Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Southside mit Wetterglück und Vielfalt
20. Southside Festival in Neuhausen ob Eck – Rockgrößen, Stilvielfalt und frische Brötchen
Drei Tage Musik, viel zu wenig Schlaf und viel Glück mit dem Wetter: Rund 60 000 Besucher haben am Wochenende beim Southside Festival in Neuhausen ob Eck (Kreis Tuttlingen) eine friedliche Musikparty gefeiert. Die Stilvielfalt reichte dabei vom Stadion-Rock der Toten Hosen über den düsteren New Wave von The Cure bis zum Schaumparty-tauglichen Hip-Hop der 257ers. (Foto: Thomas Melcher) (dre)
NEUHAUSEN OB ECK - Die gefürchteten Unwetter blieben aus, dafür gab es ein extrem abwechslungsreiches Programm, neue Ideen – und frische Brötchen: Zum 20. Mal ist das Southside Festival, mit rund 60 000 Besuchern eines der größten Open Airs in Deutschland, in der kleinen Gemeinde Neuhausen ob Eck (Kreis Tuttlingen) zu Gast gewesen. Das Festival wird dabei immer mehr zum Baukasten, aus dem sich jeder Besucher sein ganz persönliches Erlebnis zusammenbasteln kann.
„Das ist einer der spaßigsten Auftritte seit Langem“, ruft Dave Grohl in die Menge. Der Frontmann der Foo Fighters ist zwar schon von Natur aus wahrlich kein Melancholiker, aber sein Kompliment an die Southside-Besucher wirkt ehrlich. Die euphorischen Reaktionen der Fans, die sich zu Zehntausenden vor der Grünen Bühne drängen, sind das Ergebnis einer gelungenen Mischung aus Klassikern wie „Learning To Fly“und Stücken neueren Datums wie „Dirty Water“, bei dem der bärtige Frontmann mit der langen Mähne seine 13 Jahre alte Tochter Violet als Duettpartnerin präsentiert. Neben ihr begleiten drei weitere Sängerinnen Lieder wie „The Sky Is a Neighborhood“vom 2017er-Album „Concrete and Gold“.
Neben starken Songs gehört auch eine Portion Gigantismus zu einem würdigen Headliner: Schlagzeuger Taylor Hawkins spielt sein Drum-Solo in schwindelerregender Höhe auf einer Hebebühne. Das Queen-Cover „Under Pressure“, bei dem Hawkins und Grohl sich den Gesang teilen, ist ein riesiger Spaß. Für die Fotografen weniger spaßig: Bei den Fotos des Auftritts ist bis Sonntagnachmittag unklar, ob sie überhaupt veröffentlicht werden dürfen. Überhaupt gibt es in diesem Jahr ungewöhnlich viele Einschränkungen für Fotografen. So lassen sich unter anderem Papa Roach die Bilder zur Freigabe vorlegen – was die aktuelle Veröffentlichung erschwert. Der Veranstalter FKP Scorpio selbst sieht keine Zunahme an Einschränkungen.
Was hingegen definitiv zugenommen hat, ist die musikalische Vielfalt. Rockklänge sind nach wie vor wichtiger Bestandteil des Festivals. So zelebrieren die US-Amerikaner Papa Roach am Samstag mit Hits wie „Last Resort“harte Gitarrengrooves und zollen mit dem „Firestarter“-Cover dem im März 2019 verstorbenen Prodigy-Sänger Keith Flint Tribut. Danach ballern die Australier von Parkway Drive theatralischen Metalcore in den Abendhimmel und machen Rammstein Konkurrenz: Am Ende des Sets schlagen Flammen aus dem Bühnendach, dass Katastrophenfilm-Regisseur Roland Emmerich begeistert wäre.
Doch man muss nicht auf harte Gitarren stehen, um beim Southside auf seine Kosten zu kommen. Der Elektropop der Berliner Band Grossstadtgeflüster („Feierabend“) sorgt auf der Blauen Bühne bereits nachmittags für ebenso enormen Andrang wie die ebenfalls in der Hauptstadt beheimatete Popsängerin Alice Merton („No Roots“). Und der HipHop-Anteil ist seit einigen Jahren ebenfalls größer. Fans deutschen Sprechgesangs dürften daher froh sein, dass sie Auftritte von Rappern wie Bausa und Trettmann auf der Roten Bühne sehen, die erstmals nicht mehr im Zelt, sondern unter freiem Himmel steht.
Nächtliche Glanzlichter
Je nachdem wen man fragt, gibt es so ganz unterschiedliche Highlights des Wochenendes, vom düsteren New Wave der britischen Legende The Cure bis hin zum psychedelischen Rock der australischen Band Tame Impala – beides nächtliche Glanzlichter auf der Blauen Bühne. Auf die Headliner auf der Grünen Bühne können sich aber in der Regel alle einigen, und so gibt es bei den Toten Hosen noch mehr Gedränge als bei den Foo Fighters. Campino und Co. feiern den ersten SouthsideAuftritt seit 2001 und verwandeln das Southside mit Hits wie „Auswärtsspiel“in puncto Atmosphäre in ein Fußballstadion. Der Regen hält sich die meiste Zeit zurück, wie überhaupt am ganzen Wochenende.
Ähnlich vielfältig lässt sich auch das Drumherum erleben. Wer Festivals als zeitweiligen Urlaub von zivilisatorischen Errungenschaften wie Körperhygiene und einem festen Dach überm Kopf sieht, kann auch weiterhin siffig campen, aufs Dixieklo gehen, die Duschen einfach ignorieren und sich Dosenravioli auf dem Campingkocher warm machen. Wer es hingegen gediegener mag, hat die Wahl zwischen verschiedenen Komfortlevels beim Camping. Zudem gibt es an jeder Ecke Bespaßung: Ob man Poetry Slam auf einem Musikfestival braucht, sei dahingestellt – doch die vielen Zuschauer spendieren den Wortakrobaten auf der Landebahn-Bühne am Samstagmorgen viel Applaus. Und wer zum Frühstück Brötchen frisch aus dem Backofen will (früher als unnötiger Luxus undenkbar), bekommt sie beim Discounter, der erstmals mit einer eigenen Filiale beim Southside vertreten ist. Sogar die Haare kann man sich dank einer Drogeriemarktkette vor Ort stylen lassen – wenn man nichts Besseres zu tun hat.