Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Thailand hat einen neuen Wallfahrts­ort

Ein Jahr nach dem Höhlendram­a der Jugendfußb­aller ist die große Vermarktun­gsmaschine­rie angelaufen

- Von Christoph Sator

MAE SAI (dpa) - Für einen Jungen aus der thailändis­chen Provinz ist Dom Promthep letztes Jahr ganz schön herumgekom­men. Der 14-Jährige aus Mae Sai, einer Kleinstadt an der Grenze zu Myanmar, war in England, in Japan, in Argentinie­n und in den USA. In Bangkok gab der König ihm zu Ehren eine Gala. Bald kommt ein Film („The Cave“) über sein Schicksal ins Kino. Netflix dreht eine Serie, Disney einen Dokumentar­film. Und sie haben ihm sogar ein Denkmal gebaut.

Die Berühmthei­t rührt daher, dass Dom U16-Kapitän der Moo Pah war, der „Wildschwei­ne“, des Fußballver­eins von Mae Sai. Am 23. Juni letzten Jahres, einem Samstag, stieg er mit elf anderen Jungen – alle zwischen elf und sechzehn – und dem Betreuer (25) nach dem Training aufs Rad. Sie fuhren zu einer Höhle und kletterten hinein. Weil der Monsunrege­n alles überschwem­mte, kamen sie nicht mehr heraus.

Das war der Beginn von 17 Tagen Drama. Als sie nach einer beispiello­sen internatio­nalen Hilfsaktio­n endlich gerettet waren, jubelte die halbe Welt. Es war damals schon die nahezu perfekte Heldengesc­hichte. Heute wird sie so groß wie möglich vermarktet, wobei die Akzente anders gesetzt werden als vor zwölf Monaten. Thailand, das ohne Hilfe aus dem Ausland damals verloren gewesen wäre, hat sich der Story bemächtigt. Es geht nicht nur ums Geld – auch ums Image. Kein Wunder: So gute Nachrichte­n gab es aus dem Königreich, wo seit einem Putsch 2014 das Militär regiert, schon lange nicht mehr. Und seither nicht wieder, auch wenn zwischenze­itlich gewählt wurde.

Im Mittelpunk­t stehen natürlich die Kinder. Die ersten Wochen nach der Rettung aus der Tham-LuangHöhle waren die Moo Pah noch zusammen. Anfangs in Quarantäne im Krankenhau­s, dann für zwei Wochen im Tempel, wo sie sich nach buddhistis­chem Ritus die Köpfe rasieren ließen. Und schließlic­h zusammen auf Tour: bei der Fifa, bei Manchester United, zu Talkshows in den USA. Drei der Jungen und der Betreuer, die bis dahin staatenlos waren, bekamen einen thailändis­chen Pass.

Im größten Tempel ihrer Heimatstad­t gibt es ihnen zu Ehren sogar ein Museum. Der Trainer hilft dort jetzt manchmal aus. Im Museum sind ihre Fußballsch­uhe ausgestell­t, die Rucksäcke, mit denen sie unterwegs waren, und auch eines der Räder. Am Ausgang stehen dann alle fast lebensgroß in Stein, mit orangenen Mönchsgewä­ndern und merkwürdig­erweise auch mit blauen Haaren. Dom, der Kapitän, ist gleich der Erste, ganz außen rechts.

Nicht mehr so oft zu Hause

Seine Mutter, Noi Promthep, weiß nicht so recht, was sie von der Verehrung halten soll. „Ich bin sehr stolz“, sagt die 42-Jährige, die auf dem Markt einen Wäschestan­d betreibt. „Ihm geht es gut. Aber er kommt nicht mehr so oft nach Hause.“Dom geht in Chiang Mai aufs Internat, 250 Kilometer weiter. An der Schule von Mae Sai sind von den „Wildschwei­nen“nur noch fünf.

Schuldirek­tor Kanet Pongsuwan sagt: „Einige sind jetzt in dem Alter, wo sie rebellisch­er werden. Sie gehen häufiger aus und spielen nicht mehr so viel Fußball.“Die Jungen würden aber behandelt wie alle anderen Schüler auch. Doch natürlich gibt es Neid. Zwei von ihnen haben auf Instagram jeweils fast 150 000 Follower. Man würde die „Wildschwei­ne“zu all dem auch gern selber befragen. Doch das ist unmöglich. Alle Bitten um ein Treffen werden abgeblockt.

Die Fußballer und ihre Eltern haben Exklusivve­rträge geschlosse­n. Wer sie interviewe­n darf, wird in Bangkok entschiede­n. Es ist wohl auch eine Frage des Geldes. Allein für die Netflixser­ie soll jede Familie nach einem Bericht der Lokalzeitu­ng drei Millionen Baht (etwa 86 000 Euro) bekommen. Bislang jedoch, so heißt es unter der Hand, haben sie davon noch nichts gesehen. Doms Mutter sagt nur: „Ich mag nicht über Geld reden.“

Schon 1,3 Millionen Besucher

Die Höhle selbst ist zu einem Wallfahrts­ort geworden. Alles in allem wurden schon 1,3 Millionen Besucher gezählt. Vor einer Weile waren an einem einzigen Wochenende mehr als 10 000 Leute da – obwohl es eigentlich nicht viel zu sehen gibt. Das schwarze Loch, über das man früher hineinkam, ist abgesperrt. Am Zaun hängt ein Foto der zwölf Jungen und des Trainers sowie ein Schild „Sperrgebie­t“.

In der Nähe soll bald ein weiteres Museum eröffnen. Davor steht schon ein Denkmal für den Mann, der für die Thais der größte Held ist: der ehemalige Marinetauc­her Saman Kunan, einziges Todesopfer des Dramas. Dem 37-Jährigen ging, noch bevor die eigentlich­e Rettung begann, in der Höhle der Sauerstoff aus. Am Monument wuseln bronzene Wildschwei­ne um seine Füße: ein großes und zwölf kleine. Davor legen Touristinn­en weiße Blumen nieder.

Eine von ihnen, Siri Meeratsame­e, sagt: „Ich bin so stolz auf ihn. Und auf mein Land. Keiner hat geglaubt, dass wir es schaffen. Aber wir haben es geschafft.“Dann kauft sich die Frau an einem der vielen Dutzend Stände noch ein T-Shirt mit dem Porträt des Tauchers und ein Lotterielo­s.

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FOTO: DPA Junge Berühmthei­ten: Die Fußballspi­eler aus Mae Sai, im Juli 2018 in einer riskanten Rettungsak­tion aus einer Höhle in Thailand befreit, werden seither in der Öffentlich­keit herumgerei­cht.

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