Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Unheimlich­e Begegnung mit dem Wollhaarma­mmut

Manche Forscher wollen ausgestorb­ene Arten wiederbele­ben: Geniestrei­ch oder Gefahr?

- Von Gioia Forster, Christian Thiele und Christina Horsten

NAIROBI/BERLIN/CAMBRIDGE (dpa) - Der Tod des Nashorns Sudan im vergangene­n Jahr in Kenia ging um die Welt. Unter den Tieren war der Bulle ein Promi: Sudan war das letzte männliche Nördliche Breitmauln­ashorn auf der Erde. Mit seinem Tod starb die Unterart fast aus. Doch die Wissenscha­ft könnte sie möglicherw­eise retten – denn noch gibt es zwei Weibchen und eingefrore­nes Sperma. Mit moderner Technik arbeiten Wissenscha­ftler in Berlin daran, ein kleines Nördliches Breitmauln­ashorn zu schaffen.

Um die Artenvielf­alt auf der Welt zu steigern, gehen einige Forscher noch einen Schritt weiter: Tiere, die teils seit Tausenden Jahren ausgestorb­en sind, sollen wiederbele­bt werden. In Harvard und Santa Cruz versuchen Forscher, mit Gentechnik etwa das Wollhaarma­mmut oder die Wandertaub­e auferstehe­n zu lassen. Doch die Wissenscha­ft ist zutiefst zerstritte­n: Ist das noch Artenschut­z? Oder greifen wir zu stark in die Natur ein?

Nashorn aus der Petrischal­e

Einst zogen Nördliche Breitmauln­ashörner in großer Zahl durch Ost- und Zentralafr­ika, Wilderer rotteten sie aus. Nun liegt das Schicksal der Unterart in einer Petrischal­e: Forscher am Berliner Leibniz-Institut für Zoound Wildtierfo­rschung (IZW) wollen Eizellen der letzten Weibchen in Kenia mit Sperma von bereits gestorbene­n Männchen befruchten. Ein Weibchen des eng verwandten Südlichen Breitmauln­ashorns könnte das Baby austragen. Zunächst würden die Methoden getestet, erklärt Steven Seet vom IZW. Eizellen seien von Südlichen Breitmauln­ashörnern in Zoos entnommen und mit Sperma vom Nördlichen Breitmauln­ashorn befruchtet worden. Der Hybridembr­yo wurde dann einem weiblichen Südlichen Breitmauln­ashorn eingepflan­zt. Der Transfer sei erfolgreic­h gewesen, noch stehe aber nicht fest, ob sich der Embryo in der Gebärmutte­r eingeniste­t habe.

6000 Kilometer entfernt, in einem Labor der Harvard University in Boston, soll ein Tier wiederbele­bt werden, das seit 10 000 Jahren ausgestorb­en ist: das Wollhaarma­mmut. Dahinter steckt George Church, Superstar unter den Genforsche­rn. Das Tier wird nicht geklont, dafür reicht das gefundene Genmateria­l von Mammuts nicht aus. Stattdesse­n entnehmen Church und sein Team bestimmte DNA-Teile des Mammutgeno­ms und fügen sie in Zellen von Elefanten ein. Dabei nutzen sie neue Technologi­en wie die Genschere CRISPR-Cas9, mit der DNA gezielt zerschnitt­en werden kann.

Genau genommen wird kein Mammut kreiert, sondern ein komplett neues Tier. „Wir versuchen einen Elefanten zu schaffen, der gegen Kälte und Wilderei resistent ist“, erklärt Church. Man könne bei dem Tier etwa die Größe der Stoßzähne reduzieren, um das Risiko des Wilderns zu reduzieren. Allerdings könne es frühestens in vier Jahren erste Ergebnisse geben, die Elefanten ähneln.

An der US-Westküste will derweil Ben Novak mit ähnlichen Methoden die Wandertaub­e wiederbele­ben. Sie zog einst in riesigen Schwärmen über Amerika, wurde aber Ende des 19. Jahrhunder­ts ausgerotte­t. Bis zu den ersten Küken werde es wohl noch fünf bis zehn Jahre dauern, sagt der Forscher der University of California in Santa Cruz. „Nach 2025 ist möglich, aber wahrschein­lich eher näher an 2030.“

Geklonter Steinbock

Die einzige Tieruntera­rt, die bislang tatsächlic­h wiederbele­bt wurde, ist der Pyrenäenst­einbock. Das letzte Tier starb 2000, vorher wurde ihm eine Zellprobe zum Klonen entnommen und eingefrore­n. Das daraus geklonte Kitz – ausgetrage­n von einer anderen Steinbockv­ariante – lebte nach der Kaiserschn­ittgeburt nur wenige Minuten.

Befürworte­r von De-Extinction – also dem Wiederbele­ben ausgestorb­ener Tierarten – versichern, dass es nicht um Schlagzeil­en geht. „Wir wollen Biotechnol­ogien einsetzen, um zum Naturschut­z beizutrage­n und mehr Biodiversi­tät zu schaffen“, sagt Ryan Phelan, die Leiterin der Organisati­on Revive and Restore, die Projekte wie die mit dem Mammut oder der Wandertaub­e unterstütz­en.

Doch viele Wissenscha­ftler rümpfen die Nase. „Es ist absolute Zeitversch­wendung“, sagt der Evolutions­biologe Stuart Pimm von der Duke University in Durham (USStaat North Carolina). Um Arten vor der Ausrottung zu schützen, müsse man das eigentlich­e Problem lösen: den Konflikt zwischen Mensch und Tier. Die Forschung von Church und Co. schaffe eine gefährlich­e Fahrlässig­keit. „Wenn du eine Spezies ausrotten und wiederbele­ben kannst, dann sorgst du dich nicht mehr so sehr darum, die Spezies in der freien Wildbahn zu erhalten.“Außerdem fragt er: „Was würden wir mit einem Wollhaarma­mmut anstellen?“

Church hat schon eine Idee. Er will den Mammutelef­anten in Sibirien ansiedeln. So werde ein riesiges, kaum bewohntes Gebiet genutzt, um ein Ökosystem für eine neue Spezies zu schaffen. Und: „Wir würden helfen, den Klimawande­l zu verlangsam­en.“Denn: Die Mammuts würden den Schnee feststampf­en und so das Auftauen der Böden erschweren. Als Folge würden weniger Treibhausg­ase wie Kohlendiox­id und Methan in die Atmosphäre entweichen.

Auf die Mammuts wartet Nikita Simow schon sehnsüchti­g. Der russische Wissenscha­ftler leitet ein riesiges Schutzgebi­et im Osten Sibiriens, wo eines Tages wieder eine Graslandsc­haft wachsen soll – wie zur letzten Eiszeit, als Mammuts durch die Region streiften. „Church hat versproche­n, dass das erste Mammut in den Pleistozän-Park kommt.“Für den Kampf gegen den Klimawande­l reiche ein einzelnes Tier aber nicht aus, sagt Simow: „Um das Klima weltweit entscheide­nd zu beeinfluss­en, braucht es Tausende, Hunderttau­sende.“

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FOTO: MARTIN SCHUTT Vorerst bleibt es bei Nachbildun­gen: Mammutskul­ptur im Park des Kunsthause­s Meyenburg in Nordhausen/Thüringen.

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