Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Unheimliche Fragen im Fall Lübcke
Nach dem Mord geraten erneut Teile der Sicherheitsbehörden in die Kritik
BERLIN - Der Verdächtige im Mordfall Walter Lübcke hat die Tat gestanden. Zehn Tage nach seiner Festnahme hat der 45-jährige Stephan E. den Mord an dem CDU-Politiker zugegeben – und bestätigte bei seiner Aussage auch den Verdacht der Behörden auf ein rechtsextremes Motiv. Weniger als einen Monat, nachdem der Kasseler Regierungspräsident Lübcke auf seiner Terasse mit einem Kopfschuss getötet wurde, scheint die Frage nach dem Täter nun mit großer Sicherheit beantwortet. Für die Ermittler steht jedoch fest: Sie stehen mit ihrer Arbeit erst am Anfang.
„Die Ermittlungsarbeit ist nicht zu Ende, sondern sie muss jetzt erst beginnen“, sagte Konstantin Kuhle (FDP) am Mittwoch nach einer Sondersitzung des Bundestagsinnenausschusses zum Fall Lübcke. Generalbundesanwalt Peter Frank hatte am Mittwochmorgen im Ausschuss über den Fall berichtet und soll dort Medienberichten zufolge über das Geständnis gesprochen haben. „Er hat angegeben, die Tat, den Mord an Herrn Lübcke, alleine vorbereitet und alleine durchgeführt zu haben“, so Frank über Stephan E. „Trotz dieser Aussage des Beschuldigten, als Einzeltäter gehandelt zu haben, wird Gegenstand unserer Ermittlungen sein, ob es Unterstützer, Helfer, Mitwisser, Mittäter gegeben haben könnte.“Daher seien die Ermittlungen auch weiter darauf gerichtet, ob der Tat „eine terroristische Vereinigung zugrunde liegt oder ob der Beschuldigte Mitglied einer rechtsterroristischen Vereinigung ist“. Martina Renner (Linke) meldete Zweifel an, dass der Täter alleine gehandelt habe: „Nach meinen Kenntnissen des Rechtsterrors halte ich diese Aussagen für eine Schutzbehauptung.“
Im rechtsextremistischen Bereich schätzen die Sicherheitsbehörden momentan 39 Menschen als Gefährder ein. Das sind Menschen, denen sie einen Terroranschlag oder eine ähnlich gravierende politisch motivierte Straftat zutrauen. Unter Islamisten gab es demnach zuletzt rund 750 solcher Gefährder.
„Es ist völlig unverständlich, warum die hessischen Behörden den dringend Tatverdächtigen offenbar seit 2009 nicht mehr im Fokus hatten“, kritisierte der kommissarische SPD-Vorsitzende Thorsten SchäferGümbel. Denn auch wer, wie Stephan E., schon ausländerfeindliche Straftaten verübt hat und mehrfach vorbestraft ist, kann, wenn er sich über mehrere Jahre unauffällig verhält, wieder vom Radar der Behörden verschwinden. Deshalb gab es zunächst keinen Treffer, als der Verfassungsschutz nach der Inhaftierung des Tatverdächtigen in seinem elektronischen Informationssystem nachschaute, ob Stephan E. als Rechtsextremist bekannt war. Denn es gibt Löschungsfristen, die verhindern sollen, dass einem geläuterten Bürger die radikale Vergangenheit auf ewig als Klotz am Bein hängt.
Dass der Inlandsgeheimdienst später doch noch Akteneinträge zu dem heute 45-Jährigen aus Hessen fand, hat mit der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“(NSU) zu tun. 2001 flogen die Rechtsterroristen auf, die zehn Menschen getötet und viele weitere verletzt hatten. Innenpolitiker fragen sich nun, ob es beim Mord an Walter Lübcke womöglich einen direkten Zusammenhang zur NSU-Terrorserie gibt. Denn Lübckes Name stand auf einer „Todesliste“des NSU. Aufschluss könnten geheime Akten aus dem dortigen NSU-Untersuchungsausschuss liefern – falls die Landesregierung sie vorzeitig offenlegt.