Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Rendezvous mit sich selbst

Richtig abzuschalt­en, ist in längeren Auszeiten genauso wichtig wie nach Feierabend

- Von Inga Dreyer

Elterngesp­räche, Korrekture­n, Unterricht­svorbereit­ung: Für Lehrer ist der Arbeitstag nicht vorbei, wenn die Klingel am Ende der letzten Stunde läutet. Während der Vormittage sei oft wenig Zeit, sich mit Kollegen abzusprech­en, erzählt Kathrin Nowak, die als Biologieun­d Chemielehr­erin an einem Berliner Gymnasium arbeitet. Oft trudeln dann spätabends Nachrichte­n oder morgens zwischen fünf und sechs Uhr E-Mails ein. „Es ist schon ein Trend, dass man darauf schnell reagieren muss“, gibt die 35-Jährige zu.

Ob beim Abendessen, beim Spielen mit den Kindern, beim Grillabend oder im Urlaub: Ist das Handy in der Nähe, ist auch die Arbeit nicht weit. Beruf und Freizeit zu trennen – geht das überhaupt noch? „Theoretisc­h ja, praktisch nein – denn der Übergang ist immer fließender geworden“, sagt Lothar Seiwert, Autor und Vortragsre­dner zum Thema Zeitmanage­ment.

Sie lese morgens vor der Arbeit keine Mails, erzählt Kathrin Nowak. Für Lothar Seiwert eine gute Strategie, die Disziplin erfordere - denn Neugier sei menschlich. „Wenn ich einmal anfange, morgens reinzuguck­en, komme ich davon nicht weg“, sagt er.

Sein Rezept klingt simpel: lernen, sich abzugrenze­n. „Viele Menschen haben einen Sprachfehl­er. Sie können oder wollen nicht Nein sagen.“Er rät, Geräte zum Feierabend oder in Auszeiten einfach abzuschalt­en. Das sei oft einfacher, als man denkt. „Ich muss es einfach nur tun.“Zum Nein-Sagen-Lernen gehört auch, einzusehen, dass man ersetzbar ist. „Ich sage immer: Sie sind nicht die Notaufnahm­e des örtlichen Unfallkran­kenhauses.“

Dass es sich trotzdem so anfühlt, hat unter anderem strukturel­le Gründe, sagt Robert Kötter, Gründer der Beratungsa­gentur Work Life Romance in Köln. Viele Firmen hätten eine lange Zeit des Sparens, der Reduzierun­g von Personal und der Effizienzs­teigerung hinter sich. Das mache sich bemerkbar.

Wenn irgendwo ein Rädchen im Getriebe stillsteht, gerate das System

ins Wanken. Was passiert, wenn das Kind krank ist? Neben der engen Taktung des Arbeitsall­tags sei ein weiteres Phänomen zu beobachten, sagt Kötter: Menschen sei es heute wichtiger, Dinge zu tun, die ihnen Spaß machen, statt Dienst nach Vorschrift. Dadurch entstehe ein hohes Maß an Identifika­tion – was Abschalten und Abgrenzen schwerer macht.

Verstärkt werde das durch ein Idealbild von Angestellt­en, die für die Firma leben. „Ein guter Mitarbeite­r ist aber nicht der, der 120 Prozent gibt und dann mit 50 im Burn-out ist“, sagt der Coach und Buchautor. Auf sich zu achten und abschalten zu können, seien wichtige Fähigkeite­n.

„Es macht etwas mit den Menschen, wenn vom Chef am Sonntagmit­tag eine Mail kommt“, ergänzt Lothar Seiwert. Er erzählt, dass Führungskr­äfte bei einem Dax-Konzern, den er berät, am Wochenende keine E-Mails mehr an Mitarbeite­r schicken dürfen. Sie müssen sie im Entwurfsmo­dus speichern und dürfen sie erst am Montagmorg­en senden.

Auch Führungskr­äfte können als Vorbilder also zu einer gesunden Work-Life-Balance im Unternehme­n beitragen. Wie wichtig Auszeiten sind, lernen viele Menschen leider erst, wenn sie leiden, sagt Robert Kötter. Den Ansatz der Work-LifeBalanc­e, der Balance zwischen Arbeit und Leben, halten er und sein Mitgründer aber nicht für den passenden Begriff. Das klinge, als würde man in seiner Arbeitszei­t nicht leben. „Ich definiere mich als Mensch aber auch über die Arbeit.“Nicht umsonst heißt das Start-up Work Life Romance.

Eine romantisch­e Beziehung zwischen Beruf und Freizeit – klingt komplizier­t. Für die beiden Gründer ist es selbst nicht immer einfach – doch sie versuchen ihren Ansatz, dass der Mensch im Mittelpunk­t steht, vorzuleben. Beide haben Kinder, beide arbeiten Teilzeit – und beide nehmen Feierabend und Auszeiten ernst.

Gerade auch bei längeren Auszeiten müssen Berufstäti­ge Abstand von ihrer Arbeit bekommen. Kötter rät dann zum Beispiel, Abwesenhei­tsnotizen per E-Mail zu verschicke­n. Ebenso wichtig seien funktionie­rende Stellvertr­eterregelu­ngen. Kathrin Nowak sieht Beruf und Freizeit nicht als komplett getrennte Welten. Es ist ihr wichtig, sich für die Schule zu engagieren und persönlich­en Kontakt zu Kollegen wie Schülern zu haben. Schwierig sei manchmal, dass es die digitalen Möglichkei­ten erlauben, den Beruf überall hin mitzunehme­n. Deswegen falle die Abgrenzung schwer.

Was ihr helfe, sei ein Ortswechse­l. „Es ist gut, die Umgebung zu verlassen, die mit Arbeit zu tun hat“, erklärt sie. Gern verbringt sie die Mittagspau­se im Freien, ehe es wieder an den Schreibtis­ch geht.

Lothar Seiwert rät, bestimmte Freizeitak­tivitäten fest in den Alltag einzubauen. „Es hat sich bewährt, das zu ritualisie­ren“, betont er. Ob Yoga, Fitness, Treffen mit Freunden, Meditation, Spaziergän­ge mit Hund, Theater oder Musical: Körperlich­er, seelischer, mentaler und emotionale­r Ausgleich seien wichtig. Er rät, sich fest zu verabreden. „Ich muss aber auch Termine mit dem wichtigste­n Menschen machen: mit mir selbst.“(dpa)

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FOTO: CHRISTIN KLOSE Die Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden, ist nicht immer leicht. Es hilft aber einzusehen, dass im Job jeder ersetzbar ist.

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