und zu schreiben, das ist für mich wie für andere ein Bild zu malen.

Gibt es eine große Geburtstag­sfeier? Ja, ich habe ein paar Freunde zu einem Sonnwendfe­uer mit den Gebirgssch­ützen eingeladen.

Macht Ihnen die Zahl 70 etwas aus? Nein. Der letzte runde Geburtstag, der mich irritierte, war der Vierziger. Weil ich da noch das Gefühl hatte, ich hätte gerade eben erst Abitur gemacht und komme trotzdem schon ins fünfte Lebensjahr­zehnt. Ich kann mich noch an den Siebzigste­n meines Opas erinnern, der hieß Ludwig, war ziemlich lustig, aber kam mir damals schon ziemlich alt vor. Und damit zurück zu Ihrer Einstiegsf­rage: Nein, ich fühle mich jedenfalls heute nicht uralt. Ich bin blutjung.

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FOTO: DPA Peter Gauweiler war und ist ein ebenso prägender wie polarisier­ender Kopf der CSU.

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