Schwäbische Zeitung (Laupheim)

55 279 Kilometer rund um den Globus

Postkarten aus aller Welt lassen die Senioren des „Hospitals zum Heiligen Geist" in Erinnerung­en schwelgen

- Von Anke Kumbier

LAUPHEIM - Die Senioren des „Hospital zum Heiligen Geist“in Laupheim sind einmal um die Welt gereist – und noch weiter. Zumindest auf dem Papier. Kurz vor Ostern rief Heimleiter­in Stefanie Müller auf Facebook die reiselusti­gen Laupheimer dazu auf, Postkarten mit Grüßen von ihren Urlaubszie­len an das Seniorenze­ntrum zu schicken. Bis zum Ende der Pfingstfer­ien sind 39 Karten von Orten rund um den Globus eingetroff­en. Die am weitesten entfernten Ziele: Thailand und Vietnam.

In Gedanken haben die Senioren damit bereits 55 279 Kilometer zurückgele­gt. Erinnerung­en an eigene Urlaube wurden wach. „Das ist wunderschö­n, eine super Idee“, betont Marlis Hermann, Bewohnerin des Seniorenze­ntrums. Sie sitzt mit drei Senioren und Betreuungs­assistenti­n Sonja Braig im blauen Raum, im dritten Stock des Heims. Auf zusammenge­schobenen Tischen sind die Postkarten ausgebreit­et.

Ein 86-jähriger Bewohner nimmt eine Grußkarte aus San Francisco in die Hand. „Da war ich auch schon.“Es wird deutlich: Die Senioren haben in ihrem Leben ebenfalls einige tausend Reisekilom­eter zurückgele­gt. Ein wichtiges Ziel der USAReise im Jahr 2006 waren für den 86Jährigen die Südstaaten, wegen Martin Luther King und Elvis Presley. „Es hat mich interessie­rt, wie die Kerle aufgewachs­en sind“, betont er in schönstem Schwäbisch. Hedwig Richter unternahm Kreuzfahrt­en und erzählt begeistert von einer Korbschlit­tenfahrt auf Madeira. Gleich darauf nennt sie ein noch weiter entferntes Ziel: „1990 bin ich nach China gereist.“Aus dem Land der Mitte brachte sie ein Kleid aus echter Seide und einige Brocken chinesisch mit. „Die Frau meines Nachbarn konnte ich auf Chinesisch begrüßen. Das hat sie riesig gefreut.“Nach China wäre er ja gerne gereist, wirft der 86-jährige Bewohner ein. „Dann hätte ich auf der Chinesisch­en Mauer einen Handstand gemacht.“

Die großen, weiten Reisen haben die Senioren erst später in ihrem Leben unternomme­n. Thea Guggenmose­r erhielt zu ihrem 60. Geburtstag eine Auslandsre­ise auf die Kanarische Insel La Palma. „Meine Familie hatte alles heimlich arrangiert.“Später steuerte sie noch Ziele in der Türkei und Tunesien, aber auch an der Nordund Ostsee an.

Marlis Hermann erinnert sich an wunderbare Kindheitst­age in Mellau, im Bregenzerw­ald. Von 1965 bis Ende der 70er-Jahre sei sie mit ihrer Familie jedes Jahr dorthin gefahren. „Anfangs brachte uns ein Bekannter in seinem Auto. Wir hatten selbst noch keines.“Die Familie, bei denen die Reisenden aus Deutschlan­d untergebra­cht waren, hatte ebenfalls Kinder. Gemeinsam erlebten sie aufregende Abenteuer und heckten Streiche aus. „Wir durften zu den Tieren in den Stall und in den Heustadel.“Was die Kinder nicht durften und trotzdem taten: Die Hühner betrunken und bewegungsu­nfähig machen und der Bäuerin vors Haus legen. Zu Schaden seien die Tiere nicht gekommen. „Ich habe dort auch Geige gelernt“, fährt Hermann mit einem Schmunzeln fort. Allerdings bei den Nachbarn und auf einer Violine, deren Klangkörpe­r das gesamte Bauernhaus umfasste. „Wir haben von der Dachrinne einen Faden gespannt und fuhren mit einem nassen Lappen daran entlang. Das klang durch alle Stuben.“

Eine wichtige Eigenschaf­t der jungen Musiker: Schnell rennen zu können, um wütenden Nachbarn zu entkommen. Später sei es dann auch mal nach Spanien gegangen. „Wir haben viele Städtereis­en gemacht.“Nach Salzburg, Straßburg – „da war das Bier so teuer“– oder Wien.

Je länger die Senioren zusammensi­tzen, desto mehr Erinnerung­en kommen auf. „Mein schönstes Ziel war Moskau“, hebt der 86-jährige Bewohner hervor. Besonders beeindruck­t habe ihn der Kreml. „Und das Denkmal von Juri Gagarin war wunderbar.“Der 86-Jährige erzählt von Reisen nach Südafrika – eine Tante von ihm lebte dort im Kloster –, Irland und Schottland. Die Tierwelt habe ihn begeistert, ebenso die großen Flüsse, die Wolga in Russland und der Mississipp­i in den USA. Er habe auf seinen Fahrten in die Ferne allerdings auch viel Elend gesehen. „Man darf nicht nur das Schöne angucken.“In einem sind sich die vier Senioren trotzdem einig: „Die Welt ist wunderbar. Reist, solange es geht. Es kann manchmal ganz schnell vorbei sein“, sagt Thea Guggenmose­r, die anderen nicken.

Lustige Urlaubsgrü­ße

Es müsse nicht immer die Ferne sein. Auch in Deutschlan­d gebe es schöne Reiseziele – vor allem beim Bodensee und der Pfalz geraten die Senioren ins Schwärmen. Viele der Postkarten stammen aus Deutschlan­d. Auf den meisten stehen Grüße an das Seniorenze­ntrum. Zwei junge Männer haben einen Brief mit eigenen Fotos gestaltet. Andere Reisende berichten von ihrem Urlaubsort: „Hier sind überall Kaninchen.“Senioren eines Betreuten Wohnens in der Lausitz scheinen von der Aktion Wind bekommen zu haben und schickten Grüße von ihrem Ausflug nach Stralsund. Beim Sommerfest des Laupheimer Seniorenze­ntrums am 22. Juli, das voraussich­tlich unter dem Motto „Mit der Rikscha um die Welt“steht, sollen die Karten ausgehängt werden. Die Weltreise der Senioren geht also noch weiter.

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FOTO: ANKE KUMBIER Die Senioren stöbern durch die Karten und entdecken dabei immer wieder Neues: ferne Reiseziele, lustige Grüße und Orte, mit denen sie selbst Erinnerung­en verknüpfen.
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FOTO: ANKE KUMBIER Ein buntes Sammelsuri­um ist zusammen gekommen.

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