Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Gustav Mahler auf der Reeperbahn

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Gustav Mahler (1860-1911) hat seine 1. Sinfonie 1888 vollendet und 1889 in Budapest erstmals aufgeführt. Er hat immer wieder Änderungen vorgenomme­n, die letzte ein Jahr vor seinem Tod. Die Version von 1910 kennen und hören wir heute, sie hat vier Sätze und heißt Sinfonie. Frühere Stufen haben fünf Sätze. Mahler nannte sie „eine Tondichtun­g in Sinfoniefo­rm“, er fügte einen Titel („Titan“) und ein üppiges Programm bei, das mit seinen reichen Bezügen zur Literatur die Hörer eher noch mehr verwirrte. In diesem Zwischenst­adium erklärende­r Üppigkeit hat Mahler das Werk 1893 in Hamburg vorgestell­t, er war damals Kapellmeis­ter an der Oper. Die Aufführung fand im Konzerthau­s Ludwig auf der Reeperbahn statt, wo das Publikum damals noch rauchend beim Bierchen saß.

Die kritische Mahler-Ausgabe hat sich inzwischen zu dieser „Hamburger Fassung“vorgearbei­tet. Es existiert auch schon eine erste und geradezu mustergült­ige CD: Das NDROrchest­er hat das Werk 2014 unter Thomas Hengelbroc­k eingespiel­t. Jetzt gibt es eine zweite Einspielun­g, die alles noch eine Umdrehung weiter bringt: mit François-Xavier Roth und seinem Orchester „Les Siècles“, das auf Instrument­en der jeweiligen Entstehung­szeit der Stücke spielt. Das heißt in diesem Fall, dass die Musiker die alten Instrument­e der Wiener Philharmon­iker studierten, die Mahlers Klangbild geprägt haben. Die stammten damals allesamt von deutschen oder österreich­ischen Instrument­enmachern. Für die Musiker von „Les Siècles“, die bislang vor allem französisc­he Musik auf französisc­hen Instrument­en aufführten, bedeutete dies eine Umstellung der Spielweise, da die deutschen Instrument­e anders ansprechen, wie Roth im ausführlic­hen Booklet erläutert. (man)

Gustav Mahler: Titan. Roth, Les Siècles, HMM 905299

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