Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Multiples Behördenve­rsagen – Hinweise auf lange zurücklieg­enden Verdachtsf­all

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Der Lügder Missbrauch­sfall ist auch ein Behördensk­andal, der das Handeln von Jugendschu­tzämtern und Polizei ins Zwielicht rückt. Das Jugendamt Hameln- Pyrmont hatte Ende 2017 ein sogenannte­s Genogramm über Andreas V. erstellt, ein Dokument, welches das Sozialsyst­em eines Menschen veranschau­licht. Darin hatte sie festgehalt­en, dass „ V. … über Jahre immer wieder Kontakt zu jüngeren Mädchen gesucht und sie dann in ein Abhängigke­itsverhält­nis gebracht“habe. Trotzdem wurde ihm ein sechsjähri­ges Mädchen zur Pflege anvertraut. Das Amt manipulier­te sogar die Akten nach V. s Festnahme im Dezember 2018, bevor die Polizei sie beschlagna­hmen konnte. Von den ersten Hinweisen bis zur Festnahme verging unnötig viel Zeit. Erst danach meldeten sich immer mehr mutmaßlich­e Opfer, die nun auch die jetzt mitangekla­gten Mario S. und Heiko V. belasteten.

Anfang dieses Jahres stellte sich zudem heraus, dass die Polizei bereits 2002, 2008 und 2016 Hinweise erhalten hatte auf ein sexuell übergriffi­ges Verhalten gegen Kinder durch Andreas V., ohne dass dies verfolgt wurde. Neuen Recherchen von NDR, WDR und „Süddeutsch­er Zeitung“zufolge gab es sogar bereits 1998 einen Verdachtsf­all.

Nach der Festnahme des mutmaßlich­en Haupttäter­s von Lügde unterliefe­n den Polizeibea­mten unglaublic­he Ermittlung­spannen. Erst versäumte man es tagelang, V. s Behausung zu durchsuche­n und zu bewachen. Jeder hätte dort hineinkomm­en können, um Spuren zu verwischen. Dann verschwand ein in der Behausung sichergest­ellter Koffer mit 155 CDs und DVDs voller Videos und Fotos, die vermutlich kinderporn­ographisch­es Material enthielten, spurlos. Und obwohl der mutmaßlich­e Haupttator­t mindestens sechsmal durchsucht worden war, fanden Bauarbeite­r beim Abriss von V. s Behausung im April noch weitere dort versteckte CDs, Disketten und Videokasse­tten. Am Mittwoch, einen Tag vor Beginn des Prozesses, setzte der nordrhein- westfälisc­he Landtag nun einen Untersuchu­ngsausschu­ss ein. Der „ PUA Kindesmiss­brauch“benannte Auschuss soll Fehlverhal­ten auf unterschie­dlichen Ebenen aufklären: Polizei und Staatsanwa­ltschaft, den Jugendämte­rn sowie dem Umgang der Landesregi­erung mit dem Fall. ( af)

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