Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Was geschah im Wäldchen?

Elf junge Männer stehen in Freiburg wegen Vergewalti­gung einer jungen Frau vor Gericht – Der Fall wurde zum Politikum

- Von Dirk Grupe

FREIBURG - Majd H. hat ein schmales Gesicht und eine hohe Stirn, er trägt Jeans, Poloshirt und Turnschuhe. Seinen linken Arm zieren geschwunge­ne Tattoos. Äußerlich unterschei­det sich der 22-Jährige kaum von anderen jungen Männern in seinem Alter. Mit einer Ausnahme: Majd H. trägt an diesem Tag im Landgerich­t Freiburg auch Fußfesseln. Und er gilt nicht wenigen als der personifiz­ierte Alptraum.

Ein Alptraum für die Polizei, die den Intensivtä­ter, so der Vorwurf, nicht rechtzeiti­g dingfest gemacht habe. Für die Politik, die einmal mehr auf brutale Weise in der Flüchtling­spolitik versagt habe. Für die Stadt Freiburg, die ihren Ruf als friedliebe­nde Breisgaume­tropole endgültig zertrümmer­t sieht. Nicht zuletzt und vor allem gilt Majd H. jener 18-Jährigen als Alptraum, die er zusammen mit Freunden und Bekannten stundenlan­g vergewalti­gt haben soll.

Als das mutmaßlich­e Verbrechen im Herbst vergangene­n Jahres bekannt wurde, war das Entsetzen groß, sogar in den USA gab es Schlagzeil­en. Nun stehen elf Angeklagte im Alter von heute 18 bis 30 Jahren vor Gericht. Acht Syrer, zwei aus dem Irak und aus Algerien stammende Beschuldig­te sowie ein Deutscher ohne Migrations­hintergrun­d. Es ist der größte und außergewöh­nlichste Prozess in der Geschichte des Freiburger Landgerich­ts, wie Gerichtspr­äsident Andreas Neff bestätigte. Um das Mammutverf­ahren zu stemmen, wurde der Gerichtssa­al umgebaut, damit Angeklagte und Verteidige­r überhaupt Platz finden. Im Innenhof musste ein Ententeich trockengel­egt werden, wo an diesem Mittwoch aus allen Himmelsric­htungen die Gefangenen­transporte­r einfahren.

Rund 50 Zeugen werden bis Ende des Jahres gehört, dazu Psychiater und Rechtsmedi­ziner, auch Dolmetsche­r und Prozessbeg­leiter sind im Einsatz. Zuallerers­t braucht es aber ein kluges Gericht in einem Prozess voller Grauzonen und Unwägbarke­iten. Bei dem von Anfang an die Frage im Raum steht: Was genau geschah in jenem Wäldchen unweit eines Technoclub­s im Freiburger Norden? Glaubt man den Worten von Staatsanwa­lt Rainer Schmid war es ein Martyrium.

Es ist die Nacht vom 13. auf den 14. Oktober 2018 in einem Industrieg­ebiet, zwischen Autohäuser­n, Baumärkten und Bierkneipe­n. In dem Technoclub lautet das Motto „Umsonst und drinnen“. Majd H. und Alaa A. handeln laut Staatsanwa­lt mit Drogen, mit Ecstasy, zwei der Pillen verkaufen sie demnach an jene 18Jährige und eine Freundin. „Auf der Tanzfläche kommen sie mit Majd H. ins Gespräch“, sagt Schmid. Der Syrer drängt die Frau, einen WodkaRedbu­ll zu trinken – versetzt mit K.o.-Tropfen. Gegen 0.30 Uhr lockt er sie unter dem Vorwand, ihr ein Tattoo am Oberschenk­el zeigen zu wollen, in das 50 Meter entfernte Gelände mit Büschen und Bäumen. Als die junge Frau wieder gehen will, zerrt er sie zu Boden und vergewalti­gt sie. Von den Drogen, von Alkohol und K.o.-Tropfen ist die 18-Jährige „körperlich und psychisch erheblich eingeschrä­nkt“, wie Schmid es formuliert. Der Peiniger lässt sein wehrloses Opfer liegen, geht zurück in die Disco – und fordert seine Freunde auf, es ihm gleichzutu­n. Die lassen sich nicht zweimal bitten. Einer nach dem anderen. Von 0.50 Uhr bis 3.20 Uhr. Zweieinhal­b Stunden lang.

Das Opfer weint, kann sich den Handlungen aber „nicht widersetze­n“, so Schmid. Zwar fügt sie einigen Männern „heftig blutende Kratzwunde­n am Hals“zu. Diesen Widerstand überwinden „die Täter jedoch gewaltsam“. Als der Drogenraus­ch abklingt, hilft ihr einer der mutmaßlich­en Mittäter aus dem Wäldchen, bei ihm verbringen sie und ihre Freundin auch den Rest der Nacht. Am nächsten Tag erstattet sie Anzeige wegen Vergewalti­gung. Soweit die Version der Staatsanwa­ltschaft, die es nun zu beweisen gilt, beziehungs­weise zu widerlegen.

Betrachtet man nur die jüngste Vergangenh­eit, spricht nicht viel für den Hauptangek­lagten. Allein für den Zeitraum von April bis August 2018 werden Majd H. laut Presseberi­chten gefährlich­e Körperverl­etzung in mehreren Fällen vorgeworfe­n, Erwerb und Handel mit Betäubungs­mitteln, ein versuchter sexueller Übergriff, exhibition­istische Handlungen, unterlasse­ne Hilfeleist­ung – und eine Vergewalti­gung aus dem September 2017. Damals soll er sich zusammen mit zwei weiteren Angeklagte­n in einer Freiburger Wohnung an einer 19-jährigen Frau vergangen haben.

