Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wenn Engel singen würden
Wiener Sängerknaben gastieren im Ulmer Münster
Es gibt sie, diese Begegnungen, bei welchen ●man meint, einen Hauch der Geschichte zu verspüren. Wenn dieses Zusammentreffen dann auch noch einen würdigen Rahmen erhält, sagen wir einen himmelberührenden sakralen Raum, das Ganze ergänzt um besinnliche Gedanken – was könnte feierlicher, ja atmosphärischer wirken als diese Mischung?
Genau diese bot sich am Samstagabend im Ulmer Münster, lediglich durch das prächtige Portal getrennt vom Trubel des Platzes. Die Wiener Sängerknaben gelten als der älteste nichtkirchliche Knabenchor der Welt. Bereits vor über 500 Jahren, so ist überliefert, begleiteten sie Kaiser Maximilian I. auf Reichstage. Unter der Leitung des Kapellmeisters Jimmy Chiang gastierten die 24 Buben (zwischen zehn und 14 Jahren) im Rahmen ihrer Weihnachtstournee auch in Ulm.
Mit geschlossenen Augen glaubte der Zuhörer in der Kirche wahrhaftig die Engel singen zu hören. Ganz in dunklem Blau gekleidet präsentierten sich die jungen Sänger teils im Chor, teils als Solisten, stets mit perfekter Disziplin und auftrittssicher. Den Raum vor der gotischen Kanzel zur kleinen Bühne umfunktioniert, erstreckte sich das Programm von geistlichen, weihnachtlichen Melodien des 16. Jahrhunderts bis in die jüngere Vergangenheit. Glockenklar das „Salve Regina“, vertont von Johann Joseph Fux.
Zu Michael Haydns „Heiligste Nacht“erklangen die Stimmen tatsächlich vom Himmel: Von der Kanzel herab verbreitete sich ein Duett wie aus anderen Sphären. Die Breite des Repertoires ergänzten allseits bekannte Volksweisen wie „Kommet Ihr Hirten“oder „Es wird scho glei dumpa“aus Oberösterreich. Einzigartig auch die Variationen mit Zweitstimme und das Anstimmen der Kanons, welche allein durch die variable Platzierung der Sänger ein Raumgefühl evozierten, das dem
Kirchenraum in jeder Weise angemessen erschien. Ergänzt wurden die einzelnen Musikblöcke durch Geschichten von und um das Christfest.
Nur noch in Sehnsüchten?
Der bekannte Theater und Fernsehschauspieler Gerd Anthoff entführte die Besucher der ausverkauften Veranstaltung in die Advents und Weihnachtszeit von Eltern und Großeltern. Oskar Marias Grafs „Christmette“bezeichnete einen Heiligen Abend, wie er heute vielleicht nur noch in den Sehnsüchten der Menschen existiert: besinnlich, mit
Schnee, Kirchgang und tief empfundener Freude. Das dies der eigentliche Sinn des Festes sei, bringt der Text Dino Buzzatis auf den Punkt: Eselchen und Ochse begeben sich auf die Erde, um den Menschen während der Adventszeit beizuwohnen. Allzu lange halten sie jedoch dem Umtrieb nicht stand: „Um sich glücklich zu fühlen, haben die Menschen es nötig, die Nerven zu verlieren“konstatierte dann auch der Esel. Anthoff trägt die Gedanken mit warmer Stimme vor. In diese kommerzielle Welt fühlte sich so mancher wieder hineingestoßen, als das Konzert nach fast zwei Stunden endete.