Schwäbische Zeitung (Laupheim)
90 Jahre und kein bisschen leise
Maria Feldigl spielt seit 55 Jahren die Kirchenorgel in Wolfratshausen – Das Musizieren ist ihr Rezept für geistige Fitness und flinke Finger
WOLFRATSHAUSEN (epd) – Wer wissen will, wie man gesund und geistig fit ins hohe Alter kommt, der sollte mal den Sonntagsgottesdienst in der Michaelskirche Wolfratshausen besuchen. Die Bach-Präludien, die dort recht flott von der Orgelempore herunterperlen, entspringen den flinken Fingern von Maria Feldigl. Die Dame mit den feinen weißen Haaren hat gerade ihren 90. Geburtstag gefeiert. Seit 55 Jahren orgelt die Katholikin für die Protestanten des bayerischen Flößerstädtchens.
Musik hat Maria Feldigl von Geburt an umgeben. Der Vater arbeitete als Klavierlehrer und Chorregent an der katholischen St. Andreaskirche in Wolfratshausen. Logisch, dass seine Tochter schon bald Klavierunterricht bekam. Doch das Ziel war klar: „Ich hab’ immer schon die Orgel geliebt“, sagt Maria Feldigl, und ihre blauen Augen leuchten. Mit 15 Jahren nahm die junge Frau zum ersten Mal auf der Orgelbank Platz. Die Musik baute für die Wolfratshauser Kirchenmusikerfamilie auch Brücken zwischen den Konfessionen, die sich damals mancherorts noch spinnefeind waren. „Die Tochter des damaligen evangelischen Pfarrers hatte Klavierunterricht bei meinem Vater“, erinnert sich Maria Feldigl. Außerdem hatte der Chorregent keine Scheu, auch bei Konzerten in der evangelischen Kirche zu spielen. So war es für die junge Sparkassenangestellte keine Frage, dass sie nach ihrer zweieinhalbjährigen nebenberuflichen Orgelausbildung am Münchner Händel-Konservatorium mal in der katholischen, mal in der evangelischen Kirche aushalf.
Ausgebucht am Wochenende Richtig durchgestartet ist Maria Feldigl aber mit 60 Jahren – seither ist die Orgel nicht mehr bloß Hobby und Entspannung nach einem langen Arbeitstag, sondern Beruf. „ Am nächsten Wochenende zum Beispiel hab’ ich am Samstag eine Taufe, eine Trauung und einen Abendmahlsgottesdienst und am Sonntag dann zwei Konfirmationsgottesdienste“, zählt die 90-Jährige auf und scheint selbst ein wenig verwundert über die Fülle der Termine. „Früher gab’s alle heilige Zeiten mal eine Taufe“, sagt die gebürtige Wolfratshauserin mit ihrem warmen oberbairischen Dialekt. Aber das Städtchen, das überregional auch als Heimatort des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber Bekanntheit erlangte, wachse, und so würden auch die Kasualien „immer mehr“.
Feldigls Repertoire umfasst die klassische Kirchenmusik genauso wie moderne Kirchenlieder. Was sie verweigert, ist Gospel: „Des mach i nimmer, da bin i zu faul“, sagt sie und lacht. Wer Gospel zur Hochzeit will, bringt seinen eigenen Musiker mit – da ist Maria Feldigl nicht beleidigt. Von ihr gibt’s dafür die Wunschmusik zum Ein- und Auszug. „Händelsuite, Prince of Denmark, Hochzeitsmarsch natürlich auch“, sagt sie und verzieht nur ganz kurz das Gesicht. Den mag sie nämlich nicht, „der war schon früher abgedroschen“– aber das würde sich Feldigl als echter Kirchenprofi nie anmerken lassen.
Dass die 90-Jährige nicht nur körperlich rüstig, sondern auch geistig topfit ist, hat viel mit der Orgel zu tun. Jeden Morgen nach dem Frühstück geht Maria Feldigl in die Kirche und übt an ihrem Instrument. Kennt sie Tage, an denen sie dazu mal keine Lust hat? Die alte Dame schaut überrascht: „Naa, eigentlich ned“, sagt sie, „ich brauch’ ja eine Beschäftigung, und das macht mir Spaß.“Nur im Winter, wenn es in der Kirche sehr kalt ist, verzichtet sie darauf und übt daheim am Klavier. Ansonsten habe sie sich an kalte Finger gewöhnt und auch ans frühe Aufstehen. „Am Sonntag bin ich ab halb acht in der Kirche“, erzählt sie. Geistig nachzulassen kann sie sich nicht erlauben. „Wenn daheim mal in einer Ecke Staub liegen bleibt, ist es nicht schlimm, aber an der Orgel muss alles passen – da muss ich ständig wach sein!“sagt Maria Feldigl. Schließlich habe jeder Pfarrer andere Vorlieben bei Tonhöhe oder Gottesdienstablauf.
Ans Aufhören denkt sie noch lange nicht und verweist auf prominente Vorbilder: „Der Herbert Blomstedt hat gerade die h-moll-Messe mit 91 Jahren noch stehend dirigiert – stehend!“ruft Maria Feldigl und sticht mit dem Zeigefinger mindestens drei Ausrufezeichen in die Luft. Dass man in Wolfratshausen ganz selbstverständlich mit ihr rechnet, nimmt sie dennoch mit leisem Staunen zur Kenntnis – die ersten Termine für 2020 hat sie schon bekommen. „So lang sie mit mir zufrieden sind“, sagt die alte Dame und lässt den Satz unvollendet. Soll heißen: Maria Feldigl ist zur Stelle, wenn die Orgel ruft.