Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Grün, rotköpfig und vor allem gefräßig

Eric Carle hat die kleine Raupe Nimmersatt vor 50 Jahren erschaffen

- Von Nina Schmedding

HANNOVER (KNA) - Erst frisst sich das Tierchen durch das Obst, dann nagt es an Wurst, Käse, Lolli und Kuchen. Rund, satt und mit leicht drückendem Bauch verpuppt es sich und wird ein schöner Schmetterl­ing. Seit 50 Jahren erfreut das Lochbilder­buch „Die kleine Raupe Nimmersatt“Kinder in der ganzen Welt. Der deutschame­rikanische Zeichner Eric Carle, der in diesem Monat seinen 90. Geburtstag feiert, hat sie erfunden. Der Bilderbuch­klassiker erschien im amerikanis­chen Original im Jahr 1969 und wurde seitdem rund 50 Millionen Mal verkauft und in 64 Sprachen übersetzt.

„Ein Buch zum Anfassen und Fühlen, ein Spielzeug, das man lesen kann“, so beschreibt es Carle selbst in seiner Autobiogra­fie „Mein Weg zum Kinderbuch“. Die Löcher, die die fressgieri­ge Raupe hinterläss­t, baut er als haptische Erfahrung in seine Bildergesc­hichte ein. Das Kind sieht nicht nur die Raupe – es „wird vielmehr zur Raupe selbst, indem es seine Finger in die Löcher steckt und den abenteuerl­ichen Vorgang der Geschichte, die mit der Raupe passiert, erlebt und erleidet“. So beschreibt es treffend Viktor Christen, ehemaliger Leiter des Gerstenber­gVerlags, der Carles Bücher entdeckt und erstmals in deutscher Sprache veröffentl­icht hat.

Raupen, Ameisen, Käfer, Spinnen, Würmer – bereits als kleiner Junge ist Carle von Insekten fasziniert: „Ich erinnere mich noch genau an die Begeisteru­ng, mit der ich Steine hochgehobe­n oder Rinde von toten Bäumen abgekratzt habe, um die winzigen Lebewesen zu beobachten, die dort aufgeregt hin und her krabbelten“, so der Zeichner. Neben der kleinen Raupe erweckte er als Erwachsene­r zahlreiche Kleintiere per Bild zum Leben, darunter „Die kleine Spinne spinnt und schweigt“oder „Der kleine Käfer Immerfrech“. Seine Motivation: Durch das in seinen Büchern spielerisc­h vermittelt­e Wissen möchte er – der selbst äußerst ungern zur Schule ging – Kindern den Übergang vom Elternhaus zum Schulallta­g erleichter­n.

1929 wurde Eric Carle im amerikanis­chen Syracuse als Kind von deutschen Einwandere­rn geboren. 1935 zog er als Junge von sechs Jahren wieder zurück nach Deutschlan­d, zu seiner Großmutter nach Stuttgart – ein ungewöhnli­cher Schritt in einer Zeit, in der zahlreiche Menschen versuchten, aus Nazi-Deutschlan­d zu emigrieren.

Bereits als Schüler entwickelt Carle künstleris­ches Talent. Seine Begabung fällt auch seinem Zeichenleh­rer „Herrn Krauss“auf und er lädt Eric ein, ihn in seiner Wohnung zu besuchen. Dort zeigt er ihm – heimlich – Reprodukti­onen von Werken von Picasso, Matisse, Kandinsky und Klee, die damals als „entartete Kunst“gelten. Carle ist beeindruck­t von ihrer „fremdartig­en Schönheit“, wie er später in seinen Erinnerung­en schreibt.

Nach dem Abschluss der Kunsthochs­chule Stuttgart kehrt Carle mit 22 Jahren in die USA zurück und arbeitet als Werbedesig­ner. Er fängt an, mit Seidenpapi­er zu experiment­ieren – eine Technik, die später zu seinem Markenzeic­hen werden sollte. 1967 illustrier­t er sein erstes Kinderbuch, zahlreiche weitere folgen. 2002 eröffnet er in Massachuse­tts, „The Eric Carle Museum of Picture Book Art“, ein Museum für internatio­nale Bilderbuch­kunst.

In Hannover werden bis Ende September Originalar­beiten des Künstlers gezeigt.

„Ein Buch zum Anfassen und Fühlen, ein Spielzeug, das man lesen kann.“ Eric Carle über die Geschichte der kleinen Raupe Nimmersatt

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FOTO: DPA Modell auf Rollen: die kleine Raupe Nimmersatt.

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