Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ein Film wie ein Gedicht

In „Das melancholi­sche Mädchen“geht eine junge Frau auf Streifzug durch die Moderne

- Von Rüdiger Suchsland

Beim diesjährig­en Festival Max-Ophüls-Preis gewann in diesem Jahr ein Film, der von vielen Beobachter­n als Schlag ins Gesicht des konvention­ellen Konfektion­skinos empfunden wurde: „Das melancholi­sche Mädchen“von Susanne Heinrich. Jetzt kommt die postmodern­e Komödie in Rosa und Hellblau ins Kino.

Eine junge Frau in der Krise. Und auf der Suche. Sie sucht alles: eine Wohnung. Einen Mann. Sinn in ihrem Leben. Sie ist Schriftste­llerin, dummerweis­e leidet sie gerade unter einer Schreibblo­ckade.

Wenn man das so erzählt, könnte man glauben, „Das melancholi­sche Mädchen“sei ein ganz normaler Film: Mit einer Figur, mit der man sich identifizi­eren kann, die ein Problem hat, das sich im Lauf des Films löst oder verwandelt, angesiedel­t im Hier und Jetzt, erzählt mit den üblichen Verfahrens­weisen, die einen Kinofilm oft so wirken lassen, wie die Fortsetzun­g eines Romans oder Theaterstü­cks mit anderen Mitteln.

Banales und Tiefsinnig­es

Das trifft irgendwie auch alles zu und stimmt doch überhaupt nicht. Denn dieser Film ist eher wie ein Gedicht. Ein modernes Gedicht, das sich reimen kann, aber nicht muss, das Sinn ergibt, aber nicht immer, das Banales mit Tiefsinnig­em paart. Vieles bleibt dem Zuschauer überlassen.

Dieser Film ist außerdem ganz und gar selbstrefl­exiv, steht gewisserma­ßen – während er läuft – auch neben sich, kommentier­t sich durch seine Figuren oder stellt sich infrage. Mit Dialogpass­agen wie dieser: „Wenn das hier zum Beispiel ein Film wäre, würden wir jetzt schon all die verlieren, die sich mit der Hauptfigur identifizi­eren wollen. Im Film muss immer etwas passieren. Melancholi­schen Mädchen passiert nichts.“

Das ist Ironie pur. Trotzdem muss man der Aussage auch widersprec­hen. Denn im Debüt der Berliner Regisseuri­n Susanne Heinrich passiert eine ganze Menge. Heinrich schickt ihre Figur, die von Maria Rathscheck ausgezeich­net und mit Einfallrei­chtum gespielt wird, und die den ganzen Film über namenlos bleibt, weil sie eher eine Chiffre ist, in Bars und Clubs, zum Psychother­apeuten, zur Arbeit oder auch zum Beispiel aus Versehen in einen reichlich absurden, aber der Realität abgeschaut­en Mutterkurs.

Das alles ist von einer abgründige­n Präzision, wie sie dem Realismus des gewöhnlich­en deutschen Kinos widerspric­ht. Hier passiert alles ganz genauso, nur passiert es auf eine andere Weise und in einem anderen Stil. Dieser Stil ist sehr witzig, und sehr sinnlich, geradezu virtuos in seiner Vielfalt und Souveränit­ät: Es gibt Passagen, die choreograf­iert sind wie ein Ballett, andere, die aus einer Inszenieru­ng der Berliner Volksbühne stammen könnten, und eine, die aus einer minutenlan­gen Animation besteht. Die Dialoge sind oft Montagen aus Texten, die in ihrer Wirkung im Kino dann einen grotesken Humor entfalten.

Susanne Heinrich gehörte zum Kern jener Studenteng­ruppe, die 2016 an der Berliner Filmhochsc­hule DFFB gegen die von der Politik aufoktroyi­erten neuen Direktoren­kandidaten rebelliert hatte. Wenn man diesen Film gesehen hat, versteht man, dass der Ophüls-Preis in Saarbrücke­n auch ein Preis für die alte DFFB-Tradition und ihre freigeisti­ge Art des Filmemache­ns ist.

Dieses radikale Berliner Autorenkin­o, für das Namen wie Harun Farocki oder Christian Petzold stehen, und das internatio­nal hochintere­ssant gefunden wird, ist der deutschen Filmkultur­bürokratie nicht kommerziel­l genug und daher unerwünsch­t – die Neustruktu­rierungen der Berliner Filmhochsc­hule durch den Briten Ben Gibson sind genau gegen solche Filme gerichtet.

Worum es am Ende vor allem geht: Die vom Optimierun­gswahn kolonisier­te und zunehmend schematisi­erte Lebenswelt unserer Setzkasten-Gesellscha­ft und die sehr fein durchstruk­turierte neoliberal­e Warenwunde­rwelt. Deren Kälte setzt „Das melancholi­sche Mädchen“eine Mischung aus kühler Analyse und wohltemper­iertem Humor entgegen.

Dieser Kinofilm will zwar gefallen, aber nicht um jeden Preis. Er stellt sich nicht aus, geht nicht vor dem Publikum und Geldgeber auf den Strich, wie so viele andere. Egal was man über diesen Film sonst noch sagen könnte: Er ist immer schon ein bisschen weiter.

 ?? FOTO: DPA- ?? Marie Rathscheck spielt das melancholi­sche Mädchen, das auf absurde Figuren trifft. Der preisgekrö­nte Film kommt am Donnerstag in die deutschen Kinos.
FOTO: DPA- Marie Rathscheck spielt das melancholi­sche Mädchen, das auf absurde Figuren trifft. Der preisgekrö­nte Film kommt am Donnerstag in die deutschen Kinos.

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