Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Des Kaisers neue Kleider
Um den Wiederaufbau der Pariser Kathedrale wird heftig gestritten
PARIS (KNA) - Wer die öffentlichen Possen unserer Tage beobachtet, wird den Eindruck nicht los, die mittelalterliche Geschichte von „des Kaisers neuen Kleidern“sei die eigentliche Parabel des 21. Jahrhunderts. Da gibt es viele Ohs und Ahs und viele Geburten vermeintlicher Messiasse – bis am Ende jemand merkt: Der Kaiser ist ja nackig, hat gar keine Kleider an!
Noch ist nicht ausgemacht, ob sich nicht in Paris derzeit ein neues Kapitel dieser immer selben Geschichte ereignet. Kaum ist der Architektenwettbewerb für den Wiederaufbau der Kathedrale Notre-Dame ausgelobt, werden schon eigentümliche Vorschläge bekannt. So wünscht sich Sir Norman Foster ein gläsernes Dach, wie er es bereits dem Berliner Reichstag verpasst hat. Ein französischer Entwurf sieht ein riesiges Treibhaus vor, vielleicht zur Tomatenzucht. Und ein schwedisches Büro will gar ein Schwimmbad auf dem Dach von Notre-Dame.
Letzteres hätte gleich eine Menge charmanter Vorteile: Löschwasser wäre künftig vor Ort vorhanden. Mit der Zulassung von Burkinis könnte man religiöse Toleranz an buchstäblich höchster Stelle demonstrieren. Und eine zusätzliche Niederlassung von Starbucks, Häagen-Dazs oder Burger King trüge der Globalisierung ebenso Rechnung wie der Generierung zusätzlicher Einnahmen für die Renovierung.
Denn die Spendengelder fließen bislang keineswegs so reichlich, wie es am Anfang ausgesehen hatte. Kurz vor einer Milliarde stoppte die Gelduhr damals, als der Schock über den Großbrand den Franzosen und Weltgroßbürgern noch tief in den Knochen saß. Doch von den spontan zugesagten 850 Millionen Euro sind bislang nur neun Prozent oder 80 Millionen Euro tatsächlich eingegangen, wie der Sender FranceInfo meldete. Immerhin: Die Großspenden der Familien Arnault oder Pinault sollen mit dem Verlauf der tatsächlichen Arbeiten ausgezahlt werden.
Doch bis auf notwendige Sicherungsmaßnahmen sind bislang noch keine Richtungsentscheidungen gefällt. Natürlich: Die Pariser haben wenig Scheu vor krassen Entwürfen; das Centre Pompidou, der Eiffelturm, der Arc de Triomphe, die Glaspyramide am Louvre, Sacre-Coeur auf dem Montmartre oder andere Wahrzeichen der Stadt zeugen davon. Aber soll Victor Hugos Glöckner zu Olympia 2024 tatsächlich vom Bademeister von Notre-Dame abgelöst werden?
Alarmierte Denkmalschützer Denkmalschützer sind alarmiert von der Debatte der kaiserlichen Kleidermacher – die auch durch Macrons Parolen vom „schneller, schöner, weiter“, vom „erfinderischen“Wiederaufbau „zwischen Tradition und Moderne“und vom „respektvollen Wagemut“befeuert wird. Und auch von Macrons Sonderbeauftragten für den Wiederaufbau, Vier-SterneGeneral a.D. Jean-Louis Georgelin, der einem prominenten US-Journalisten versicherte: „Einem französischen General ist nichts unmöglich!“
So viel will der französische Senat nicht zulassen. Er baute in das entsprechende Gesetz einen Zusatz ein, demgemäß die Renovierung nach dem „letzten bekannten Zustand“des Gotteshauses erfolgen solle. Das wäre ganz im Sinne des Chefarchitekten der Kathedrale, Philippe Villeneuve. Der mahnte zuletzt im „Figaro“-Interview Bescheidenheit und Demut an. Der Wiederaufbau müsse in „zeitloser“Form erfolgen – so wie es Eugene Viollet-le-Duc Mitte des 19. Jahrhunderts mit seinem nun abgebrannten Vierungsturm gemacht habe.
Damit erteilt Villeneuve Entwürfen wie etwa einem gläsernen Turm eine Absage, die allzu sehr zeitlichen Moden entsprechen. Als abschreckendes Beispiel nannte er den Nachkriegs-Vierungsturm des Kölner Doms aus den 1950er-Jahren. So etwas sei eine „Warze“an einem historischen Gebäude. Bescheidenheit und Demut – auch, weil man bislang viel Glück gehabt habe, so Villeneuve. Noch sei aber sogar auch ein Einsturz der Gewölbe denkbar.
Inmitten all dieser Eile und Gestaltungsfreude bemüht sich die Kirchenleitung, Zeichen geistlichen Lebens zu setzen. Frankreichs Kirche hat wieder ein mieses Jahr: Lyons Kardinal Philippe Barbarin wegen Missbrauchsvertuschung verurteilt; eine TV-Doku über Vergewaltigung von Ordensfrauen. Am Samstagabend, dem Jahrestag der Altarweihe, feierte der Pariser Erzbischof Michel Aupetit nun in einer Seitenkapelle von Notre-Dame die erste Messe nach dem Großbrand.
Aus Sicherheitsgründen mussten sich die rund 30 geladenen Teilnehmer besonders schützen. „Helm ab zum Gebet“kann nicht die Losung der Stunde in Notre-Dame sein. In seiner Predigt warnte Aupetit vor einer „enormen religiösen Ignoranz unserer Zeitgenossen“, die Gott aus der Öffentlichkeit heraushalten wollten. Droht uns stattdessen demnächst tatsächlich ein Bademeister?