Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Manfred Weber steht vor dem Aus
Am Donnerstagmorgen gaben die Chefs von Sozialdemokraten und Liberalen im europäischen Parlament, ohne deren Stimmen keine proeuropäische Mehrheit mehr möglich ist, den Ton vor. Sie werde Manfred Weber nicht unterstützen, sagte die gerade gewählte sozialistische Fraktionsvorsitzende, die Spanierin Iratxe Garcia, dem konservativen Spitzenkandidaten ins Gesicht. Etwas diplomatischer äußerte sich Dacian Ciolos, der den Belgier Guy Verhofstadt als Fraktionschef der Liberalen beerbt hat. Es gebe derzeit keine Parlamentsmehrheit für Weber, erklärte er nach dem Treffen mit dem CSU-Mann.
Kein Wunder also, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Ende der Nachtsitzung mit seinen Ratskollegen ausgesprochen guter
Laune war. Angesprochen auf das „Scheitern“des Treffens, sagte er kurz vor drei Uhr morgens: „Für mich war es kein Scheitern. Es ist ja im Lauf des Tages sehr deutlich geworden, dass es im Europäischen Parlament für keinen der drei Spitzenkandidaten eine Mehrheit gibt. Mich erstaunt das nicht. Wir müssen nun in den kommenden Tagen ein ausgewogenes Paket schnüren – zwischen den politischen Kräften, zwischen Männern und Frauen, aber auch geografisch.“
Als „obsessiv“bezeichnete Macron das Festhalten von Konservativen und Sozialisten am Spitzenkandidatenmodell. „Das entspricht nicht der europäischen Demokratie“, sagte er in herablassendem Ton. „Die Verträge sind da glasklar. Die Regierungschefs schlagen einen Kandidaten vor und berücksichtigen dabei den Ausgang der Europawahl. Solange es keine länderübergreifenden Listen gibt, macht das Konzept Spitzenkandidaten überhaupt keinen Sinn.“Er selbst sei nicht auf Parteipolitik fixiert. Es müsse jemand Kommissionspräsident werden, der das Projekt Europa vorantreibe.
Zehn Tage Zeit
Ähnlich äußerte sich in den frühen Morgenstunden des Freitags die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU). In ihrer typisch vorsichtigen Diktion erinnerte sie daran, im Wahlkampf 2014 kein Fan des Spitzenkandidatenmodells gewesen zu sein. Außerdem habe das Wahlergebnis dazu geführt, dass nun mehr als zwei Parteien gebraucht würden, um eine Parlamentsmehrheit zu sichern. Eins aber betonte sie energisch: „Wir wollen auf gar keinen Fall eine Krise mit dem Parlament, wo unser Personalvorschlag nicht akzeptiert wird. Das wäre nicht gut für die Arbeit der EU in den nächsten fünf Jahren.“Ratspräsident Donald Tusk hat nun gerade einmal zehn Tage Zeit, ein für alle Seiten befriedigendes Personalpaket zu schnüren. Es dürfte seine letzte große Aufgabe werden. Im Herbst muss auch er seinen Stuhl räumen.
Als er in der Nacht gefragt wurde, ob ihm das Amt des Kommissionspräsidenten angetragen worden sei, antwortete er mit einem kurz angebundenen „Nein“. „Zum Glück nicht“, ergänzte scherzhaft Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der sich in den vergangenen fünf Jahren oft mit Tusk um Kompetenzen kabbelte. Tusks Miene war anzusehen, dass er die Blödelei keineswegs amüsant fand. Junckers Versuche, den Seitenhieb durch eine freundschaftliche Umarmung abzumildern, wurden von dem Polen brüsk abgewehrt. Sogar das Scherzen ist kompliziert geworden in Europa.