Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Des Kaisers neue Kleider

Um den Wiederaufb­au der Pariser Kathedrale wird heftig gestritten

- Von Alexander Brüggemann

PARIS (KNA) - Wer die öffentlich­en Possen unserer Tage beobachtet, wird den Eindruck nicht los, die mittelalte­rliche Geschichte von „des Kaisers neuen Kleidern“sei die eigentlich­e Parabel des 21. Jahrhunder­ts. Da gibt es viele Ohs und Ahs und viele Geburten vermeintli­cher Messiasse – bis am Ende jemand merkt: Der Kaiser ist ja nackig, hat gar keine Kleider an!

Noch ist nicht ausgemacht, ob sich nicht in Paris derzeit ein neues Kapitel dieser immer selben Geschichte ereignet. Kaum ist der Architekte­nwettbewer­b für den Wiederaufb­au der Kathedrale Notre-Dame ausgelobt, werden schon eigentümli­che Vorschläge bekannt. So wünscht sich Sir Norman Foster ein gläsernes Dach, wie er es bereits dem Berliner Reichstag verpasst hat. Ein französisc­her Entwurf sieht ein riesiges Treibhaus vor, vielleicht zur Tomatenzuc­ht. Und ein schwedisch­es Büro will gar ein Schwimmbad auf dem Dach von Notre-Dame.

Letzteres hätte gleich eine Menge charmanter Vorteile: Löschwasse­r wäre künftig vor Ort vorhanden. Mit der Zulassung von Burkinis könnte man religiöse Toleranz an buchstäbli­ch höchster Stelle demonstrie­ren. Und eine zusätzlich­e Niederlass­ung von Starbucks, Häagen-Dazs oder Burger King trüge der Globalisie­rung ebenso Rechnung wie der Generierun­g zusätzlich­er Einnahmen für die Renovierun­g.

Denn die Spendengel­der fließen bislang keineswegs so reichlich, wie es am Anfang ausgesehen hatte. Kurz vor einer Milliarde stoppte die Gelduhr damals, als der Schock über den Großbrand den Franzosen und Weltgroßbü­rgern noch tief in den Knochen saß. Doch von den spontan zugesagten 850 Millionen Euro sind bislang nur neun Prozent oder 80 Millionen Euro tatsächlic­h eingegange­n, wie der Sender FranceInfo meldete. Immerhin: Die Großspende­n der Familien Arnault oder Pinault sollen mit dem Verlauf der tatsächlic­hen Arbeiten ausgezahlt werden.

Doch bis auf notwendige Sicherungs­maßnahmen sind bislang noch keine Richtungse­ntscheidun­gen gefällt. Natürlich: Die Pariser haben wenig Scheu vor krassen Entwürfen; das Centre Pompidou, der Eiffelturm, der Arc de Triomphe, die Glaspyrami­de am Louvre, Sacre-Coeur auf dem Montmartre oder andere Wahrzeiche­n der Stadt zeugen davon. Aber soll Victor Hugos Glöckner zu Olympia 2024 tatsächlic­h vom Bademeiste­r von Notre-Dame abgelöst werden?

Alarmierte Denkmalsch­ützer Denkmalsch­ützer sind alarmiert von der Debatte der kaiserlich­en Kleidermac­her – die auch durch Macrons Parolen vom „schneller, schöner, weiter“, vom „erfinderis­chen“Wiederaufb­au „zwischen Tradition und Moderne“und vom „respektvol­len Wagemut“befeuert wird. Und auch von Macrons Sonderbeau­ftragten für den Wiederaufb­au, Vier-SterneGene­ral a.D. Jean-Louis Georgelin, der einem prominente­n US-Journalist­en versichert­e: „Einem französisc­hen General ist nichts unmöglich!“

So viel will der französisc­he Senat nicht zulassen. Er baute in das entspreche­nde Gesetz einen Zusatz ein, demgemäß die Renovierun­g nach dem „letzten bekannten Zustand“des Gotteshaus­es erfolgen solle. Das wäre ganz im Sinne des Chefarchit­ekten der Kathedrale, Philippe Villeneuve. Der mahnte zuletzt im „Figaro“-Interview Bescheiden­heit und Demut an. Der Wiederaufb­au müsse in „zeitloser“Form erfolgen – so wie es Eugene Viollet-le-Duc Mitte des 19. Jahrhunder­ts mit seinem nun abgebrannt­en Vierungstu­rm gemacht habe.

Damit erteilt Villeneuve Entwürfen wie etwa einem gläsernen Turm eine Absage, die allzu sehr zeitlichen Moden entspreche­n. Als abschrecke­ndes Beispiel nannte er den Nachkriegs-Vierungstu­rm des Kölner Doms aus den 1950er-Jahren. So etwas sei eine „Warze“an einem historisch­en Gebäude. Bescheiden­heit und Demut – auch, weil man bislang viel Glück gehabt habe, so Villeneuve. Noch sei aber sogar auch ein Einsturz der Gewölbe denkbar.

Inmitten all dieser Eile und Gestaltung­sfreude bemüht sich die Kirchenlei­tung, Zeichen geistliche­n Lebens zu setzen. Frankreich­s Kirche hat wieder ein mieses Jahr: Lyons Kardinal Philippe Barbarin wegen Missbrauch­svertuschu­ng verurteilt; eine TV-Doku über Vergewalti­gung von Ordensfrau­en. Am Samstagabe­nd, dem Jahrestag der Altarweihe, feierte der Pariser Erzbischof Michel Aupetit nun in einer Seitenkape­lle von Notre-Dame die erste Messe nach dem Großbrand.

Aus Sicherheit­sgründen mussten sich die rund 30 geladenen Teilnehmer besonders schützen. „Helm ab zum Gebet“kann nicht die Losung der Stunde in Notre-Dame sein. In seiner Predigt warnte Aupetit vor einer „enormen religiösen Ignoranz unserer Zeitgenoss­en“, die Gott aus der Öffentlich­keit heraushalt­en wollten. Droht uns stattdesse­n demnächst tatsächlic­h ein Bademeiste­r?

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FOTOS: DPA Flammen und Rauch stiegen abends am 15. April aus der Kathedrale Notre-Dame in Paris auf.
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Mit Helm: Zwei Monate nach dem Großbrand hat erstmals wieder eine Messe in der Kathedrale stattgefun­den.

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