Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ein Film wie ein Gedicht
In „Das melancholische Mädchen“geht eine junge Frau auf Streifzug durch die Moderne
Beim diesjährigen Festival Max-Ophüls-Preis gewann in diesem Jahr ein Film, der von vielen Beobachtern als Schlag ins Gesicht des konventionellen Konfektionskinos empfunden wurde: „Das melancholische Mädchen“von Susanne Heinrich. Jetzt kommt die postmoderne Komödie in Rosa und Hellblau ins Kino.
Eine junge Frau in der Krise. Und auf der Suche. Sie sucht alles: eine Wohnung. Einen Mann. Sinn in ihrem Leben. Sie ist Schriftstellerin, dummerweise leidet sie gerade unter einer Schreibblockade.
Wenn man das so erzählt, könnte man glauben, „Das melancholische Mädchen“sei ein ganz normaler Film: Mit einer Figur, mit der man sich identifizieren kann, die ein Problem hat, das sich im Lauf des Films löst oder verwandelt, angesiedelt im Hier und Jetzt, erzählt mit den üblichen Verfahrensweisen, die einen Kinofilm oft so wirken lassen, wie die Fortsetzung eines Romans oder Theaterstücks mit anderen Mitteln.
Banales und Tiefsinniges
Das trifft irgendwie auch alles zu und stimmt doch überhaupt nicht. Denn dieser Film ist eher wie ein Gedicht. Ein modernes Gedicht, das sich reimen kann, aber nicht muss, das Sinn ergibt, aber nicht immer, das Banales mit Tiefsinnigem paart. Vieles bleibt dem Zuschauer überlassen.
Dieser Film ist außerdem ganz und gar selbstreflexiv, steht gewissermaßen – während er läuft – auch neben sich, kommentiert sich durch seine Figuren oder stellt sich infrage. Mit Dialogpassagen wie dieser: „Wenn das hier zum Beispiel ein Film wäre, würden wir jetzt schon all die verlieren, die sich mit der Hauptfigur identifizieren wollen. Im Film muss immer etwas passieren. Melancholischen Mädchen passiert nichts.“
Das ist Ironie pur. Trotzdem muss man der Aussage auch widersprechen. Denn im Debüt der Berliner Regisseurin Susanne Heinrich passiert eine ganze Menge. Heinrich schickt ihre Figur, die von Maria Rathscheck ausgezeichnet und mit Einfallreichtum gespielt wird, und die den ganzen Film über namenlos bleibt, weil sie eher eine Chiffre ist, in Bars und Clubs, zum Psychotherapeuten, zur Arbeit oder auch zum Beispiel aus Versehen in einen reichlich absurden, aber der Realität abgeschauten Mutterkurs.
Das alles ist von einer abgründigen Präzision, wie sie dem Realismus des gewöhnlichen deutschen Kinos widerspricht. Hier passiert alles ganz genauso, nur passiert es auf eine andere Weise und in einem anderen Stil. Dieser Stil ist sehr witzig, und sehr sinnlich, geradezu virtuos in seiner Vielfalt und Souveränität: Es gibt Passagen, die choreografiert sind wie ein Ballett, andere, die aus einer Inszenierung der Berliner Volksbühne stammen könnten, und eine, die aus einer minutenlangen Animation besteht. Die Dialoge sind oft Montagen aus Texten, die in ihrer Wirkung im Kino dann einen grotesken Humor entfalten.
Susanne Heinrich gehörte zum Kern jener Studentengruppe, die 2016 an der Berliner Filmhochschule DFFB gegen die von der Politik aufoktroyierten neuen Direktorenkandidaten rebelliert hatte. Wenn man diesen Film gesehen hat, versteht man, dass der Ophüls-Preis in Saarbrücken auch ein Preis für die alte DFFB-Tradition und ihre freigeistige Art des Filmemachens ist.
Dieses radikale Berliner Autorenkino, für das Namen wie Harun Farocki oder Christian Petzold stehen, und das international hochinteressant gefunden wird, ist der deutschen Filmkulturbürokratie nicht kommerziell genug und daher unerwünscht – die Neustrukturierungen der Berliner Filmhochschule durch den Briten Ben Gibson sind genau gegen solche Filme gerichtet.
Worum es am Ende vor allem geht: Die vom Optimierungswahn kolonisierte und zunehmend schematisierte Lebenswelt unserer Setzkasten-Gesellschaft und die sehr fein durchstrukturierte neoliberale Warenwunderwelt. Deren Kälte setzt „Das melancholische Mädchen“eine Mischung aus kühler Analyse und wohltemperiertem Humor entgegen.
Dieser Kinofilm will zwar gefallen, aber nicht um jeden Preis. Er stellt sich nicht aus, geht nicht vor dem Publikum und Geldgeber auf den Strich, wie so viele andere. Egal was man über diesen Film sonst noch sagen könnte: Er ist immer schon ein bisschen weiter.