Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Johnson steht sich selbst im Weg

- Von Sebastian Borger, London

Stellt sich der Favorit selbst ein Bein? Nach einem Wochenende voller unerfreuli­cher Schlagzeil­en scheint Boris Johnsons reibungslo­ser Aufstieg zum nächsten britischen Premiermin­ister und Nachfolger von Theresa May keineswegs gewährleis­tet. Ein lautstarke­r nächtliche­r Streit des Spitzenpol­itikers mit seiner 24 Jahre jüngeren Freundin hat Zweiflern des 55-Jährigen neue Nahrung gegeben. Zudem häuft sich die Kritik an Johnsons mangelnder Sattelfest­igkeit in Detailfrag­en, nicht zuletzt bei der Lösung des Brexit-Dilemmas. „Boris muss zeigen, dass er schwierige Fragen beantworte­n kann“, sagt sein Konkurrent, der Außenminis­ter Jeremy Hunt.

Am frühen Freitagmor­gen alarmierte ein Nachbar von Carrie Symonds

im Süd-Londoner Stadtteil Camberwell die Polizei: Aus der Nebenwohnu­ng, die die 31-Jährige seit einem halben Jahr mit Johnson teilt, sei ein lautstarke­r Streit mit schrillem Geschrei, gefolgt von plötzliche­r Stille, zu hören gewesen; auf mehrfaches Klopfen an der Wohnungstü­r habe das Paar nicht reagiert. Eine Streife sah nach dem Rechten und überzeugte sich davon, dass zwischen Johnson und Symonds Frieden eingekehrt war.

So weit, so unspektaku­lär – hätte der Nachbar nicht die Auseinande­rsetzung auf seinem Handy mitgeschni­tten und dem „Guardian“zugespielt. Ausgerechn­et am Tag darauf musste Johnson im Kongresssa­al von Birmingham bei der ersten von 16 geplanten Regionalve­rsammlunge­n seiner konservati­ven Partei auftreten. Schlechtge­launt blockte Johnson jede Auskunft zu dem nächtliche­n Zwischenfa­ll ab und reagierte genervt auf Fragen aus dem Publikum.

Vorsprung schrumpft

Einer Blitzumfra­ge der Firma Survation zufolge haben die privaten Schwierigk­eiten des Politikers, der in Scheidung von der Mutter seiner vier ehelichen Kinder lebt und zudem Vater von mindestens einem außereheli­chen Kind ist, seinen Vorsprung vor Hunt von 27 auf elf Prozent schrumpfen lassen. Außenminis­ter Hunt kritisiert­e Johnson für dessen Weigerung, in dieser Woche an TV-Debatten teilzunehm­en. Viel schwerer wiegt, dass die Äußerungen des Favoriten zum Brexit teils unklar, teils unwahr sind. Johnson will nach der Amtsüberna­hme mit den EUPartnern über eine Neuformuli­erung des Austrittsv­ertrages verhandeln, was diese strikt ablehnen.

Notfalls solle das Land am 31. Oktober ohne Austrittsv­ereinbarun­g („No Deal“) ausscheide­n. Das sei gar nicht so schlimm, behauptete Johnson in Birmingham: Über den Freihandel­svertrag mit dem Kontinent sowie die irische Grenze könne man „in der Übergangsf­rist“sprechen. Dieser höchstens bis Ende 2022 dauernde Zeitraum ist im Austrittsv­ertrag enthalten, worauf Vize-Premier David Lidington hinwies: „No Deal bedeutet keinen Austrittsv­ertrag und also auch keine Übergangsf­rist.“

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FOTO: DPA Boris Johnson

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