Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Weber, Wembley, Wadenbein
Er ärgerte sich als Erster über das Wembley-Tor – Zum 75. Geburtstag des Nationalspielers
KÖLN (SID) - Der Jubel in Wembley schwoll zum Orkan, glückliche Engländer wohin man blickte. Und Wolfgang Weber musste etwas unternehmen. Ungläubig lief der deutsche Verteidiger auf Bobby Charlton zu, „es gab einen regelrechten Kampf, ich wollte seine Arme runterreißen“, erinnert er sich, „denn es gab ja keinen Grund zum Feiern.“
Wolfgang Weber war sich ganz sicher. Schon damals, am 30. Juli 1966, schon im ersten Moment. Beim umstrittensten Tor der Fußballgeschichte stand er in der ersten Reihe – und konnte doch nichts ändern. Deutschland verlor das WM-Finale gegen die Gastgeber (2:4 n.V.) vor allem wegen des legendären Treffers, der keiner war.
Am Mittwoch nun feiert „Bulle“Weber seinen 75. Geburtstag, „mit einigen wenigen Leuten direkt am Rhein, in meiner Heimat Köln-Porz“, sagte er: „Ich bin kein großes Feierbiest.“Und wenn er zu einem solchen Anlass Rückschau hält, dann fühlt sich „das emotionalste und wichtigste Spiel“seiner Karriere noch immer an wie eine geraubte Chance. Zumal Weber selbst das Team um Franz Beckenbauer und Uwe Seeler mit seinem Tor zum 2:2 in die Verlängerung gerettet hatte.
Längst überwiegt aber der Stolz. „Wir haben eine tolle Weltmeisterschaft gespielt“, sagt Weber, „und wir sind erhobenen Hauptes da rausgegangen. Wir haben die Entscheidung zum Wembley-Tor dann ja auch akzeptiert, waren fair und anständig. Und ich glaube, das hat die Deutschen rund 20 Jahre nach dem Krieg noch mal in ein besseres Licht gerückt. Das hat auch einen Wert für mich.“
Der Zweite Weltkrieg tobte noch, als Weber am 26. Juni 1944 in Pommern zur Welt kam. 1950 siedelte er mit den Eltern nach Porz über, der Fußball packte ihn, als Deutschland erstmals Weltmeister wurde.
„Am 4. Juli 1954 habe ich in der Vereinsgaststätte der Sportvereinigung Porz das Finale gesehen und bin sofort in den Verein eingetreten“, sagt er. 1961 wurde der 1. FC Köln auf den Verteidiger aufmerksam, und diesen Club sollte Weber als Spieler nicht mehr verlassen. 356 Spiele bestritt Weber in 14 Jahren Bundesliga (21 Tore), wurde zweimal deutscher Meister und dreimal Pokalsieger.
Sein Spitzname „Bulle“kam nicht von ungefähr, er war stets hart zu den Gegenspielern – und hart zu sich selbst. Unvergessen bleibt da der Auftritt im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister 1965. Gegen den FC Liverpool erlitt Weber in Rotterdam vor der Pause einen Wadenbeinbruch, schleppte sich in die Halbzeit. In der Kabine gab es eine schmerzstillende Spritze, Weber wurde von Mannschaftsarzt Dr. Peter Bohne aufgefordert, doch bitte von der Massagebank zu springen. Diesen Belastungstest bestand er mit schmerzverzerrtem Gesicht – und hielt danach noch 75 Minuten durch.
„Die Mannschaft hat mit zehn Mann plus zehn Prozent Wolfgang Weber aus einem 0:2 noch ein 2:2 gemacht, das war eine grandiose Leistung der anderen“, sagt Weber – und am Ende entschied der legendäre Münzwurf dann doch gegen den FC. Nach zwei torlosen Begegnungen und dem Remis im Entscheidungsspiel blieb die Münze doch tatsächlich hochkant im Morast stecken. Erst der zweite Wurf machte Liverpool dann zum Sieger.
Wembley, Wadenbein, Münzwurf, Wolfgang Weber hat also einiges zu erzählen. „Das sind schöne Geschichten, aber leider habe ich die Dinger ja alle verloren. Da muss man erstmal drüber hinwegkommen“, sagt er. Und lacht herzlich. Auch das umstrittenste Tor der Fußballgeschichte hat Weber nicht seinen Humor geraubt.
„Das sind schöne Geschichten, aber leider habe ich die Dinger ja alle verloren.“Wolfgang Weber