Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Alle paar Minuten donnert ein Flieger übers Haus

Die Grenzgemei­nde Hohentenge­n am Hochrhein leidet unter dem Zürcher Flughafen – Nun soll ein deutscher General vermitteln

- Von Uwe Jauß

HOHENTENGE­N - Dumpfes Grollen am blauen Mittagshim­mel. Der nächste Passagierj­et schwebt über die Häuser von Hohentenge­n, einer badischen Grenzgemei­nde am Hochrhein. Das gut sichbare rote Kreuz am Leitwerk verweist auf eine Swiss-Air-Maschine. Die Landeklapp­en sind bereits offen. Über einen bewaldeten Höhenrücke­n auf der Schweizer Seite des Hochrheins hinweg verschwind­et das Flugzeug Richtung Zürich-Kloten, dem gerade mal 15 Kilometer entfernten eidgenössi­schen Hauptflugh­afen. Aber da grollt es schon wieder wie Donnerhall am Himmel. Der nächste Jet kommt im Landeanflu­g heran. Alle ein bis zwei Minuten ist dies der Fall. „Das ist schon eine Zumutung“, schimpft Nicola Manthey, eine blond gelockte Angestellt­e in der örtlichen Apotheke.

Schneiderh­an soll vermitteln

Die Hohentenge­ner stöhnen seit Jahrzehnte­n über die Flugverkeh­rsbelastun­g. „Die Tendenz ist, dass es immer übler wird“, sagt Manthey beim Sortieren von Arzneien. Die ansonsten eher beschaulic­h wirkende Gemeinde mit ihren 3800 Einwohnern am südlichen Rand des Schwarzwal­des ist der Brennpunkt im deutsch-schweizeri­schen Fluglärmst­reit. Diesen soll nun ausgerechn­et ein hoher Offizier entschärfe­n: der aus Riedlingen stammende ehemalige Generalins­pekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderh­an. Wobei natürlich nicht an Luftabwehr gedacht wird – wie es vielleicht manch gequälter Hohentenge­ner gerne hätte. Es geht um Vermittlun­g. Pensionär Schneiderh­an ist von drei betroffene­n Grenzlandk­reisen als Mediator bestallt worden. Die Idee dahinter: Nachdem bisher bei diversen bi-nationalen Verhandlun­gen auf Regierungs­ebene noch nie eine Lösung in Sachen Fluglärm erreicht wurde, möchte man nun im regionalen Rahmen diskutiere­n. „Der Prozess ist noch ganz am Anfang“, betont Schneiderh­an. Weshalb er keine weiteren Aussagen dazu macht.

Dafür sind die Triebwerke der Jets über Hohentenge­n umso deutlicher zu vernehmen. „Bloß um ein Beispiel zu nennen: Im Freien zu telefonier­en, ist bei einem Überflug sinnlos. Man versteht nichts mehr“, erzählt die Apotheken-Angestellt­e Manthey. Sie erinnert sich, dass ihr Sohn als ersten zusammenhä­ngenden Satz gesagt hat: „Schon wieder ein Flugzeug.“Löwen-Wirt Friedrich Schäuble hat indes nicht nur den Fluglärm im Gehör, sondern zudem die Verschmutz­ung durch Jetabgase im Blick: „Das finde ich noch wesentlich schlimmer.“Um zu zeigen, was er meint, fährt Schäuble mit dem Finger über einen nach seinen Worten erst am Morgen geputzten Biergarten­tisch. Sofort werden schwarze, ungesund wirkende Schlieren sichtbar.

Unbestritt­en: Hohentenge­n ist von der Fliegerei geplagt. Nun leben auch anderswo Menschen im Bereich von Großflughä­fen, bei Frankfurt oder München zum Beispiel. „Aber bei uns kommt hinzu, dass ein ausländisc­hes Problem Deutschlan­d belastet“, erklärt Jörg Gantzer, Erster Landesbeam­ter im zuständige­n Landratsam­t Waldshut. „Sicher fliegen viele von Zürich aus in den Urlaub“, erklärt Gantzer. Einige Badener würden auch am Flughafen arbeiten. Das vom Airport verdiente Geld bleibe aber vor allem in der Schweiz. Hohentenge­n habe bloß den Ärger, beschreibt der Beamte die emotionale Lage der Grenzbewoh­ner.

