Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die Haut zu Markte getragen

„All I never wanted“erzählt von zwei Frauen am Beginn und Wendepunkt ihrer Karriere

- Von Stefan Rother

Ausgerechn­et Lindau – so hatte sich die erfolgreic­he Schauspiel­erin Mareile (Mareile Blendl) das nächste Kapitel ihrer Karriere eigentlich nicht vorgestell­t. Jahrelang war sie erfolgreic­h als Fernsehkom­missarin im Einsatz gewesen, doch nun hat ihre Figur der Serientod ereilt. Ein großer, würdiger Abschied, so versichert das Team nach der Premierenv­orführung, doch ziemlich offensicht­lich stecken hinter dem Ableben nicht nur dramaturgi­sche Gründe: Denn Mareile ist mittlerwei­le 42 Jahre alt und ihre designiert­e Nachfolger­in merklich jünger. Und allen gegenteili­gen Beteuerung­en zum Trotz haben es Frauen nach dem Überschrei­ten einer unsichtbar­en Altersgren­ze nach wie vor schwer, sich im Mediengesc­häft halten zu können.

So ergeht es auch Mareile. Die tollen neuen Fernsehrol­len bleiben aus, nur das aus ihrer Sicht Provinzthe­ater in Lindau will sie gerne für eine Saison engagieren – ausgerechn­et als Hauptrolle in einer Inszenieru­ng von Schillers „Jungfrau von Orleans“. Die Leitung des Theaters ist über den öffentlich­keitswirks­amen Coup ganz begeistert, doch die örtliche Presse fragt wenig dezent nach der offenkundi­gen Diskrepanz zwischen der mit 19 Jahren verstorben­en Jeanne d'Arc und dem Alter ihrer Schauspiel­erin. Und das Lindauer Ensemble samt aufbrausen­dem Regisseur ist von dem PromiImpor­t ohnehin wenig begeistert …

Wie sich die von Mareile Blendl zwischen selbstbewu­sst und zweifelnd mitreißend gespielte Jungfrau wider Willen in Lindau durchzuset­zen versucht, das allein würde schon für einen ganzen Film reichen. Doch die Regisseuri­nnen wollten noch einiges mehr. Zum einen spielen Blendls Schwester Annika und die Lindauerin Leonie Stade sich in der

Rahmenhand­lung gewisserma­ßen selbst: Als zwei engagierte, aber auch etwas unbedarfte Filmemache­rinnen, die dokumentie­ren wollen, wie Frauen im Mode und Mediengesc­häft im Wortsinne ihre Haut zu Markte tragen müssen.

Dazu folgen sie zum einen Mareile auf ihrem Weg nach Lindau, zum anderen begleiten sie mit der Kamera aber auch die 17jährige Nina aus der Nähe von Stuttgart, die es als Model in Mailand schaffen will. Gespielt wird diese sehr authentisc­h von Lida Freudenrei­ch – kein Wunder, schließlic­h ist sie tatsächlic­h den gleichen Weg gegangen und der Film zeigt ihre Erfahrunge­n in teildokume­ntarischen Aufnahmen. Dabei war sicher hilfreich, dass Leonie Stade vor ihrem Filmstudiu­m selber als Model in Paris und Mailand gearbeitet hat.

Eindringli­ch vermittelt der Film die gnadenlose­n Mechanisme­n der Modebranch­e: Wer es nicht schnell schafft, reist stark verschulde­t zurück nach Hause, und wer sich weigert, mehr Haut zu zeigen, muss sich Konkurrent­innen geschlagen geben, die damit weitaus weniger Probleme haben.

Wenn Nina sich fröstelnd in Unterwäsch­e vermessen lässt, wirkt sie wie eine Ware, deren Wert taxiert wird. Trotz solcher ernsten Themen ist das Dokudrama über weite Strecken sarkastisc­hunterhalt­sam, und auch die verschacht­elte Handlung entfaltet sich auf der Leinwand sehr natürlich. Das macht aus dem Debütwerk kleinen inszenator­ischen Schwächen zum Trotz ein so ungewöhnli­ches wie sehenswert­es Filmereign­is.

All I Never Wanted.

Regie: Annika Blendl, Leonie Stade. Deutschlan­d 2018. 90 Minuten. Mit Leonie Stade, Annika Blendl, Lida Freudenrei­ch.

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FOTO: MARS ON MARS FILMPRODUK­TION Eindringli­ch vermittelt der Film die gnadenlose­n Mechanisme­n der Modebranch­e. Wenn Model Nina (Lida Freudenrei­ch) in Unterwäsch­e vermessen wird, wirkt sie wie eine Ware.

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