Schwäbische Zeitung (Laupheim)
300 Kinder hausten in Halle ohne Fenster und Betten
Schließung eines Auffanglagers für Migranten in Texas wirft ein Schlaglicht auf die Überforderung der Behörden an der Grenze zu Mexiko
WASHINGTON - Schockierende Berichte über skandalöse Zustände haben die US-Regierung gezwungen, ein Auffanglager der Grenzpolizei an der mexikanischen Grenze faktisch zu schließen. In Clint, einer Kleinstadt in der Nähe der texanischen Metropole El Paso, hatten mehr als 300 Kinder unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen müssen, bevor eine Gruppe von Rechtsgelehrten Alarm schlug.
Fast alle trugen noch nach drei oder vier Wochen dieselben schmuddeligen Kleider, mit denen sie über die Grenze gekommen waren. Weil es keine Matratzen gab, mussten viele nächtelang auf dem nackten Betonboden schlafen. Weder gab es Zahnbürsten noch Zahnpasta noch Seife noch Babywindeln. Es stank, weil sich die meisten nicht waschen konnten.
„Es waren die katastrophalsten Bedingungen, die ich in den vergangenen Jahren gesehen habe“, fasst es Warren Binford zusammen, Rechtsprofessorin aus Oregon, eine von sechs Juristinnen und Juristen, denen nach einem Richterentscheid Zugang zu dem Lager gewährt werden musste. Minderjährige über Wochen in eine fensterlose Halle zu sperren, allein das stehe für ein Versagen der Behörden. Nach Binfords Schilderung waren etliche Kinder an Grippe erkrankt, ohne angemessen behandelt worden zu sein. Fast alle hätten von Hunger gesprochen. Häufig hätten die Älteren versucht, sich in der Rolle von Ersatzeltern um die Jüngeren zu kümmern, sie zu beruhigen, ihnen Mut zu machen.
Zum Spielen nicht fähig
Die New Yorkerin Elora Mukherjee spricht von Kindern, die ihre käfigartigen Zellen so gut wie nie verließen. Einige hätten ihr erzählt, dass man ihnen erlaubt habe, zum Spielen nach draußen zu gehen. „Aber sie sagten mir, sie hätten einfach nicht spielen können an einem Ort, an dem sie nur zu überleben versuchten.“
In aller Regel hatten die Minderjährigen im Schlepptau eines Verwandten den Rio Grande überquert, um sich einer der Grenzpatrouillen der Border Patrol zu stellen. Einige waren nach dem Betreten amerikanischen Bodens von ihren erwachsenen Begleitern getrennt worden.
Eigentlich dürfen aufgegriffene Migrantenkinder höchstens 72 Stunden lang in Lagern wie dem in Clint festgehalten werden. Danach müssen sie von Jugendeinrichtungen, verteilt übers ganze Land, aufgenommen werden. In der Praxis warten ihre bereits in den USA ansässigen Angehörigen oft nur auf ein Lebenszeichen, damit sie ein Flugticket buchen, eine Busfahrkarte kaufen oder selber in die Grenzregion reisen können, um die Kinder abzuholen. Bei den meisten von denen, die in Clint hausten, sagt Binford, hätte man nur die Verwandten zu verständigen brauchen, die sofort alles Nötige in die Wege geleitet hätten. Warum man Sieben- oder Achtjährige so lange festhalte, dafür gebe es keine plausible Erklärung.
Es ist nicht das erste Mal, dass erschütternde Berichte über das Chaos in den Notunterkünften der Border Patrol die Runde machen. Wie im Mai bekannt wurde, mussten sich in einem Gebäude in El Paso 41 Menschen eine Zelle teilen, die für maximal acht Personen konzipiert war. Es zeigt die Hilflosigkeit einer Bürokratie, die dem Ansturm von Flüchtlingen aus Ländern wie El Salvador, Guatemala und Honduras nicht gewachsen ist. Nach der amtlichen Statistik wurden allein im Mai an der Grenze zu Mexiko rund 133 000 Migranten ohne gültige Einreisepapiere aufgegriffen, so viele wie seit 2007 nicht mehr. „Angesichts der Umstände machen wir einen fantastischen Job“, behauptete US-Präsident Donald Trump noch am Wochenende in einem TV-Interview. In Wahrheit, monieren die Kritiker, nehme dessen Kabinett Missstände bewusst in Kauf, wohl auch, um potenzielle Migranten abzuschrecken.
Der amerikanische Staat, so hatten Regierungsanwälte vor wenigen Tagen vor einem Gericht in San Francisco argumentiert, stehe nicht in der Pflicht, Migranten mit Zahnbürsten oder Seife zu versorgen.