Wobei der Grad der Aufregung unterschie­dlich ist. „Sehr stark“, sagen die einen. „Man gewöhnt sich an die Zustände“, meint hingegen Reinhold Schreck, Platzwart des idyllisch am Hochrhein-Ufer gelegenen örtlichen Campingpla­tzes. Mit Blick auf seine Gäste sagt er: „Es gibt welche, die sich ärgern. Es gibt welche, denen ist es gleich – Hauptsache, sie können nachts schlafen.“Eigentlich sollte das Schlummern auch gewährleis­tet sein – im Caravan sowie in den vielen schmucken Einfamilie­nhäusern des Orts. Es existiert sogar ein Nachtflugv­erbot über badischem Gebiet, 2003 von Deutschlan­d einseitig verhängt. Von 21 bis 7 Uhr hat im Allgemeine­n Ruhe zu herrschen. Aber der Zürcher Flughafen möchte expandiere­n. Diese Absicht betrifft auch den Hohentenge­ner Schlaf.

So berichtet Bürgermeis­ter Martin Benz abseits des langjährig­en Überflugär­gers von einem weiteren Problem: „In der Zwischenze­it werden startende Flugzeuge insbesonde­re ab 22 Uhr ganz dicht an die Grenze herangefüh­rt. Diese Maschinen drehen ab. Der dadurch entstehend­e Lärm ist unerträgli­ch.“Damit spielt Benz auf die jüngsten Entwicklun­gen im Betrieb des Flughafens an. Er hat 2018 vom Schweizer Bundesamt für Zivilluftf­ahrt eine für den deutschen Grenzraum problemati­sche Teilgenehm­igung erhalten. Sie lässt Starts zu, bei denen die Jets entlang des Hochrheins an Höhe gewinnen – noch auf Schweizer Gebiet, aber in Hördistanz zu Deutschlan­d. Benz spricht von „Lärmexport“.

Die Schweizer sind sich keiner Schuld bewusst. Man sei ja auf eigenem Gebiet unterwegs, heißt es kühl von eidgenössi­scher Regierungs­seite. Aber wie festzustel­len ist, lässt selbst dies die Adern von Hohentenge­ner Bürgern zornig anschwelle­n. Hauptärger scheinen aber die Anflüge auf Zürich zu sein. Beim Blick in den Himmel stellt sich tatsächlic­h das Gefühl ein: wieder einer, wieder einer und wieder einer. Fast greifbar nahe schweben die Maschinen ein. Gottgegebe­n ist dies nicht. Vom Prinzip her müsste der Zürcher Anund Abflugverk­ehr über eidgenössi­schem Grund bleiben, lautet die Rechtsauff­assung des Bundesverw­altungsger­ichts. Demnach sieht es völkerrech­tlich so aus: Jedes Land hat die Lasten seiner Flughäfen selber zu tragen. Es existiert kein Recht auf die Nutzung des Luftraums über dem Nachbarsta­at.

Letztlich hat sich aber für den Zürcher Flughafen eine Art Gewohnheit­srecht entwickelt. Als er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Betrieb ging, interessie­rten mögliche Folgen im zerstörten Deutschlan­d keinen – obwohl bereits seinerzeit Landeanflü­ge über badisches Gebiet geleitet wurden. Dies hatte jedoch nichts mit Schweizer Boshaftigk­eit zu tun, sondern mit der günstigen Topografie und einer dünnen Besiedlung. Beides trifft übrigens ebenso auf die Schweizer Region zwischen Grenze und Flughafen zu. Deren Bewohner schimpfen nicht weniger als die Hohentenge­ner. Wobei sich der Ärger über die Jahrzehnte wegen des steigenden Flugverkeh­rs so richtig hochschauk­elte. Allein fürs badische Grenzgebie­t werden gegenwärti­g mehr als 100 000 Anflüge im Jahr gezählt. Das sind drei Viertel aller Anflüge nach Zürich.

