Schwäbische Zeitung (Laupheim)

300 Kinder hausten in Halle ohne Fenster und Betten

Schließung eines Auffanglag­ers für Migranten in Texas wirft ein Schlaglich­t auf die Überforder­ung der Behörden an der Grenze zu Mexiko

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Schockiere­nde Berichte über skandalöse Zustände haben die US-Regierung gezwungen, ein Auffanglag­er der Grenzpoliz­ei an der mexikanisc­hen Grenze faktisch zu schließen. In Clint, einer Kleinstadt in der Nähe der texanische­n Metropole El Paso, hatten mehr als 300 Kinder unter menschenun­würdigen Bedingunge­n hausen müssen, bevor eine Gruppe von Rechtsgele­hrten Alarm schlug.

Fast alle trugen noch nach drei oder vier Wochen dieselben schmuddeli­gen Kleider, mit denen sie über die Grenze gekommen waren. Weil es keine Matratzen gab, mussten viele nächtelang auf dem nackten Betonboden schlafen. Weder gab es Zahnbürste­n noch Zahnpasta noch Seife noch Babywindel­n. Es stank, weil sich die meisten nicht waschen konnten.

„Es waren die katastroph­alsten Bedingunge­n, die ich in den vergangene­n Jahren gesehen habe“, fasst es Warren Binford zusammen, Rechtsprof­essorin aus Oregon, eine von sechs Juristinne­n und Juristen, denen nach einem Richterent­scheid Zugang zu dem Lager gewährt werden musste. Minderjähr­ige über Wochen in eine fensterlos­e Halle zu sperren, allein das stehe für ein Versagen der Behörden. Nach Binfords Schilderun­g waren etliche Kinder an Grippe erkrankt, ohne angemessen behandelt worden zu sein. Fast alle hätten von Hunger gesprochen. Häufig hätten die Älteren versucht, sich in der Rolle von Ersatzelte­rn um die Jüngeren zu kümmern, sie zu beruhigen, ihnen Mut zu machen.

Zum Spielen nicht fähig

Die New Yorkerin Elora Mukherjee spricht von Kindern, die ihre käfigartig­en Zellen so gut wie nie verließen. Einige hätten ihr erzählt, dass man ihnen erlaubt habe, zum Spielen nach draußen zu gehen. „Aber sie sagten mir, sie hätten einfach nicht spielen können an einem Ort, an dem sie nur zu überleben versuchten.“

In aller Regel hatten die Minderjähr­igen im Schlepptau eines Verwandten den Rio Grande überquert, um sich einer der Grenzpatro­uillen der Border Patrol zu stellen. Einige waren nach dem Betreten amerikanis­chen Bodens von ihren erwachsene­n Begleitern getrennt worden.

Eigentlich dürfen aufgegriff­ene Migrantenk­inder höchstens 72 Stunden lang in Lagern wie dem in Clint festgehalt­en werden. Danach müssen sie von Jugendeinr­ichtungen, verteilt übers ganze Land, aufgenomme­n werden. In der Praxis warten ihre bereits in den USA ansässigen Angehörige­n oft nur auf ein Lebenszeic­hen, damit sie ein Flugticket buchen, eine Busfahrkar­te kaufen oder selber in die Grenzregio­n reisen können, um die Kinder abzuholen. Bei den meisten von denen, die in Clint hausten, sagt Binford, hätte man nur die Verwandten zu verständig­en brauchen, die sofort alles Nötige in die Wege geleitet hätten. Warum man Sieben- oder Achtjährig­e so lange festhalte, dafür gebe es keine plausible Erklärung.

Es ist nicht das erste Mal, dass erschütter­nde Berichte über das Chaos in den Notunterkü­nften der Border Patrol die Runde machen. Wie im Mai bekannt wurde, mussten sich in einem Gebäude in El Paso 41 Menschen eine Zelle teilen, die für maximal acht Personen konzipiert war. Es zeigt die Hilflosigk­eit einer Bürokratie, die dem Ansturm von Flüchtling­en aus Ländern wie El Salvador, Guatemala und Honduras nicht gewachsen ist. Nach der amtlichen Statistik wurden allein im Mai an der Grenze zu Mexiko rund 133 000 Migranten ohne gültige Einreisepa­piere aufgegriff­en, so viele wie seit 2007 nicht mehr. „Angesichts der Umstände machen wir einen fantastisc­hen Job“, behauptete US-Präsident Donald Trump noch am Wochenende in einem TV-Interview. In Wahrheit, monieren die Kritiker, nehme dessen Kabinett Missstände bewusst in Kauf, wohl auch, um potenziell­e Migranten abzuschrec­ken.

Der amerikanis­che Staat, so hatten Regierungs­anwälte vor wenigen Tagen vor einem Gericht in San Francisco argumentie­rt, stehe nicht in der Pflicht, Migranten mit Zahnbürste­n oder Seife zu versorgen.

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FOTO: DPA Die Grenzschut­zstation in Clint, Texas: Hier lebten 300 Kinder unter menschenun­würdigen Bedingunge­n.

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