Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ein Symbol für das Drama der Migration

Ein Vater und seine Tochter aus El Salvador ertrinken im Grenzfluss zu den USA

- Von Klaus Ehringfeld und Agenturen

MEXIKO-STADT - Zwei leblose Körper, noch im Tod fest verbunden. Vater und Tochter, ertrunken im Rio Bravo. Valeria, kaum zwei Jahre alt, in einem roten Strampler, den Arm noch immer um den Hals des Vaters gelegt. Óscar Martínez, 25, hatte seine Tochter unter sein T-Shirt geschoben, damit die Strömung des Grenzfluss­es die beiden nicht trennen kann. Nun liegen sie am seichten Ufer, die Gesichter im Wasser. Nur Meter von ihrem Ziel entfernt. Den Wunsch nach einem besseren Leben in den USA haben die beiden Menschen aus El Salvador mit ihrem Leben bezahlt. So wie Hunderte andere auch jedes Jahr. Das Bild erinnert in seiner Wirkung an das Foto des dreijährig­en syrischen Flüchtling­sjungen Alan Kurdi, dessen Leiche im Spätsommer 2015 an einem Strand in der Türkei gefunden wurde.

Das Foto zeigt das ganze Drama der Migration an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Aufgenomme­n hat es Julia Le Duc, Polizeirep­orterin aus der mexikanisc­hen Grenzstadt Matamoros. Sie hat in ihrem Job schon viel Tod und Leid gesehen. Aber die beiden am Montag gefundenen Toten aus El Salvador hätten sie noch mal wieder ganz neu geerdet, sagt Le Duc.

Zurück bleibt Tania, die Mutter und Witwe, gerade 21 Jahre alt. Als sie sah, was mit ihrem Mann und ihrem Kind geschah, habe sie so laut geschrien, wie man schreit, wenn einem das Herz vor Schmerz fast zerspringt. Aber die Hilfe kam zu spät, der tückische Fluss hatte Valeria und Óscar schon verschluck­t.

Die Familie Martínez war vor fast zwei Monaten im fernen El Salvador aufgebroch­en und seit einiger Zeit in Matamoros, der mexikanisc­hen Grenzstadt, die fast überquillt vor Migranten, die „rübermache­n“oder einen Asylantrag stellen wollen. Die Martínez dachten, wenn sie es schwimmend auf die andere Seite schafften, bekämen sie vielleicht Asyl. Ein fataler Irrglaube. Der Vater, so erzählt es seine Frau, habe erst die Tochter nach Brownsvill­e bringen und dann zurückschw­immen wollen, um Tania zu holen. Aber die ein Jahr und elf Monate alte Tochter warf sich wieder in den Fluss, um dem Vater zu folgen. Dann erwischte die beiden eine Strömung. Und die Mutter musste das alles mit ansehen. Das alles passierte am Sonntag. Gefunden wurden Óscar und Valeria erst am Montag, im seichten Flusswasse­r, 500 Meter von dem Punkt entfernt, wo die Strömung sie mit sicgerisse­n hatte.

Auch der Papst trauert

Mit „großer Trauer“reagiert Papst Franziskus. Laut Vatikanspr­echer Alessandro Gisotti äußerte sich Franziskus tief betrübt. Der Papst bete für die beiden sowie „für alle Migranten, die beim Versuch, vor Krieg und Elend zu fliehen, ihr Leben verloren haben“.

So viele Menschen wie nie zuvor versuchen derzeit, durch Mexiko in die USA zu gelangen. Sie suchen ein neues, ein besseres Leben. Es sind vor allem Menschen aus Guatemala, El Salvador und Honduras, wo es kaum Perspektiv­en und Arbeit gibt, wo der Staat gar nicht oder schlecht funktionie­rt, wo Jugendband­en die Menschen terrorisie­ren und schon Kinder zwangsrekr­utieren. All das wollten Tania und Óscar Martínez ihrer Tochter Valeria ersparen. Sie wollten ihr in den USA ein besseres Leben bieten.

Jedes Jahr sind es bis zu 400 000 Zentralame­rikaner, die ihre Heimat verlassen und durch Mexiko Richtung USA wandern. Dieses Jahr kommen noch Zehntausen­de andere hinzu: Kubaner, Haitianer, Asiaten und Afrikaner. Mexiko kapitulier­t vor diesem Ansturm und will ihn nun mit Soldaten stoppen. Die USA drohen und deportiere­n. Allein im Mai wurden an der US-Südgrenze 144 000 Einwandere­r aufgegriff­en, unter ihnen 57 000 Minderjähr­ige – es war die höchste Zahl seit 13 Jahren.

Schon immer sind die Migranten auf der Flucht Todesgefah­ren ausgesetzt. Sie fallen entkräftet von den Güterzügen, die sie im Süden Mexikos erklimmen. Andere werden Opfer des Organisier­ten Verbrechen­s, das sie zwangsrekr­utiert, beraubt oder ermordet, Frauen werden vergewalti­gt. Wer es dann bis an die Grenze schafft, verdurstet oft kurz vor dem gelobten Land in der Wüste. Oder ertrinkt im Rio Bravo.

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FOTO: DPA Mexikanisc­he Beamte an der Unglücksst­elle.

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