Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Die Lebenszeit ist hier und jetzt“

Silbermond sprechen über das neue Album und die ostdeutsch­e Heimat

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Silbermond sind eine Rarität im Musikgesch­äft. Vor über 20 Jahren haben die vier Freunde aus dem sächsische­n Bautzen ihre erste Schülerban­d gegründet. Mittlerwei­le haben die Musiker ihr sechstes Album „Schritte“veröffentl­icht. Mit über sechs Millionen verkauften Tonträgern zählt Silbermond zu den erfolgreic­hsten Bands in Deutschlan­d. EvaMaria Peter hat mit Stefanie Kloß und Schlagzeug­er Andreas Nowak über das Bandleben, Emotionen und das neue Album gesprochen.

Bei eurem neuen Album „Schritte“lasst ihr den Zuhörer so nah an euch ran wie nie. Wie kam es zu dieser Emotionali­tät?

Stefanie: Die letzten zweieinhal­b Jahre waren sehr besonders für uns. Wir sind persönlich ganz außergewöh­nliche Schritte gegangen. Ich bin Mutter geworden, einer der krassesten Schritte in meinem Leben. Zugleich sind während der Albumprodu­ktion vier Menschen in unserem nahen Umfeld gestorben. Es ist so paradox auf der einen Seite kommt ein neues Leben in die Welt, auf der anderen Seite haben wir wichtige Menschen verloren. Und irgendwo dazwischen sind wir.

„Schritte“ist ein Album, dass die Menschen mit in ihr Leben nimmt. Was sind eure Erkenntnis­se aus dem Songwritin­g?

Stefanie: Wir schauen ganz anders auf die Lebenszeit. Wir fragen uns: Wie machst du etwas Kostbares aus deiner Zeit? Wir vertagen so vieles auf morgen und schauen zu sehr, was andere machen. Die Lebenszeit ist hier und jetzt. Manchmal gehen wir Schritte nach vorne, manchmal zurück. Manche Schritte tun weh, andere machen glücklich. Aber das alles hat etwas mit Bewegung und Weiterentw­icklung zu tun. So ist das Leben. Und es ist traurig, was gerade in der Welt passiert. Wir haben eine Krise der Wertschätz­ung in unserer Gesellscha­ft. Es ist ein großes Thema wie wir Menschen aufeinande­r zugehen, miteinande­r umgehen, miteinande­r reden, einander zuhören. Und diese Themen, die uns im Inneren bewegen, finden sich wieder in unserer Musik.

Wie fühlt sich ein Musiker, der sein Innerstes nach außen kehrt? Stefanie: Wir fühlen uns ganz schön nackt. Anderersei­ts tut es auch gut. Uns haben so viele tolle Geschichte­n erreicht. Leute, die das Gleiche erlebt haben, schreiben uns, wie sie damit umgehen. Das sind Erfahrunge­n, die man sonst nie machen würde, weil über unschöne Sachen erzählt kaum einer mal einfach so. Wir öffnen uns, um für andere ein Begleiter zu sein. Und es ist das schönste Geschenk, das man als Musiker bekommen kann.

Amy hat auch ihre Erfahrunge­n mit dir geteilt und du hast ihr ein Lied gewidmet. Welche Geschichte steckt dahinter?

Stefanie: Das war eine inspiriere­nde Begegnung mit einem Mädchen, die wir im Song Amy nennen. Sie kam nach einem Konzert zu mir und hat sich für unsere Songs bedankt und gesagt, wie viel ihr das bedeutet, dass wir ihr mit unserer Musik in so vielen Situatione­n helfen konnten. Sie meinte, dass sie vor allem mich so bewundern würde, weil ich immer so stark und selbstbewu­sst sei. Ich wollte ihr klarmachen, dass sie so nicht denken darf. Wir zweifeln alle mal an uns, haben schlechte Momente, sind unzufriede­n mit uns oder haben das Gefühl nicht zu genügen. In den Momenten in denen ich schwach bin, zeige ich mich nicht auf

Instagram und wenn ich verletzlic­h bin, gehe ich nicht auf die Bühne. Ich habe nur gedacht wow, mit 14 Jahren wäre ich noch nicht so mutig gewesen. Dann habe ich mich zurückerin­nert an meine Jugend. Das Teenagerse­in war damals schon krass, heute muss das noch mal eine ganz andere Nummer sein.

Wie fühlt es sich an, ein Vorbild für so viele Menschen zu sein? Andreas: Wir sind wir und sehen uns selber nicht als Vorbilder. Die Verantwort­ung können wir gar nicht tragen.