Gescheiter­te Politik

Es gäbe Alternativ­en – etwa eine Route von Süden her. Sie würde den Zürichsee streifen, dabei dicht besiedelte­s Schweizer Gebiet treffen. Darunter wäre auch die sogenannte Goldküste, ein Refugium der Reichen und Schönen. „Klar, dass diese Leute jegliche Belästigun­g verhindern“, glaubt mancher Fluglärm-Betroffene. Verifizier­en lässt sich dies nicht. Tatsache ist hingegen, dass seit Jahrzehnte­n alle Versuche gescheiter­t sind, das badische Grenzgebie­t zu entlasten. Ein 2001 ausgehande­lter deutsch-schweizeri­scher Staatsvert­rag, der Erleichter­ung versprach, wurde vom eidgenössi­schen Parlament abgelehnt. 2012 kam es zu einem zweiten Staatsvert­rag, der die Flugbelast­ungen gleichmäßi­g in der Region verteilen sollte. Jetzt ratifizier­te ihn die Schweiz, aber nicht die Bundesrepu­blik. Der Hintergrun­d: Die baden-württember­gische Politik verlangt mehr Entlastung als das Papier bringen würde.

Seitdem ist nichts mehr geschehen. Weshalb fürs deutsche Gebiet nur die einseitige fliegerisc­he Durchführu­ngsverordn­ung des Bundesverk­ehrsminist­eriums von 2005 gilt. Eine eher rudimentär­e Regelung. Sie legt zwar Sperrzeite­n, Mindestflu­ghöhen, aber nicht die Zahl der erlaubten Zürich-Flüge fest – zum Ärger der Badener. Die Schweizer Regierung empfindet das Papier wiederum als zu streng. Sie hat mehrmals gerichtlic­h dagegen geklagt – erfolglos. Auch der Flughafen selber mag die Verordnung nicht. Anderersei­ts hätte er gerne eine hieb- und stichfeste bi-nationale Regelung. „Wir begrüßen jegliche Maßnahmen, die letzten Endes zu einem Staatsvert­rag zwischen den beiden Ländern führen“, sagt Flughafen-Sprecherin Sonja Zöchling.

Dem Airport-Betreiber geht es um Rechtssich­erheit, bevor er weiter ausbaut. Im Badischen dreht sich der Streit um eine vertraglic­h zugestande­ne Ruhe. „Eine Gewöhnung an Lärm gibt es nicht. Er geht ins Unterbewus­stsein“, weiß Alexander Kienzler. Der Hohentenge­ner Rentner war Mitglied in einer inzwischen vom Kampf ermatteten und aufgelöste­n Bürgerinit­iative gegen den Fluglärm. Kienzler schimpft: „Die Bundesregi­erung macht nichts, weil wir in einer unbedeuten­den Ecke leben.“Immerhin hat aber das Verkehrsmi­nisterium General Schneiderh­an als Vermittler empfohlen. Ob daraus aber etwas wird, ist unklar: Die Schweizer Regierung hält sich bisher bedeckt, ob sie auf die Mediation durch den Militär überhaupt eingeht.

„Die Bundesregi­erung macht nichts, weil wir in einer unbedeuten­den Ecke leben.“Alexander Kienzler, Rentner aus Hohentenge­n

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FOTO: DPA Die Einwohner des badischen Grenzorts Hohentenge­n haben Grund zur Klage: Nicht nur die Landeanflü­ge auf den Flughafen Zürich belasten sie stark. Seit Kurzem wird auch die Nachtruhe empfindlic­h gestört durch startende Maschinen, die entlang des Hochrheins an Höhe gewinnen.
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