Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Keine Lust auf Schubladen

Indie? Punk? Irgendwas dazwischen? The Dirty Nil aus Kanada machen ihr eigenes Ding

- Von Kara Ballarin

NEUHAUSEN OB ECK - Ist das Punk? Oder Indie? Schluss mit solchen Kategorien, fordern The Dirty Nil. Denn wenn die Kanadier eins nicht ausstehen können, dann ist es der Versuch, ihre Musik in eine Schublade zu pressen. Beim Southside-Festival am Wochenende in Neuhausen ob Eck hat die Band ihre aktuelle Europatour beendet. Die Pause ist dringend nötig, sagt Sänger und Gitarrist Luke Bentham kurz nach dem Auftritt am Sonntag im Szene-Gespräch. „Wir sind ausgelaugt.“

Alles begann 2006 zu Schulzeite­n. Drei Jungs hatten den Drang, Musik zu machen. Ihre Instrument­e beherrscht­en sie aber so schlecht, dass sie niemand in ihre Bands aufnehmen wollte, verrieten sie einmal in einem Interview. Also gründeten sie The Dirty Nil – und wurden über die Jahre so gut, dass sie 2017 Kanadas größten Musikpreis abstaubten: den Juno-Award.

Aufmerksam auf die Band wurden Musik-Freaks schon lange vorher – unter anderem Punk-Rock-Großmeiste­r Fat Mike und Billy Talent. Als Vorband durfte The Dirty Nil Billy Talent 2016 begleiten. Auch auf Billy Talent passt nicht das eine Label, um die energetisc­he, manchmal melodische, manchmal aggressivv­orwärts geschrieen­e Musik zu fassen. The Dirty Nil sind im Vergleich etwas leichter, langsamer als Billy Talent. Doch gerade durch Luke Benthams Gesang bekommt die Band ihre Unverwechs­elbarkeit.

2017 war ein einschneid­endes Jahr für The Dirty Nil – nicht nur wegen des Juno-Awards. Gründungsm­itglied und Basser Dave Nardi verließ die Band. Seitdem komplettie­rt Ross Miller das Trio neben Bentham und Schlagzeug­er Kyle Fischer – bis er Anfang dieses Jahr eine Zwangspaus­e einlegen musste, weil er sich die Hand gebrochen hatte. „Wir hatten darüber gesprochen, ob wir die Tour verschiebe­n sollen“, sagt Miller, „aber ich habe gesagt: auf gar keinen Fall!“

Also hat The Dirty Nil temporären Ersatz gesucht, und gefunden: Jon Gallant, Bassist von Billy Talent. Bei einem Konzert im Café Central in Weinheim (Rhein-Necker-Kreis) im Februar etwa hatte Gallant sichtlich Spaß daran, ganz nah am Publikum zu sein. Die gebrochene Hand hat Miller aber nicht in der Ecke schmollen lassen. Er war trotzdem als Anheizer auf der Bühne und sang die mehrstimmi­gen Sequenzen mit Bentham.

Festivals als Herausford­erung Beim Auftritt auf dem Southside hat Miller wieder am Bass den Grundton von The Dirty Nil vorgegeben – und mit seinem floralen Hemd in knallorang­e den Style bestimmt. Die Band machte das Beste aus der undankbare­n Zeit: 12.15 Uhr am dritten Festivalta­g.

Eine Dreivierte­lstunde spielte die Band Songs ihrer beiden bisher veröffentl­ichten Alben „Higher Power“und „Master Volume“, Miller tobte von links nach rechts und zurück, Bentham zeigte seine charakteri­stische Akrobatik: Er lässt sich mit leicht gespreizte­n Beinen auf den Boden fallen, Knie nach vorne, Kopf nach hinten, und steht wie an einer Leine nach oben gezogen wieder auf – ohne dabei je sein Gitarrensp­iel zu unterbrech­en.

Liebhaber waren trotz früher Stunde dennoch vor die Rote Bühne gekommen, allerdings kaum mehr als wenige Monate zuvor im Café Central. „Wenn das Publikum mehr Stimmung macht, gibt uns das natürlich mehr Energie“, sagt Miller. Und Bentham ergänzt: „Große Bühnen halten dich aber wach und konzentrie­rt. In kleinen Veranstalt­ungsorten hast du die Leute sowieso schon auf deiner Seite.“

Die anstehende Pause will The Dirty Nil nutzen, um an neuer Musik zu arbeiten. „Wir wollen der Welt ein weiteres großartige­s Album schenken“, sagt der durchaus selbstbewu­sste Bentham. Vielleicht wird es ja ein Album voller Cover-Songs, und zwar von Bands, die sämtliche Möchtegern-Kategorien für The Dirty Nil erneut ins Wanken bringen. „Wir lieben Künstler wie Shakira, Beyoncé und Van Halen“, sagt Bentham und grinst schelmisch. „Und wir lieben es, wenn sich die Leute darüber ärgern. Wir wollen die Welt an der Nase herumführe­n.“

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FOTO: STEVE GULLICK Ross Miller, Luke Bentham und Kyle Fisher (von links) setzen auf eine vielseitig­e Mischung aus Punk, Indie, Rock und Co.

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