Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Es droht ein böses Erwachen
Zum ersten Mal seit knapp 100 Jahren werden die Briten im Advent an die Wahlurnen gerufen. Wenn diesmal viele Bürger den vorhergesagten kalten Regen als Ausrede für ihr Fernbleiben nutzen, wäre das keine Überraschung. Denn sie stehen vor einer kaum lösbaren Alternative: Entweder bestätigen sie Boris Johnson im Amt des Premierministers, einen prinzipienlosen Lügner, von dem man befürchten muss, er werde das Land nach der Übergangsfrist Ende 2020 in den chaotischen Brexit führen und so eine Krise der Finanzmärkte auslösen. Oder sie befördern einen altlinken, in seiner Partei üblen Antisemitismus duldenden Ideologen, den LabourChef Jeremy Corbyn, in die Downing Street und bekommen den Börsencrash vor Weihnachten.
Zwar gibt es auch in Großbritannien andere Parteien, doch auch diesmal zeigt der Wahlkampf die Wirkung des Mehrheitswahlrechts. Echte Chancen haben letztendlich nur eine konservativ oder eine sozialdemokratisch geführte Regierung.
Corbyns Wahlprogramm verspricht dem Volk das Blaue vom Himmel. Gewiss gibt es auf der Insel einen gewaltigen Investitionsstau. Sicherlich bricht nicht gerade die Revolution aus, wenn man die Unternehmensteuer ein wenig erhöht und die Bestverdiener mehr zur Kasse bittet. Aber es lassen sich auch nicht alle Probleme des Landes mit immer mehr Staatsgeld lösen. Die Vorschläge der Torys sind kaum weniger haltlos. Neugebaute Krankenhäuser, mehr Krankenschwestern, mehr Geld für Schulen – bei näherer Betrachtung stellen sich die Behauptungen als höchstens halbwahr, oft gänzlich falsch heraus.
In der BrexitFrage stiehlt sich Corbyn aus der Verantwortung, indem er ein zweites Referendum verspricht und dabei neutral bleiben will. Johnsons Slogan „Get Brexit Done“– „Den Austritt vollenden“– kommt der Müdigkeit des Volkes entgegen, sich noch länger mit dem Thema zu befassen. In Wirklichkeit versprechen die Verhandlungen mit der EU aber langwierig zu werden. Am Freitag erwartet die Briten also ein böses Erwachen – so oder so.