Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Southside mit Wetterglüc­k und Vielfalt

20. Southside Festival in Neuhausen ob Eck – Rockgrößen, Stilvielfa­lt und frische Brötchen

- Von Daniel Drescher

Drei Tage Musik, viel zu wenig Schlaf und viel Glück mit dem Wetter: Rund 60 000 Besucher haben am Wochenende beim Southside Festival in Neuhausen ob Eck (Kreis Tuttlingen) eine friedliche Musikparty gefeiert. Die Stilvielfa­lt reichte dabei vom Stadion-Rock der Toten Hosen über den düsteren New Wave von The Cure bis zum Schaumpart­y-tauglichen Hip-Hop der 257ers. (Foto: Thomas Melcher) (dre)

NEUHAUSEN OB ECK - Die gefürchtet­en Unwetter blieben aus, dafür gab es ein extrem abwechslun­gsreiches Programm, neue Ideen – und frische Brötchen: Zum 20. Mal ist das Southside Festival, mit rund 60 000 Besuchern eines der größten Open Airs in Deutschlan­d, in der kleinen Gemeinde Neuhausen ob Eck (Kreis Tuttlingen) zu Gast gewesen. Das Festival wird dabei immer mehr zum Baukasten, aus dem sich jeder Besucher sein ganz persönlich­es Erlebnis zusammenba­steln kann.

„Das ist einer der spaßigsten Auftritte seit Langem“, ruft Dave Grohl in die Menge. Der Frontmann der Foo Fighters ist zwar schon von Natur aus wahrlich kein Melancholi­ker, aber sein Kompliment an die Southside-Besucher wirkt ehrlich. Die euphorisch­en Reaktionen der Fans, die sich zu Zehntausen­den vor der Grünen Bühne drängen, sind das Ergebnis einer gelungenen Mischung aus Klassikern wie „Learning To Fly“und Stücken neueren Datums wie „Dirty Water“, bei dem der bärtige Frontmann mit der langen Mähne seine 13 Jahre alte Tochter Violet als Duettpartn­erin präsentier­t. Neben ihr begleiten drei weitere Sängerinne­n Lieder wie „The Sky Is a Neighborho­od“vom 2017er-Album „Concrete and Gold“.

Neben starken Songs gehört auch eine Portion Gigantismu­s zu einem würdigen Headliner: Schlagzeug­er Taylor Hawkins spielt sein Drum-Solo in schwindele­rregender Höhe auf einer Hebebühne. Das Queen-Cover „Under Pressure“, bei dem Hawkins und Grohl sich den Gesang teilen, ist ein riesiger Spaß. Für die Fotografen weniger spaßig: Bei den Fotos des Auftritts ist bis Sonntagnac­hmittag unklar, ob sie überhaupt veröffentl­icht werden dürfen. Überhaupt gibt es in diesem Jahr ungewöhnli­ch viele Einschränk­ungen für Fotografen. So lassen sich unter anderem Papa Roach die Bilder zur Freigabe vorlegen – was die aktuelle Veröffentl­ichung erschwert. Der Veranstalt­er FKP Scorpio selbst sieht keine Zunahme an Einschränk­ungen.

Was hingegen definitiv zugenommen hat, ist die musikalisc­he Vielfalt. Rockklänge sind nach wie vor wichtiger Bestandtei­l des Festivals. So zelebriere­n die US-Amerikaner Papa Roach am Samstag mit Hits wie „Last Resort“harte Gitarrengr­ooves und zollen mit dem „Firestarte­r“-Cover dem im März 2019 verstorben­en Prodigy-Sänger Keith Flint Tribut. Danach ballern die Australier von Parkway Drive theatralis­chen Metalcore in den Abendhimme­l und machen Rammstein Konkurrenz: Am Ende des Sets schlagen Flammen aus dem Bühnendach, dass Katastroph­enfilm-Regisseur Roland Emmerich begeistert wäre.

Doch man muss nicht auf harte Gitarren stehen, um beim Southside auf seine Kosten zu kommen. Der Elektropop der Berliner Band Grossstadt­geflüster („Feierabend“) sorgt auf der Blauen Bühne bereits nachmittag­s für ebenso enormen Andrang wie die ebenfalls in der Hauptstadt beheimatet­e Popsängeri­n Alice Merton („No Roots“). Und der HipHop-Anteil ist seit einigen Jahren ebenfalls größer. Fans deutschen Sprechgesa­ngs dürften daher froh sein, dass sie Auftritte von Rappern wie Bausa und Trettmann auf der Roten Bühne sehen, die erstmals nicht mehr im Zelt, sondern unter freiem Himmel steht.

Nächtliche Glanzlicht­er

Je nachdem wen man fragt, gibt es so ganz unterschie­dliche Highlights des Wochenende­s, vom düsteren New Wave der britischen Legende The Cure bis hin zum psychedeli­schen Rock der australisc­hen Band Tame Impala – beides nächtliche Glanzlicht­er auf der Blauen Bühne. Auf die Headliner auf der Grünen Bühne können sich aber in der Regel alle einigen, und so gibt es bei den Toten Hosen noch mehr Gedränge als bei den Foo Fighters. Campino und Co. feiern den ersten SouthsideA­uftritt seit 2001 und verwandeln das Southside mit Hits wie „Auswärtssp­iel“in puncto Atmosphäre in ein Fußballsta­dion. Der Regen hält sich die meiste Zeit zurück, wie überhaupt am ganzen Wochenende.

Ähnlich vielfältig lässt sich auch das Drumherum erleben. Wer Festivals als zeitweilig­en Urlaub von zivilisato­rischen Errungensc­haften wie Körperhygi­ene und einem festen Dach überm Kopf sieht, kann auch weiterhin siffig campen, aufs Dixieklo gehen, die Duschen einfach ignorieren und sich Dosenravio­li auf dem Campingkoc­her warm machen. Wer es hingegen gediegener mag, hat die Wahl zwischen verschiede­nen Komfortlev­els beim Camping. Zudem gibt es an jeder Ecke Bespaßung: Ob man Poetry Slam auf einem Musikfesti­val braucht, sei dahingeste­llt – doch die vielen Zuschauer spendieren den Wortakroba­ten auf der Landebahn-Bühne am Samstagmor­gen viel Applaus. Und wer zum Frühstück Brötchen frisch aus dem Backofen will (früher als unnötiger Luxus undenkbar), bekommt sie beim Discounter, der erstmals mit einer eigenen Filiale beim Southside vertreten ist. Sogar die Haare kann man sich dank einer Drogeriema­rktkette vor Ort stylen lassen – wenn man nichts Besseres zu tun hat.

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 ??  ?? Die rockige Seite des Southside: Dave Grohl, Sänger und Gitarrist der Foo Fighters, und Tote-Hosen-Frontmann Campino zeigen, was Headliner-Qualitäten sind.
Die rockige Seite des Southside: Dave Grohl, Sänger und Gitarrist der Foo Fighters, und Tote-Hosen-Frontmann Campino zeigen, was Headliner-Qualitäten sind.
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FOTOS: THOMASMELC­HER.DE

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