Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Die Zukunft des Menschen hängt am Meer“
Die Meeresbiologin Frauke Bagusche warnt in ihrem Buch vor der Zerstörung der Ozeane
Am liebsten schwimmt sie mit einem Mantarochen. „Es gibt unter Wasser kaum ein eleganteres Wesen“, findet Frauke Bagusche. Die Meeresbiologin erforscht die Lebensräume der Ozeane und stellt diesen faszinierenden Kosmos in ihrem Buch „Das blaue Wunder“vor. Mit Christa Sigg sprach sie über gesprächige Heringe und sich prostituierende Pinguindamen, über den fatalen Rückgang der Korallenriffe und Nemos wahre Geschichte.
Frau Bagusche, eigentlich ist es ein schöner Gedanke, dass wir überall Meerluft atmen.
Es riecht nur nicht überall so gut, und die Luft ist auch nicht überall so heilsam. Aber es stimmt schon, die marinen Mikroalgen produzieren 50, wenn nicht sogar bis zu 90 Prozent des globalen Sauerstoffs. Deshalb verdanken wir mindestens jeden zweiten Atemzug dem Meer.
Als Landratte hat man eher den Wald im Kopf – und noch ganz andere Irrtümer, wie das Märchen von den stummen Fischen.
Dabei kann deren Lautäußerung sogar sehr lustig sein: Heringe, die im Schwarm leben, unterhalten sich nämlich über Fürze. Aus der Schwimmblase lassen die Tiere Luft über den Rektalbereich ab. Wenn ein Raubfisch daherkommt, müssen die Kollegen schließlich informiert werden. Ich bin übrigens selbst schon von einem kleinen Nemo angeknurrt worden, als ich zu nahe an die Anemonen kam. Das war eine klare Drohgebärde.
Mit Nemo sind die Clownfische sehr populär geworden.
Das hat leider dazu geführt, dass viele davon Nemos Schicksal ereilt hat und sie für den Verkauf in Zoohandlungen gefangen wurden. Wobei die
rührende Geschichte in der Realität einen ganz anderen Dreh hätte.
Wie wäre die Geschichte korrekt? Nemos Mutter wird doch von einem Barrakuda verspeist und lässt Vater und Sohn alleine zurück. Davon aus
gehend würde der Vater mit der Umwandlung zum Weibchen beginnen, und Nemo sich parallel zu einem fortpflanzungsfähigen Männchen entwickeln. Da Nemo nun aber das einzige geschlechtsreife Männchen weit und breit ist, paaren sich die beiden und zeugen inzestuösen Nachwuchs. Stirbt Nemos Partnerin, die ja zuvor sein Vater war, entwickelt er sich zum Weibchen und geht auf Suche nach einem neuen Partner. Das würde allerdings nicht ins Schema einer Disney-Kindergeschichte passen.
Leider werden immer mehr Korallenriffe zerstört. Darauf weisen auch Margaret und Christine Wertheim mit ihren kunstvoll gehäkelten Korallenriffen hin, die jetzt auf der Biennale in Venedig zu sehen sind. Interessanterweise sind die Korallen der Wertheim-Schwestern auch noch aus recyceltem Kunststoff gefertigt, also aus dem Material, das für Korallen und überhaupt Meerestiere so gefährlich ist. Wir machen uns das immer noch nicht wirklich klar: Viele tropische Inseln werden von Riffen geschützt. Fehlen sie, können Sturmfluten quasi ungehindert über die Inseln fegen. Die Süßwasserreservoirs versalzen, Obst- oder Gemüseanbau ist dann nicht mehr möglich.
Das gleiche Desaster ist die Vermüllung der Meere. Gibt es überhaupt einen Ausweg?
Der Müll, der jetzt schon da ist, hat sich längst in die Tiefsee abgesetzt, da ist wohl nichts mehr zu machen. Aber wir haben natürlich in der Hand, den Plastikmüll zu dezimieren. Jede Minute landet derzeit eine Müllwagenladung im Meer, das meiste kommt über die Flüsse in die Ozeane. In Australien werden schon Netze entwickelt, die das auffangen, und auch andere Initiativen wie der „Ocean Cleanup“beschäftigen sich mit dem Thema. Aber da ist noch viel Forschung nötig, denn diese Techniken bedeuten natürlich auch Eingriffe in die verschiedenen Lebensräume.
Unsere Zukunft scheint im Meer zu liegen.
Anders: Die Zukunft des Menschen hängt am Meer. Neben der Produktion von Sauerstoff bestimmen die Ozeane das Weltklima und sie geben uns Nahrungsmittel. Das wahre Potenzial an gesundheitsfördernden und vor allem heilenden Substanzen kennen wir noch gar nicht. Die Abwehrstoffe von Schwämmen könnten zum Beispiel im Kampf gegen den Krebs eine ganz entscheidende Rolle spielen. Das Meer zu schützen kann also nur in unserem ureigenen Interesse liegen.