Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Alles für Kovac!
Bayern stellt für den Trainer, im Mai noch um den Job bangend, die Hierarchie auf den Kopf
MÜNCHEN - Im Fußball ist wenig so alt ist wie das Geschwätz von gestern. Kommunikative Kehrtwenden gehören zum Spiel wie die Finten auf dem Rasen. Aus einem: „Wenn sie wüssten, was wir alles schon sicher haben für die neue Saison“(Uli Hoeneß, Februar 2019) wird also: „Langsam geht mir das auf die Nerven, dass man sich nur noch über Käufe definiert“(Hoeneß, Juni 2019). Das heißt aber auch: Ein Trainer, der noch im Mai trotz zweier Titel vor Augen um seine Weiterbeschäftigung bangen musste, kann im Juni so großen Einfluss haben wie nie.
Beim FC Bayern München heißt es dieser Tage: Alles für Kovac! Die Verpflichtung des neuen Co-Trainers Hansi Flick sei „ein ausdrücklicher Wunsch von Niko Kovac“gewesen, erläuterte Bayerns Präsident Uli Hoeneß am Sonntag.
Loyalität als Einstellungskriterium Flick, der langjährige Co-Trainer der Nationalmannschaft und Bayerns Trainer Kovac kennen sich tatsächlich schon lange: Als Kovac von 2006 bis 2009 seine Profikarriere bei Red Bull Salzburg ausklingen ließ, arbeitete Flick dort dem damaligen Cheftrainer Giovanni Trapattoni zu. Der Kontakt zwischen den beiden sei nie abgerissen, heißt es aus dem Umfeld des Rekordmeisters.
Vor allem zum Ende der abgelaufenen Saison, als es für ihn Spitz auf Knopf stand und als er auch von Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge recht unverhohlen infrage gestellt wurde, betonte Kovac immer wieder, wie „schwierig es ist, Mensch zu bleiben“. Bayerns Trainer sind Werte sehr wichtig. Dazu gehört auch Loyalität. Dass sein erster CoTrainer Robert Kovac auch sein Bruder ist, überrascht da kaum mehr.
Insofern könnte Flick, auch ohne verwandtschaftliche Beziehung, in der Tat der ideale Co-Trainer für Kovac sein. „Niko Kovac wird da einen absolut kompetenten, loyalen CoTrainer bei sich haben“, sagte etwa Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff, als er von Flicks Verpflichtung hörte. Dass Hoeneß schon seit Jahren Fan Flicks, der als absoluter Taktik-Experte gilt, sein soll und dieser dem Vernehmen nach schon eine Rolle in den strategischen Überlegungen des Präsidenten spielte, ist sicher kein Nachteil: Flick war zuletzt 2005 Cheftrainer, er fühlt sich wohl als Assistent.
Auch beim nötigen, aber nun doch sehr umfassenden und noch längst nicht abgeschlossenem Umbau des Kaders ist Kovac’ zunehmender Einfluss beim Rekordmeister spürbar. Während Kovac vor der vergangenen Saison nur marginales Mitspracherecht bei der Zusammenstellung des Kaders hatte – die Zugänge Leon Goretzka und Serge Gnabry standen schon vorher fest, den Verkauf des bisweilen zur Disziplinlosigkeit neigenden Mentalitätsspielers Arturo Vidal beschlossen die Bosse – tragen die Kaderaktivitäten nun die Handschrift des Trainers.
Die Trainerkritiker Rafinha und James haben den Verein verlassen, letzterer sogar, obwohl Rummenigge sich mehrmals als Fan des Kolumbianers geoutet hat. Jérôme Boateng und Renato Sanches, auch nicht gerade Trainerfreunde, sollen noch weg. Franck Ribéry, Arjen Robben und Mats Hummels waren zwar keine ausgewiesenen Kovac-Kritiker, hätten aber solche werden können, wenn sie weniger gespielt hätten, als sie ihrer Meinung nach verdient gehabt hätten.
Für den Trainer stellen die Münchner derzeit aber auch die Hierarchie des Teams auf den Kopf. Es sind ja nicht nur einige der prägenden Figuren der vergangenen jahre weg, sonndern auch die Meinungsführer. Die Hierarchie in der Mannschaft – nach aktuellem Stand, der Kader ist momentan ein Rohbau.
Unumstrittene Häuptlinge: Manuel Neuer ist als Kapitän und Weltmeister klar. Jedoch ist er zunehmend verletzungsanfällig und noch nie Lautsprecher gewesen. Im Gegensatz zu Thomas Müller, dem letzten echten Bayern in der Mannschaft, dessen Zeiten als Immerspieler aber vorbei sind. Aufgestiegen in die Führungsriege ist Joshua Kimmich, nicht nur, weil der Bösinger Immerspieler ist. Galt er letzte Saison schon als eine Art Kapitän der Jungen, ist er nun der Kapitän der Zukunft. Ein geborener Leader, nie zufrieden, gnadenlos direkt, schonungslos seinen Mitspielern gegenüber, aber auch zu sich selbst. Stellte sich im Mai demonstrativ hinter den Trainer, würde aber wohl den Konflikt nicht scheuen, sollte er bei Bayern weiter nicht auf seiner Lieblingsposition im Mittelfeld randürfen.
Spieler mit Führungsanspruch: Niklas Süle, der die neue Nummer 1 in der Abwehr werden soll, Torjäger Robert Lewandowski, die erfahrenen Javi Martínez und Thiago. Und: Neuzugang Lucas Hernández, der das Zeug hat, zu Kovac’ Lieblingen zu werden, wenn er die bedingungslos kämpferische Mentalität seines bisherigen Clubs Atlético Madrid mit nach München nehmen kann.
Indianer: Leon Goretzka, Correntin Tolisso, Sven Ulreich, David Alaba, Kingsley Coman, Serge Gnabry, Benjamin Pavard.
Talente: Alphonso Davis, Jann-Fiete Arp, Christian Früchtl, Ron-Thorben Hoffmann, Meritan Sahabani, Lars Lukas Mai.