Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Weltmetropole auf zwei Kontinenten
In Istanbul leben so viele Menschen wie in Österreich und der Schweiz zusammen
ISTANBUL - Sie kamen mit dem Flugzeug, mit dem Bus und mit dem eigenen Wagen: Hunderttausende Istanbuler Wähler sind am Sonntag aus dem Sommerurlaub in die Metropole am Bosporus zurückgekehrt, um ihre Stimme bei der Wiederholung der Bürgermeisterwahl abzugeben. Von einem „unglaublichen Ansturm“berichtete der Verband der Reisebusunternehmer, die Fluggesellschaft Turkish Airlines richtete Sonderflüge ein. Fünf Gründe, warum Istanbul so wichtig ist:
Größe: Etwa jeder fünfte Türke lebt in Istanbul. Mit 16 Millionen Einwohnern, davon fast 10,6 Millionen registrierten Wählern, stellt die Megastadt am Bosporus alle anderen Städte des Landes und Europas in den Schatten. Istanbul hat in etwa so viele Einwohner wie die Schweiz und Österreich zusammen. In der Stadt leben mehr Kurden als in Diyarbakir, der größten Stadt des türkischen Kurdengebietes. Gleichzeitig ist Istanbul die neue Heimat von rund 550 000 syrischen Flüchtlingen. Als einzige Stadt der Welt, die auf zwei Kontinenten liegt, ist Istanbul mit einer Fläche von fast 5500 Quadratkilometern mehr als doppelt so groß wie das Saarland und sechsmal so groß wie Berlin.
Wirtschaftskraft: Istanbul erwirtschaftet fast ein Drittel des türkischen Nationaleinkommens. Die zehn größten Unternehmen der Türkei haben alle in Istanbul ihren Hauptsitz. Mit einem Volumen von 146 Milliarden Euro ist die Istanbuler Wirtschaft etwa dreimal so groß wie die gesamte Volkswirtschaft des türkischen Nachbarn Bulgarien. Der künftige Istanbuler Bürgermeister verwaltet einen Haushalt von rund sechs Milliarden Euro.
Auch das Einkommen der Bürger ist in Istanbul höher als in anderen Teilen der Türkei. Pro Kopf verdient ein Istanbuler rund 10 000 Euro im Jahr. Der türkische Landesdurchschnitt liegt bei knapp 6000 Euro.
Patronage: Für die herrschende politische Partei eröffnet der Reichtum der Stadt viele Möglichkeiten, Anhänger in Wirtschaft und Gesellschaft mit finanziellen Zuwendungen bei Laune zu halten. Das betrifft öffentliche Ausschreibungen für Infrastrukturprojekte ebenso wie Subventionen der Stadt für Verbände und Organisationen. Die Opposition kritisiert, unter der bisherigen Herrschaft der AKP habe die Stadt viele Millionen Euro an Verbände verteilt, bei denen Verwandte von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan das Sagen haben. Die AKP weist die Korruptionsvorwürfe zurück.
Politische Rolle: „Wer Istanbul regiert, der regiert die Türkei“, lautet ein Grundsatz der türkischen Politik. Nicht nur die schiere Größe der Stadt und ihre Wirtschaftskraft tragen dazu bei. Istanbul ist auch die kulturelle und mediale Hauptstadt der Türkei. Zudem ist Istanbul die Heimatstadt von Erdogan und der Ort, an dem der heutige Präsident im Jahr 1994 als Oberbürgermeister seine Karriere begann.
Probleme: So groß wie Istanbul sind auch die Probleme der Stadt. Vor allem der Dauerstau auf den Straßen, die schlechte Luft und die Betonwüsten ohne Baum und Strauch in weiten Teilen des Stadtgebietes machen den Bürgern zu schaffen. Laut dem Lebensqualitätsindex der Personalberatungsfirma Mercer liegt Istanbul nur auf Platz 130 von 231 Städten weltweit.
Die Wohnungsmieten bewegen sich oft auf westeuropäischem Niveau, was für viele Türken kaum zu bezahlen ist: Für westliche Touristen ist Istanbul vergleichsweise billig, für die Istanbuler selbst dagegen nicht.