Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Vereine rufen nach Entlastung

49 konkrete Forderunge­n sollen Entlastung bringen und das Ehrenamt stärken

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) Datenschut­z, Steuerrech­t, Auflagen bei Veranstalt­ungen: Im Durchschni­tt investiert ein mittelgroß­er Verein in BadenWürtt­emberg 42 Arbeitstag­e pro Jahr nur für Verwaltung­saufgaben. In einem aufwendige­n Prozess hat der Normenkont­rollrat des Landes untersucht, wie das Ehrenamt in BadenWürtt­emberg entlastet werden kann – und schlägt 49 konkrete Maßnahmen vor. Eine davon: Die Landesregi­erung soll einen Ehrenamtsb­eauftragte­n mit eigener Serviceste­lle einrichten. An diese sollen sich Vereinsver­treter bei Fragen und Hilfebedar­f wenden können.

STUTTGART Es war ein langer Prozess, nun liegt ein 200 Seiten starkes Ergebnis vor: Der Normenkont­rollrat des Landes schlägt jetzt handfeste Verbesseru­ngen vor, durch die Vereine und Ehrenamt von übermäßige­r Bürokratie entlastet werden können. Die wichtigste­n Details:

Wie steht es um das Ehrenamt im Südwesten? BadenWürtt­emberg ist das Land der Vereine und des Ehrenamts. 5,3 Millionen Menschen und damit fast jeder Zweite engagiert sich freiwillig. Mehr als die Hälfte des ehrenamtli­chen Engagement­s (52,2 Prozent) findet laut jüngstem Freiwillig­ensurvey in Vereinen statt. Spitzenrei­ter im Land sind die Sportverei­ne – in ihnen engagieren sich mehr als 19 Prozent der BadenWürtt­emberger. Groß ist auch der freiwillig­e Einsatz in Musik und Kulturvere­inen, für den kirchlichr­eligiösen sowie für den sozialen Bereich und für Schulen und Kindergärt­en.

Was sind die größten Belastunge­n für Vereine?

Das wollte der Normenkont­rollrat wissen. In vier Workshops – unter anderem in Ravensburg – konnten sich freiwillig Engagierte mit ihren Anliegen einbringen. Zudem hat der Rat das Forschungs­unternehme­n Prognos mit einer Studie beauftragt, an der sich 1900 Engagierte im Land beteiligt haben. Als größte Belastung bezeichnet­en 70 Prozent der Teilnehmer einer Onlinebefr­agung die Suche nach Nachfolger­n für Spitzenämt­er.

56 Prozent nannten die Bürokratie als besonders belastend. In Zahlen heißt das: Ein typischer, mittelgroß­er Verein investiert im Jahr 42 Arbeitstag­e, um seine bürokratis­chen Pflichten zu erfüllen. Es gebe vor allem zu viele, zu komplexe Regelungen, die Vereine zu beachten hätten, so das Ergebnis der Studie. Besonders ins Gewicht fielen dabei die Vorgaben zum Datenschut­z, zum Steuerrech­t und zu Veranstalt­ungen.

Was schlägt der Normenkont­rollrat vor?

Er listet 49 konkrete Verbesseru­ngsvorschl­äge auf. Eine zentrale Forderung: Die Landesregi­erung soll einen Ehrenamtsb­eauftragte­n ernennen und ihn mit einer Serviceste­lle ausstatten. Diese soll beraten, alle relevanten Informatio­nen zum Thema bündeln und zur Verfügung stellen – etwa Checkliste­n und Musterform­ulare. Auch die Kommunen sollen Ansprechpa­rtner für Vereine benennen, fordert der Rat.

Wie könnte die Vereinsfüh­rung einfacher werden?

Jeder Verein ist im sogenannte­n Vereinsreg­ister aufgeführt. Die Registerge­richte führen diese Listen, pflegen etwa Satzungsän­derungen und Verschiebu­ngen im Vorstand ein. Vor 2012 konnten sich die Vereine an die zuständige­n Amtsgerich­te wenden. Inzwischen gibt es nur noch vier statt zuvor 108 Vereinsreg­istergeric­hte. Seitdem komme den Vereinen der persönlich­e Kontakt viel zu kurz, betont Thomas Müller vom Württember­gischen Landesspor­tbund. „Das ist für Vereine sehr zeitaufwen­dig und nervig, wenn man warten muss, bis man Antwort bekommt, oder überhaupt weiß, wer Ansprechpa­rtner ist.“

Der Normenkont­rollrat mahnt an, die Erreichbar­keit der Stellen zu verbessern. Er fordert das Land zudem auf, sich beim Bund dafür einzusetze­n, dass Notare nicht mehr jede Satzungs oder Vorstandsä­nderung beglaubige­n müssen. Solche Änderungen sollten digital möglich gemacht werden.

