Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Das Erinnern soll nicht aufhören
„Zweitzeugen“Projekt zeigt Schülern, wie es in der Zeit des Nationalsozialismus zur Verfolgung der Juden kam
LAUPHEIM Das Projekt „Zweitzeugen“soll Laupheimer Schülern auf altersgerechte Weise ein Bild davon vermitteln, wie es im nationalsozialistischen Deutschland zur Ausgrenzung und Verfolgung jüdischer Mitbürger kommen konnte. Die SZ hat sich angeschaut, wie das Projekt in der Praxis umgesetzt wird.
Vor den Herbstferien hat Vanessa Eisenhardt von den „Heimatsuchern“die vierten Klassen der AnnavonFreybergGrundschule und der Grundschule Bronner Berg besucht. Seit 2014 sind die „Heimatsucher“ein eingetragener gemeinnütziger Verein. Die Mitglieder haben es sich zur Aufgabe gemacht, die letzten Überlebenden des Holocausts zu befragen. Ihr Ziel ist es, die Lebensgeschichten festzuhalten, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Die Idee dazu ist in einem Studienprojekt entstanden.
Schicksale der Überlebenden
Als „Zweitzeugen“werden Menschen bezeichnet, die mit solchen Zeitzeugen gesprochen haben. Die Mitglieder des Vereins besuchen Schulklassen und stellen ihnen die Einzelschicksale der Überlebenden der Shoa vor. Der Tagesablauf und die zunehmende Ausgrenzung im nationalsozialistischen Deutschland bilden dabei den Mittelpunkt. Aber auch was die Menschen vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten für Zukunftspläne hatten, und wie der Zivilisationsbruch ihr Leben für immer veränderte, spielt in den Erzählungen eine entscheidende Rolle.
Da wäre beispielsweise die Geschichte von Elisheva Lehman, die 1924 in den Niederlanden geboren wurde. Elisheva musste sich als Mädchen von ihrer ersten Liebe Berti trennen, um sich vor den Nationalsozialisten zu verstecken. „Nachdem die Familie einen Brief bekommen hatte, musste sie schnell fliehen“, erzählt Linda, Viertklässlerin der AnnavonFreybergSchule. Bei dem Brief handelte es sich um den Deportationsbescheid.
Elisheva und Berti haben zu diesem Zeitpunkt bereits Zukunftspläne; sie versprechen, sich Tagebücher zu schicken. Elisheva überlebt in verschiedenen Verstecken bei holländischen Familien den Krieg. „Sie musste sich unter den Dielen verstecken und immer ganz leise sein, damit sie nicht entdeckt wird“, sagt Timo, Viertklässler der AnnavonFreybergSchule, entsetzt. Ihre große Liebe traf Elisheva nie wieder, Berti überlebte das Vernichtungslager Auschwitz nicht.
Erfahrungen mit Ausgrenzung
Im Anschluss an die Vorstellung der Einzelschicksale besprechen die Mitglieder des Vereins gemeinsam mit den Schulsozialarbeitern und den
Kindern, welche Erfahrungen sie mit Ausgrenzung gemacht haben und was dagegen unternommen werden kann. Dadurch sollen die Kinder für das Thema Ausgrenzung und Diskriminierung sensibilisiert werden. „Es geht darum, Toleranz bereits im Grundschulalter anzulegen“, betont Schulsozialarbeiterin Manuela Schick. An den Lebensgeschichten könnten die Kinder nachvollziehen, wohin Ausgrenzung führen kann, wenn sich niemand dagegen wehrt. „Ich habe gelernt, dass man niemand ausschließen darf, so etwas darf nie wieder passieren“, sagt Schülerin Linda.
Die Unterrichtseinheit wurde mit den Eltern zuvor abgesprochen, um sie auf Fragen der Kinder vorzubereiten. Einige der Kinder hätten, nachdem sie die Geschichten und Filmausschnitte der Holocaustüberlebenden gehört und gesehen hatten, auch geweint. In einem Brief an die Überlebenden sollten sie ihre Gefühle ausdrücken. Die Briefe sind mit Herzen, Bäumen und Regenbogen verziert und enthalten rührende Botschaften des Mitgefühls an die Überlebenden.
Das Projekt „Zweitzeugen“wurde initiiert durch die städtische Schulsozialarbeit und im Februar 2018 erstmals an der FriedrichUhlmannSchule und in den vierten Klassen der AnnavonFreybergGrundschule durchgeführt. Im Herbst 2018 kamen die vierten Klassen der Grundschule Bronner Berg hinzu. Im Oktober 2019 wurde das Projekt zusätzlich zu den drei genannten Schulen auch an der FriedrichAdlerRealschule angeboten.