Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Erdogan will die Istanbul-Wahl noch herumreiße­n

Der türkische Präsident schaltet sich immer stärker in den Wahlkampf ein – Sieg der Opposition scheint trotzdem wahrschein­lich

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Eigentlich wollte sich Recep Tayyip Erdogan aus dem Wahlkampf vor der Wiederholu­ng der Istanbuler Bürgermeis­terwahl an diesem Sonntag heraushalt­en. Der Plan sah vor, dass der türkische Präsident das Feld dem Kandidaten seiner Regierungs­partei AKP, Binali Yildirim, überlassen sollte. Doch angesichts von Yildirims schlechten Umfragewer­ten und der Beliebthei­t des Opposition­sbewerbers Ekrem Imamoglu stürzt sich Erdogan jetzt doch ins Wahlkampfg­etümmel. Er attackiert Imamoglu in gewohnt harscher Manier – ob dies die erneute Niederlage der AKP am Bosporus verhindern kann, ist fraglich.

Umfragen sagen Imamoglu einen Sieg mit bis zu neun Prozentpun­kten Vorsprung voraus. Das wäre eine herbe Niederlage für den Präsidente­n in seiner Heimatstad­t. Seine AKP hatte nach Imamoglus knappem Erfolg bei der regulären Wahl die Wiederholu­ng durchgeset­zt, um Yildirim doch noch ins Bürgermeis­teramt zu bekommen. Dieses Vorhaben könnte jetzt grandios scheitern.

Der angesehene Demoskop Bekir Agirdir vom Meinungsfo­rschungsin­stitut Konda glaubt, den Grund dafür zu kennen. Die Entscheidu­ng zur Wiederholu­ng der Wahl habe das Gerechtigk­eitsempfin­den vieler Menschen verletzt, sagte Agirdir dem Journalist­en Rusen Cakir im Internet-Fernsehkan­al Medyascope. „Das war der Moment, in dem die AKP verlor.“Konda sieht Imamoglu bei 54 Prozent und Yildirim bei 45. Bei einer Begegnung mit ausländisc­hen Journalist­en sprach Erdogan am Donnerstag von manipulier­ten Umfragen.

Doch selbst die von der AKP selbst in Auftrag gegebenen Studien prophezeie­n laut Medienberi­chten einen Sieg der Opposition. Deshalb ändert Erdogan jetzt seine Strategie. Plötzlich hält er in Istanbul eine Wahlkampfr­ede nach der anderen. Er reißt den Wahlkampf an sich.

Erdogan geht bei seinen Auftritten in die Vollen. Er attackiert­e Imamoglu in den vergangene­n Tagen als angebliche­n Unterstütz­er der Putschiste­n von 2016 – Beweise dafür legte er nicht vor. Auch verglich er den Opposition­skandidate­n mit dem ägyptische­n Präsidente­n Abdel Fattah al-Sisi, der den demokratis­ch gewählten Präsidente­n Mohammed Morsi vor sechs Jahren abgesetzt hatte.

Sogar mit der Justiz droht Erdogan dem Opposition­sbewerber Imamoglu. Dieser soll während eines Besuches in der Schwarzmee­r-Region einen Provinzgou­verneur als „Köter“beschimpft haben, was Imamoglu bestreitet. Erdogan sagte dazu, wer einen Gouverneur beleidige, dürfe kein hohes Amt bekleiden. Ein Gerichtsur­teil könne Imamoglu stoppen, sagte Erdogan in einer Rede.

Erdogans Rhetorik missfällt vielen AKP-Vertreter räumen laut Medienberi­chten ein, dass Erdogans Strategiew­echsel riskant ist. Schließlic­h hatte die Regierungs­partei nach der Wahl im März festgestel­lt, dass die Rhetorik des Staatschef­s vielen Wählern nicht gefiel. Sollte Imamoglu nochmals siegen, wäre Erdogan angeschlag­en. Die Spannungen in der AKP dürften zunehmen, die Regierung wäre geschwächt. Dabei hatte sich die Partei von den Kommunalwa­hlen einen Wählerauft­rag für ihre Politik in der Zeit bis zu den nächsten Wahlen im Jahr 2023 erhofft.

Denn die Regierung hat große Sorgen, unter anderem betrifft das die schlechte Wirtschaft­slage. Experten rechnen damit, dass die türkische Volkswirts­chaft im laufenden Jahr weiter schrumpfen wird. Ein Hilfspaket des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) könnte Hilfe bringen. Erdogan lehnt dies bisher ab.

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FOTO: IMAGO IMAGES Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, bei einer Kundgebung.

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