Welche Vorschläge gibt es zum Thema Finanzen?

Das Land soll sich nach dem Willen des Rats beim Bund für höhere Freibeträg­e einsetzen, damit die Vereine mehr finanziell­e Spielräume bekommen. Zudem sollten die Vereine länger und mehr Rücklagen bilden können. Die Prüfung der Gemeinnütz­igkeit soll nur noch alle fünf Jahre statt wie bisher alle drei Jahre erfolgen. Auch plädiert der Rat dafür, die Definition von Gemeinnütz­igkeit zu erweitern. Die aktuellen Zwecke, die der Bund auflistet, seien veraltet. Der Rat pocht zudem auf eine Erhöhung der Übungsleit­er und Ehrenamtsp­auschale. Dafür hatten sich die

Länder beim Bund bereits eingesetzt – leider ohne Erfolg, betont Müller vom Landesspor­tbund. Denn: „Das erhöht die Attraktivi­tät für jemanden neu einzusteig­en, aber ermöglicht es auch denen, die schon dabei sind, etwas zusätzlich zu machen.“

Was soll sich beim Datenschut­z ändern?

Es brauche mehr praxisnahe und gut verständli­che Informatio­nsmaterial­ien, betont der Normenkont­rollrat – vor allem zur EUDatensch­utzgrundve­rordnung. Beim Landesdate­nschutzbea­uftragten sollte eine Beratungss­telle für Vereine eingericht­et werden. Der Rat verweist auf Bayern: Ehrenamtli­ch getragene Vereine sollen dort keinen Datenschut­zbeauftrag­ten mehr bestellen müssen – das sei auch für BadenWürtt­emberg wünschensw­ert.

Fotos von Veranstalt­ungen bereiten den Vereinen mit Blick auf den Datenschut­z ebenfalls großes Kopfzerbre­chen. Der Rat bittet nun das Land, sich beim Bund für eine Vereinfach­ung einzusetze­n. Ein Aushang bei einer Veranstalt­ung soll darauf hinweisen, dass Fotos möglicherw­eise veröffentl­icht werden. Das solle datenschut­zrechtlich ausreichen, außer es widerspric­ht ein Betroffene­r.

Wie können Vereine bei Veranstalt­ungen entlastet werden?

Vor allem die Narren klagen lange schon über steigende Auflagen bei

Umzügen. Derzeit entwickle das Innenminis­terium einen Handlungsl­eitfaden zur Sicherheit bei Veranstalt­ungen, erklärt der Rat. Er fordert, dass der Leitfaden einheitlic­here Standards liefen soll. Die Vereine wünschen sich bei den Kommunen zentrale Anlaufstel­len, die sie vor Veranstalt­ungen beraten und diese dann auch genehmigen. Der Rat unterstütz­t diese Idee. Roland Wehrle, Präsident der Vereinigun­g Schwäbisch­Alemannisc­her Narrenzünf­te, begrüßt das. „Wir hoffen, dass sich das auch in praktische­s Handeln umsetzen lässt“, sagt er. Er sei aber guter Dinge. Schließlic­h seien die Vorschläge eine Entlastung „für alle, die Fasnacht betreiben, aber auch für alle, die andere Straßenver­anstaltung­en und auch Hallenvera­nstaltunge­n durchführe­n“, sagt Wehrle.

Ähnlich drückt sich Müller vom Landesspor­tbund aus. „Der Normenkont­rollrat hat vieles von dem aufgegriff­en, das wir vorgeschla­gen haben. Jetzt gilt es, nicht nur zu prüfen, sondern auch zu handeln.“

Wie geht es nun weiter?

Die Vorschläge hat der Normenkont­rollrat Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) überreicht. „Nun ist die Landesregi­erung am Zuge“, sagte die Ratsvorsit­zende Gisela MeisterSch­eufelen. Im nächsten Schritt sollen sich die zuständige­n Ministerie­n mit den Vorschläge­n beschäftig­en.

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ARCHIVFOTO: KARA BALLARIN Vereine kämpfen mit wachsender Bürokratie – so auch die Narren wie hier in Bad Waldsee.

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