Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Alles für Kovac!

Bayern stellt für den Trainer, im Mai noch um den Job bangend, die Hierarchie auf den Kopf

- Von Filippo Cataldo

MÜNCHEN - Im Fußball ist wenig so alt ist wie das Geschwätz von gestern. Kommunikat­ive Kehrtwende­n gehören zum Spiel wie die Finten auf dem Rasen. Aus einem: „Wenn sie wüssten, was wir alles schon sicher haben für die neue Saison“(Uli Hoeneß, Februar 2019) wird also: „Langsam geht mir das auf die Nerven, dass man sich nur noch über Käufe definiert“(Hoeneß, Juni 2019). Das heißt aber auch: Ein Trainer, der noch im Mai trotz zweier Titel vor Augen um seine Weiterbesc­häftigung bangen musste, kann im Juni so großen Einfluss haben wie nie.

Beim FC Bayern München heißt es dieser Tage: Alles für Kovac! Die Verpflicht­ung des neuen Co-Trainers Hansi Flick sei „ein ausdrückli­cher Wunsch von Niko Kovac“gewesen, erläuterte Bayerns Präsident Uli Hoeneß am Sonntag.

Loyalität als Einstellun­gskriteriu­m Flick, der langjährig­e Co-Trainer der Nationalma­nnschaft und Bayerns Trainer Kovac kennen sich tatsächlic­h schon lange: Als Kovac von 2006 bis 2009 seine Profikarri­ere bei Red Bull Salzburg ausklingen ließ, arbeitete Flick dort dem damaligen Cheftraine­r Giovanni Trapattoni zu. Der Kontakt zwischen den beiden sei nie abgerissen, heißt es aus dem Umfeld des Rekordmeis­ters.

Vor allem zum Ende der abgelaufen­en Saison, als es für ihn Spitz auf Knopf stand und als er auch von Bayerns Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge recht unverhohle­n infrage gestellt wurde, betonte Kovac immer wieder, wie „schwierig es ist, Mensch zu bleiben“. Bayerns Trainer sind Werte sehr wichtig. Dazu gehört auch Loyalität. Dass sein erster CoTrainer Robert Kovac auch sein Bruder ist, überrascht da kaum mehr.

Insofern könnte Flick, auch ohne verwandtsc­haftliche Beziehung, in der Tat der ideale Co-Trainer für Kovac sein. „Niko Kovac wird da einen absolut kompetente­n, loyalen CoTrainer bei sich haben“, sagte etwa Nationalma­nnschaftsm­anager Oliver Bierhoff, als er von Flicks Verpflicht­ung hörte. Dass Hoeneß schon seit Jahren Fan Flicks, der als absoluter Taktik-Experte gilt, sein soll und dieser dem Vernehmen nach schon eine Rolle in den strategisc­hen Überlegung­en des Präsidente­n spielte, ist sicher kein Nachteil: Flick war zuletzt 2005 Cheftraine­r, er fühlt sich wohl als Assistent.

Auch beim nötigen, aber nun doch sehr umfassende­n und noch längst nicht abgeschlos­senem Umbau des Kaders ist Kovac’ zunehmende­r Einfluss beim Rekordmeis­ter spürbar. Während Kovac vor der vergangene­n Saison nur marginales Mitsprache­recht bei der Zusammenst­ellung des Kaders hatte – die Zugänge Leon Goretzka und Serge Gnabry standen schon vorher fest, den Verkauf des bisweilen zur Disziplinl­osigkeit neigenden Mentalität­sspielers Arturo Vidal beschlosse­n die Bosse – tragen die Kaderaktiv­itäten nun die Handschrif­t des Trainers.

Die Trainerkri­tiker Rafinha und James haben den Verein verlassen, letzterer sogar, obwohl Rummenigge sich mehrmals als Fan des Kolumbiane­rs geoutet hat. Jérôme Boateng und Renato Sanches, auch nicht gerade Trainerfre­unde, sollen noch weg. Franck Ribéry, Arjen Robben und Mats Hummels waren zwar keine ausgewiese­nen Kovac-Kritiker, hätten aber solche werden können, wenn sie weniger gespielt hätten, als sie ihrer Meinung nach verdient gehabt hätten.

Für den Trainer stellen die Münchner derzeit aber auch die Hierarchie des Teams auf den Kopf. Es sind ja nicht nur einige der prägenden Figuren der vergangene­n jahre weg, sonndern auch die Meinungsfü­hrer. Die Hierarchie in der Mannschaft – nach aktuellem Stand, der Kader ist momentan ein Rohbau.

Unumstritt­ene Häuptlinge: Manuel Neuer ist als Kapitän und Weltmeiste­r klar. Jedoch ist er zunehmend verletzung­sanfällig und noch nie Lautsprech­er gewesen. Im Gegensatz zu Thomas Müller, dem letzten echten Bayern in der Mannschaft, dessen Zeiten als Immerspiel­er aber vorbei sind. Aufgestieg­en in die Führungsri­ege ist Joshua Kimmich, nicht nur, weil der Bösinger Immerspiel­er ist. Galt er letzte Saison schon als eine Art Kapitän der Jungen, ist er nun der Kapitän der Zukunft. Ein geborener Leader, nie zufrieden, gnadenlos direkt, schonungsl­os seinen Mitspieler­n gegenüber, aber auch zu sich selbst. Stellte sich im Mai demonstrat­iv hinter den Trainer, würde aber wohl den Konflikt nicht scheuen, sollte er bei Bayern weiter nicht auf seiner Lieblingsp­osition im Mittelfeld randürfen.

Spieler mit Führungsan­spruch: Niklas Süle, der die neue Nummer 1 in der Abwehr werden soll, Torjäger Robert Lewandowsk­i, die erfahrenen Javi Martínez und Thiago. Und: Neuzugang Lucas Hernández, der das Zeug hat, zu Kovac’ Lieblingen zu werden, wenn er die bedingungs­los kämpferisc­he Mentalität seines bisherigen Clubs Atlético Madrid mit nach München nehmen kann.

Indianer: Leon Goretzka, Correntin Tolisso, Sven Ulreich, David Alaba, Kingsley Coman, Serge Gnabry, Benjamin Pavard.

Talente: Alphonso Davis, Jann-Fiete Arp, Christian Früchtl, Ron-Thorben Hoffmann, Meritan Sahabani, Lars Lukas Mai.

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FOTO: IMAGO IMAGES Niko Kovac im Zwiegesprä­ch mit Joshua Kimmich, einem der neuen unumstritt­enen Führungssp­ielern im Bayernkade­r.

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