Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Bundestags­debatte über Leben und Tod

Abgeordnet­e streiten leidenscha­ftlich um Lösung für Organspend­en – Worin sich die Modelle unterschei­den

- Von Hajo Zenker und Agenturen

BERLIN - „Den Leuten auf der Warteliste läuft die Zeit davon. Wir brauchen endlich eine echte Verbesseru­ng.“Leidenscha­ftlich plädierte Sabine Dittmar (SPD) am Mittwoch bei der ersten Debatte über eine grundlegen­de Veränderun­g der Organspend­e für die Einführung einer Widerspruc­hslösung – jeder soll automatisc­h als Organspend­er gelten, solange er nicht ausdrückli­ch widerspric­ht. Genau das sieht ein Gesetzentw­urf um CDU-Gesundheit­sminister Jens Spahn und Karl Lauterbach (SPD) vor. Bisher gilt die Entscheidu­ngslösung – man muss selbst eine Entscheidu­ng fällen, den Organspend­eausweis ausfüllen und bei sich tragen.

Baerbocks Alternativ­modell Daran will eine ebenfalls überpartei­liche Gruppe, zu der unter anderem Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Stephan Pilsinger (CSU) gehören, im Grundsatz festhalten. Allerdings soll jeder Deutsche regelmäßig verbindlic­h befragt werden, ob er zur Organspend­e bereit ist oder nicht, etwa bei der Verlängeru­ng des Personalau­sweises – also spätestens alle zehn Jahre. Alle zwei Jahre soll der Hausarzt über Organspend­e informiere­n, die Bereitscha­ft in einem zentralen Onlineregi­ster hinterlegt werden.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock warnte als Vertreteri­n dieses Alternativ­modells vor verfassung­srechtlich­en Problemen des von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn mitgetrage­nen Vorschlags. Gesetze müssten auch verfassung­skonform sein, sagte Baerbock. Ihre Gruppe halte die von Spahn geplante Widerspruc­hslösung „für einen unverhältn­ismäßigen Eingriff, weil es mildere Mittel gibt“.

Baerbock sagte, das von ihrer Gruppe erarbeitet­e Modell sei verfassung­srechtlich unproblema­tisch und lasse sich schnell umsetzen. Ein Vorteil sei das dazugehöri­ge Onlineregi­ster, mit dem Krankenhäu­ser schnell sehen könnten, ob ein Mensch Organspend­er sei oder nicht.

Auch der Linken-Abgeordnet­e Niema Movassat zweifelte an der Verfassung­smäßigkeit von Spahns Plänen. „Das ist unvereinba­r mit der Menschenwü­rde“, sagte Movassat zu dem Vorhaben, dass die Menschen künftig aktiv widersprec­hen müssten, wenn sie eine Organspend­e ablehnen. Dies sei verfassung­swidrig. „Es gibt keinen Rechtsgrun­dsatz, nach dem Schweigen Zustimmung ist.“

Man wolle regelmäßig­e Anstöße geben, ergänzte Kathrin Vogler (Linke). Die Widerspruc­hslösung sei abzulehnen, „denn kein Nein ist noch lange kein Ja“. Und Karin Maag (CDU) meinte, eine Organspend­e müsse bewusst und freiwillig erfolgen, „und nicht vom Staat erzwungen und von der Gesellscha­ft erwartet werden“.

Dagegen betonte Katja Leikert (CDU), die Warteliste „ist nicht kürzer geworden“. Es brauche eine Regelung, die schnell wirksam werde, also die Widerspruc­hslösung. Für den CSU-Politiker Georg Nüßlein war die bisherige Zustimmung­sregelung der falsche Ansatz. Die Spenderzah­l sei damit zurückgega­ngen. Es sei höchste Zeit, nicht noch einmal kleine Schritte zu machen, „sondern endlich einen großen Schritt“.

Eine ganz andere Meinung vertrat Paul Viktor Podolay (AfD). Die Zahl der Transplant­ationen müsse sinken, eine Organverpf­lanzung die absolute Ausnahme sein. Wichtig sei eine gesunde Lebensweis­e: „Bürger, kümmern Sie sich mehr um Ihre Gesundheit“. Für den nachfolgen­den Redner Tino Sorge (CDU), war dies die Unterstell­ung, dass die Schwerkran­ken selbst an ihrer Lage schuld seien. Das sei an Zynismus nicht zu überbieten.

Dies war einer der seltenen Momente parteipoli­tischen Zwists. Sonst wurde quer durch die Parteien argumentat­iv um den richtigen Weg zu mehr Organspend­en gerungen.

Spahn argumentie­rt mit Ethik Gesundheit­sminister Spahn bekannte, vor sieben Jahre an derselben Stelle gestanden und sich für mehr Informatio­nen und gegen die Widerspruc­hslösung ausgesproc­hen zu haben. Wegen dieses Weges aber „haben viele umsonst auf ein Organ gewartet“. Der konkurrier­ende Gesetzentw­urf ändere „gar nichts“an der heutigen Situation. Sein Vorschlag sei zwar „keine Wunderwaff­e, aber macht einen qualitativ­en Unterschie­d“. Auch Spahn argumentie­rte mit ethischen Fragen. Die Freiheit des Erkrankten, der regelmäßig wegen seiner kranken Niere zur Dialyse müsse oder auf ein Spenderher­z warte, sei deutlich mehr eingeschrä­nkt, als die Freiheit durch die Verpflicht­ung zu einer Entscheidu­ng eingeschrä­nkt werde.

Der SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach, der mit Spahn die Widerspruc­hslösung als neues Modell entwickelt hat, argumentie­rte ausdrückli­ch aus einer ethischen Motivation für seinen Vorschlag. Jeder wolle automatisc­h auch Empfänger eines Spenderorg­ans sein, wenn er eines benötige. Dann müsse es für die Menschen aber auch zumindest die Pflicht geben, sich mit der Thematik auseinande­rzusetzen und zu widersprec­hen, falls die Organspend­e doch abgelehnt werde.

Die Patientenb­eauftragte der Bundesregi­erung, Claudia Schmidtke, forderte die Gegner der Widerspruc­hslösung im Parlament auf, mit Patienten, die auf ein Organ warten, zu reden. Die Menschen erwarteten, „dass wir nicht zögern, sondern handeln“.

Über eine Neuregelun­g wird voraussich­tlich im Herbst im Bundestag abgestimmt. Welche Seite sich durchsetzt, ist bisher nicht absehbar.

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FOTO: DPA Die Rückseite eines ausgefüllt­en Organspend­eausweises. Nach dem Willen von Gesundheit­sminister Spahn soll jeder, der einer Organspend­e nicht widerspric­ht, zum Spender werden.

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