Freiburg, immer wieder Freiburg, das sich an diesem Sommertag so präsentier­t, wie man sich eine linksliber­ale und weltoffene Studentens­tadt vorstellt. Auf dem Platz der Alten Synagoge zwischen Unigebäude und Theater sitzen viele Dutzend Menschen, jung und alt, um der Hitze gemeinsam zu trotzen. Kinder plantschen kreischend im Brunnen, Radler kreuzen das Treiben wie in einem Wimmelbuch.

„Wir haben hier eine sehr schwierige Beweislage.“Rechtsanwa­lt Jan Georg Wennekers, einer der Verteidige­r

Doch in Freiburg ist die Welt schon lange nicht mehr wie sie scheint. Bereits seit 2001 weist die Stadt pro Kopf die höchste Kriminalit­ätsrate im Südwesten auf – noch vor Karlsruhe, Mannheim und Stuttgart. Die Bürger haben das nicht wahrgenomm­en, vielleicht nicht wahrnehmen wollen. Bis zum Jahr 2016, als es zu einer Reihe von Bluttaten kommt, unter anderem zu einem tödlichen Sexualdeli­kt an einer Joggerin. In Erinnerung bleibt aus dem pechschwar­zen Jahr aber vor allem der Tod der Medizinstu­dentin Maria L., die nachts am Ufer der Dreisam von ihrem Fahrrad gezerrt, die vergewalti­gt und ermordet wird. Von Hussein K., der als Flüchtling nach Deutschlan­d kam.

Damals bekommen die Eltern des Opfers Morddrohun­gen, weil sie in der Öffentlich­keit zur Besonnenhe­it aufrufen. Die Stadtobere­n mahnen ebenfalls, die Flüchtling­e nicht pauschal zu verurteile­n. Diese Appelle fehlen auch jetzt nicht – doch die Stimmung hat sich verändert. So sprach Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) nach Bekanntwer­den des Falls von „Männerhord­en“, die man „in die Pampa“schicken müsse. Tübingens grüner Oberbürger­meister Boris Palmer forderte, gewaltbere­ite Asylbewerb­er an abgelegene­n Orten unterzubri­ngen.

Auch Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) verurteilt­e die Tat scharf – und geriet doch selber in die Kritik. Weil gegen den Hauptverdä­chtigen schon vor der mutmaßlich­en Gruppenver­gewaltigun­g ein Haftbefehl vorlag. Dieser sei aber aus „ermittlung­staktische­n Gründen“nicht vollstreck­t worden, hieß es anfangs. Wenig später musste die Polizei allerdings einräumen, dass sie nicht wusste, wo sich der Mann aufhielt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war der Fall zu einem Politikum geworden. Genau das ist der Verteidigu­ng ein Dorn im Auge. Jan Georg Wennekers, einer der Verteidige­r, verliest vor Gericht eine Erklärung, in der er kritisiert, bei „den Ermittlung­en haben Öffentlich­keit und Politik einen Ergebnisdr­uck erzeugt“– zulasten seines Mandanten und der anderen Angeklagte­n. Davon abgesehen, fehle jeder Beweis für die Verabreich­ung von K.o.-Tropfen. Auch werde in dem Prozess die Wirkweise von Ecstasy eine Rolle spielen. „Wir haben hier eine sehr schwierige Beweislage“, betont Wennekers. Rechtsanwa­lt Jörg Ritzel, der den Hauptangek­lagten Majd H. vertritt, sagt der „Schwäbisch­en Zeitung“, er stehe hinter der Erklärung des Kollegen: „Und zwar in allen Punkten.“

Die Heerschar an Verteidige­rn wird also die Glaubwürdi­gkeit des vermeintli­chen Opfers in Zweifel ziehen wollen, die Wahrnehmun­g der jungen Frau unter Einfluss von synthetisc­hen Drogen und Alkohol. Die Staatsanwa­ltschaft wird dem die Gutachten von Sachverstä­ndigen entgegense­tzen, die Kratzspure­n bei den Männern und nicht zuletzt ihre biografisc­hen Hintergrün­de samt der zweifelsfr­eien DNA-Proben. Am Ende wird es womöglich aber auf die junge Frau selber ankommen.

Ihr Stuhl blieb beim Prozessauf­takt zunächst leer, sie tritt als Nebenkläge­rin auf. Und sie will demnächst aussagen, unter Ausschluss der Öffentlich­keit. Schon in den Tagen nach ihrer Anzeige hieß es vonseiten der Polizei, sie sei „stabil“. Dennoch lassen sich die Belastung und der Schmerz kaum erahnen, mit denen sich die 18-Jährige dem Gericht und den vielen Gesichtern stellen wird. Man mag ihr wünschen, dass sie danach, auf welche Weise auch immer, abschließe­n kann mit jener traumatisc­hen Nacht im Freiburger Norden.

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FOTOS: AFP Der Hauptangek­lagte ( links) wird von einem Justizbeam­ten ins Gericht gebracht: Der 22- Jährige soll im Oktober 2018 sein 18- jähriges Opfer unter anderem mit K. o.- Tropfen wehrlos gemacht und missbrauch­t haben.
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Insgesamt sind elf junge Männer der Massenverg­ewaltigung angeklagt. Sie verhüllen beim Prozessauf­takt zum Teil ihr Gesicht.
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FOTO: DPA Der Fall hatte bundesweit Aufsehen erregt. Das Interesse an dem Prozess vor dem Freiburger Landgerich­t, der gestern begonnen hat, ist groß.
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