Stefanie: Vorbild ist so ein wahnsinnig großes Wort. Meine Mutter ist mein Vorbild. Das ist eine Größenordn­ung, die realistisc­h ist. Natürlich ist es schön, wenn Menschen unsere Musik als Begleiter für ihr Leben sehen.

In „In meiner Erinnerung“singst du über deinen Vater, den du früh verloren hast. Was hat dir bei der Verarbeitu­ng geholfen?

Stefanie: Der Tod meines Vaters ist jetzt 15 Jahre her und ich dachte, ich hätte einen Platz in mir gefunden, wo das bleiben kann. Aber ich merke das arbeitet einfach immer noch in mir. Es gibt kein Rezept. Jeder muss seinen eigenen Weg finden. Natürlich hat die Musik mich ein Stück weit aufgefange­n, wenngleich ich im Nightliner oft geweint habe. Ich dachte nach der langen Zeit kann ich darüber sprechen, weil ich gelernt habe, das anzunehmen. Und trotzdem haut das Lied mich jedes Mal aus der Bahn. Wir wissen alle, wo das Leben anfängt, aber nicht, wo es aufhört. Dieses Lied zu machen, war für mich wahnsinnig wertvoll. Der Kreis schließt sich jetzt für mich.

Ihr habt den Song in Frankreich eingespiel­t, weil es ein Verspreche­n von deinem Vater war, irgendwann mit dir nach Frankreich zu reisen. Ist deine Band ein Stück weit wie ein Vater für dich? Stefanie: Die Band ist Zuhause und Familie. Ich sag ganz oft, ich könnte mir nie vorstellen Solokünstl­erin zu sein und alleine durch die Gegend zu reisen. Man teilt gute und schlechte Erfahrunge­n zusammen. Und in all den harten Jahren im Musikbusin­ess sind wir auch immer Freunde geblieben. Es ist ein ausnahmslo­ses Vertrauen und festes Band.

Euer Album Cover sieht farbenfroh und verspielt aus, ist also ein Gegensatz zu den melancholi­schen Songs. Was hat das zu bedeuten? Stefanie: In der Melancholi­e liegt so viel Mystisches, so viel Energie und Magie. Da passt das Symbol der Flügel sehr gut. Die Flügel vom Cover begleiten uns auch unterwegs. Sie sind ein hoffnungsv­olles Symbol. Flügel geben Kraft und stehen für Freiheit. Wir wollten, dass der Sound der Platte auch frei und luftig klingt.

Im Frühjahr habt ihr den Song „Mein Osten“herausgebr­acht. Ein kritisches Liebeslied an eure Heimat. Was wolltet ihr damit bewirken?

Stefanie: Der Song hat eine längere Geschichte. Die Heimat ist immer im Herzen und wir fiebern immer mit, dass alles gut wird. Wir leben in einer Zeit, in der es nicht nur Schwarz oder Weiß gibt. Was die Situation im Osten angeht, muss man gucken, woher diese Emotionen kommen. Warum fühlen sich die Menschen überforder­t und haben Angst? Und wenn diese Angst in Wut und Hass umschlägt, müssen wir da ran, und zwar zusammen. Wir müssen reden, auch wenn das anstrengen­d ist. Die Stimmung ist komplizier­t, es ist aufgeheizt und vor allem auch emotional aufgeladen. Wir wollten mit dem Song erreichen, dass die Menschen sich nicht verurteile­n, sondern einander zuhören. Demokratie muss immer die beste Lösung bleiben.

Was ist euer Osten?

Andreas: Das ist Heimat. Nach Bautzen kommen. Die Eltern kochen. Es gibt Kaffee und Kuchen und unsere Freunde sind da.

Stefanie: Das sind die Erinnerung­en die wir haben. Ohne Bautzen würde es uns als Band nicht geben. Wir haben uns im Jugendhaus kennengele­rnt, haben unsere Jugend dort verbracht, sind dort zur Schule gegangen und haben uns durchs Abi gequält. Wenn ich sage, ich bin Ossi, dann sage ich das nicht aus politische­n Gründen. Ich bin da aufgewachs­en und das ist gut. Wir verbinden den Osten mit unserem Zuhause, so wie jeder andere auch.

Live 2019: 14.12. AMontafon,

Weltcup.

Live 2020: 7.2. Stuttgart, Schleyerha­lle; 8.2. München, Olympiahal­le; 23.7. Lörrach, StimmenFes­tival.

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FOTO: JENS KOCH Stefanie Kloß und Thomas Stolle (rechts) sind seit 2018 Eltern eines Sohns. Gemeinsam mit Andreas Nowak (links) und Johannes Stolle (Dritter von links) sind sie Silbermond.

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