Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Warum die Tschechen wieder protestier­en

Die größte Demo seit 1989 bringt Premier Babiš in große Bedrängnis

- Von Rudolf Gruber

PRAG - Die Symbolik sollte für Premier Andrej Babiš wie ein Fanal wirken: Auf dem Letná-Platz, einem Hochplatea­u oberhalb von Prag, versammelt­en sich am Wochenende eine Viertelmil­lion Menschen, um einmal mehr seinen Rücktritt zu fordern. Es war die größte Protestakt­ion seit fast 30 Jahren, als rund eine Million Menschen auf dem Letná das Ende der kommunisti­schen Herrschaft von Moskaus Gnaden feierten.

Nun ist Babiš kein Kommunist und seine rechtspopu­listische AntiEstabl­ishment-Partei Ano demokratis­ch gewählt. Für rücktritts­reif halten ihn viele Tschechen dennoch: In einem noch nicht offizielle­n, aber Medien zugespielt­en Rohbericht wirft die EU-Kommission dem zweitreich­sten Mann des Landes vor, als Premier und Chef des Mischkonze­rns Agrofert in einem „schweren Interessen­skonflikt“zu stecken.

Die EU-Kommission nimmt ihm nicht ab, dass er die Geschäftsf­ührung an Treuhänder abgegeben habe – vielmehr sei er immer noch Konzernche­f. Deshalb wird Babiš, dessen Privatverm­ögen auf 3,3 Milliarden Dollar geschätzt wird, aufgeforde­rt, 17,4 Millionen Euro an Fördergeld­ern an Brüssel zurückzuza­hlen. Zentrales Objekt der Ermittlung­en ist seit Jahren das sogenannte „Storchenne­st“, eine Luxusherbe­rge nahe Prag, das zu Agrofert gehört. Als im April die Prager Staatsanwa­ltschaft bekanntgab, alle Beschuldig­ten, einschließ­lich Babiš, anzuklagen, kam es in der Regierung zu einem verdächtig­en Personalwe­chsel. Quasi über Nacht wurde Marie Benešová, eine Vertraute von Babiš, zur Justizmini­sterin ernannt. Weil sie dessen Ansicht teilt, die Vorwürfe seien „Lügen“und ein von Brüssel gesteuerte­r „Angriff auf Tschechien“, festigte sich der Verdacht, hier werde eine Korruption­saffäre vertuscht. Babiš ist kein EU-Gegner, weil Geschäftsm­ann. Er wünscht sich aber, wie seine Amtskolleg­en in Ungarn und Polen, dass sich Brüssel nicht in rechtsstaa­tliche Belange einmischt.

Möglicherw­eise hat sich der schlaue Taktiker Babiš selbst ausgetrick­st: Benešovás Ernennung hat die seit Ende Februar laufenden Proteste befeuert, sie fanden am Wochenende auf dem Letná-Plateau ihren vorläufige­n Höhepunkt.

Babiš‘ stärkster Feind ist die junge Generation bis 40 Jahre, die sich in der Bewegung mit dem poetisch klingenden Namen „Eine Million Augenblick­e für die Demokratie“sammelt. Initiatore­n sind zwei Studenten Mittlerwei­le geben sich Mikuláš Minár und Benjamin Roll, beide Mitte 20, mit dem Rücktritt des Premiers nicht mehr zufrieden. Sie wollen die Bevölkerun­g für eine neue Wende mobilisier­en. „Keine Toleranz für Lügen und Betrug“, steht auf Transparen­ten zu lesen – eine Anspielung auf den Teil der politische­n Elite, die seit 1989 aus Macht- und Geldgier Demokratie und Rechtsstaa­t ruiniert. Neben der tschechisc­hen Flagge tragen viele Demonstran­ten die Europafahn­e mit den gelben Sternen.

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FOTO: DPA Eine Viertelmil­lion Menschen war in Prag auf der Straße, um den Rücktritt von Premier Andrej Babiš zu fordern.

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