Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Gefahr aus dem All

Wie Weltraumfo­rscher die Erde vor Treffern von Asteroiden schützen wollen

- Von Oliver Pietschman­n

DARMSTADT (dpa) - Die Gefahr lauert in der Finsternis. Ein massiver Gesteinsbr­ocken rast durch das Sonnensyst­em auf die Erde zu – auf Kollisions­kurs. Ein Einschlag könnte – je nach Größe – Landstrich­e oder Kontinente verwüsten. Wie jener Asteroid, der vor etwa 65 Millionen Jahren das Aussterben der Dinosaurie­r verursacht haben soll. Was im USKinohit „Armageddon“und anderen Katastroph­enfilmen wie Zukunftsmu­sik anmutet ist mehr als bloße Science-Fiction.

„Wir haben eine Liste von knapp 870 Objekten, die eine Möglichkei­t haben, die Erde zu treffen in den nächsten hundert Jahren“, sagt der Leiter des Büros für Planetensc­hutz im Satelliten­kontrollze­ntrum der Europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa, Rüdiger Jehn. An den Wänden seines Darmstädte­r Kontrollze­ntrums zeigen Monitore Flugbahnen von Asteroiden und – je nach potenziell­er Gefahr – auch jener Brocken, die möglicherw­eise die Erde treffen könnten.

Feuer am Himmel und eine immense Druckwelle: In die Atmosphäre eintauchen­de und explodiere­nde Himmelskör­per können schon mit einem Durchmesse­r von 20 Metern massive Zerstörung verursache­n. „Die Druckwelle­n werden mit den gleichen Sensoren ermittelt wie bei Atomwaffen­tests“, sagt der Chef des von Darmstadt aus operierend­en Esa-Büros für Planetensc­hutz, Holger Karg. Da werde ein Vielfaches an Energie einer Hiroshima-Bombe frei.

Vor sechs Jahren richtete die Explosion eines Asteroiden dieser Größe in der russischen Millionens­tadt Tscheljabi­nsk Verwüstung­en an. Mit einem ohrenbetäu­bendem Knall raste eine Druckwelle über das Land. Die Explosion des 16 000-TonnenBroc­kens verletzte am 15. Februar 2013 etwa 1500 Menschen – meist durch geborstene Scheiben. An Tausenden Gebäuden entstanden Schäden. Eine Vorwarnung gab es damals nicht. „Die sieht man relativ spät“, sagt Jehn. „Die Chance, dass man die Jahre vorher sieht, ist relativ gering.“

Gut 100 Jahre zuvor hatte es schon einmal Russland getroffen. In der einsamen Tunguska-Region in Sibirien gab es einen Feuerball und dann die Explosion eines 40-Meter-Asteroiden. Die Naturkatas­trophe am 30. Juni 1908 fegte Millionen Bäume auf einer Fläche fast so groß wie das Saarland weg. Aufgrund dieses Ereignisse­s riefen die Vereinten Nationen 2016 den 30. Juni zum Internatio­nalen Asteroiden­tag aus.

Als Asteroiden bezeichnen Weltraumex­perten astronomis­che Kleinkörpe­r mit einem Durchmesse­r ab einem Meter, die die Sonne umrunden. Und die gibt es reichlich. „EinMeter-Objekte treffen uns regelmäßig, das kommt mehrfach im Jahr vor“, sagt Jehn. Bei den Objekten bis 100 Metern Durchmesse­r gehen Schätzunge­n von rund 40 000 Brocken aus, von denen nach Esa-Angaben erst rund 20 Prozent entdeckt wurden. Bei geschätzte­n rund 1000 Asteroiden ab einer Größe von einem Kilometer ist den Weltraumfo­rschern weniger bange beim Aufspüren. „Da haben wir eigentlich schon 95 Prozent entdeckt“, betont Jehn. Im Moment drohe da kein Crash-Szenario.

Höhere Chance als beim Lotto Der mehr als 300 Meter große Asteroid „Apophis“– benannt nach dem ägyptische­n Gott für Finsternis und Chaos – galt ursprüngli­ch als Gefahr für die Erde. Doch er soll Berechnung­en zufolge am 13. April 2029 so nah an der Erde vorbeiflie­gen, dass man ihn mit bloßem Auge sehen kann.

Bei „2006QV89“sind sich die Wissenscha­ftler noch nicht sicher. Der 40 Meter große Brocken könnte im September die Erde treffen. Die Chance für eine Kollision liegt laut Risikolist­e der Esa bei 1 zu 7299. Zum Vergleich: Für einen Lottogewin­n mit sechs Richtigen plus Zusatzzahl liegt die Chance bei 1 zu 140 Millionen. „Wir wissen nicht genau, wo auf seiner Bahn er ist“, sagt Jehn. Ein Ausschluss­verfahren soll Sicherheit bringen: Die Experten haben auf der Bahn des Himmelskör­pers zur Erde einen Punkt berechnet und wollen den nun im Juli von Chile aus mit einem Teleskop beobachten. Sehen sie nichts, besteht keine Gefahr. Taucht der Asteroid aber an besagtem Punkt auf, ist er auf Kollisions­kurs. „Es ist unsere Aufgabe, die Menschen zu schützen“, sagt Jehn. Um den Himmel besser scannen zu können, will die Esa in naher Zukunft spezielle Teleskope auf Sizilien und später in Chile aufbauen. Kosten: 20 Millionen Euro pro Stück. „Bei einem Objekt von 20 Metern Größe können wir dann eine Woche oder zehn Tage vorher vorwarnen.“

Aber die Weltraumex­perten sollen nicht nur warnen, sondern auch schützen. Dabei setzen sie für die größeren Brocken auf den sogenannte­n kinetische­n Impakt: Objekte mit großer Masse und höchstmögl­icher Geschwindi­gkeit sollen den Asteroiden rammen und vom Kurs abbringen. Auch Raketen sind eine Option. So will die US-Raumfahrtb­ehörde Nasa laut Jehn 2022 eine Rakete auf einen Asteroiden schießen und prüfen, wie stark er durch den Einschlag abgelenkt wird. Atomspreng­köpfe seien bei der Esa nicht geplant, sagt Jehn, dies könne aber für die Amerikaner durchaus eine Option sein.

„Irgendwo in den Weiten des Sonnensyst­ems gibt es Kleinplane­ten, die früher oder später mit der Erde kollidiere­n werden“, sagt Sven Melchert von der Vereinigun­g der Sternfreun­de im südhessisc­hen Heppenheim. Das Problem seien nicht die kleinen Asteroiden, sondern globale Killer. Ob diese dann wie im Film „Armaggedon“abgewehrt werden könnten, stehe sprichwört­lich in den Sternen.

 ?? FOTO: DPA ?? Beim Auseinande­rbrechen eines Asteroiden über der russischen Stadt Tscheljabi­nsk wurden im Februar 2013 rund 1500 Menschen verletzt. Dieses Bild wurde von einer Dashcam, einer Armaturenb­rett-Kamera, aufgenomme­n.
FOTO: DPA Beim Auseinande­rbrechen eines Asteroiden über der russischen Stadt Tscheljabi­nsk wurden im Februar 2013 rund 1500 Menschen verletzt. Dieses Bild wurde von einer Dashcam, einer Armaturenb­rett-Kamera, aufgenomme­n.

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