Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ein Schlag gegen den Frieden
Augsburg gilt als harmonische Großstadt – Nach dem Tod eines Feuerwehrmanns durch einen brutalen Hieb suchen die Menschen Antworten – Debatte um Videoüberwachung
Das Leben anderer Menschen zu schützen, war ihm eine Berufung, nun ist er brutal erschlagen worden. Es ist Freitagabend gegen 22.40 Uhr in der Augsburger Innenstadt, zwei Freunde, 49 und 50 Jahre, und ihre Frauen kommen vom Weihnachtsmarkt. Auf dem Königsplatz treffen sie auf eine Gruppe von Jugendlichen und Heranwachsenden, die erst parallel und dann ein Stück hinter ihnen geht. Die beiden Ehefrauen schlendern voraus und reden miteinander, wie die Videoüberwachung des Platzes zeigt. Dann kommt Bewegung in die Gruppe, die jungen Leute fangen an zu gestikulieren. Die beiden Männer bleiben plötzlich stehen. Einer von ihnen macht kehrt und geht auf die Gruppe zu – die ihn sofort umzingelt. „Dann gab es einen Schlag, der Mann fiel zu Boden“, sagte KripoChef Gerhard Zintl am Montag auf einer Pressekonferenz. Der Schlag kommt unvermittelt, von der Seite und mit voller Wucht. Es ist allein dieser eine Hieb, das ergibt die Obduktion, die den 49jährigen Feuerwehrmann tötet. Worum es bei dem Streit ging und was genau zu der Attacke geführt haben könnte, sagten die Ermittler zunächst nicht. Nur so viel: Der 49Jährige habe sich „regelkonform“verhalten.
Der Begleiter will seinem am Boden liegenden Freund helfen, doch auch ihn attackiert die Gruppe, er wird im Gesicht schwer verletzt. „Der ganze Handlungsablauf hat wenige Sekunden gedauert“, sagte Zintl. Dann ergreift die Gruppe die Flucht. Und hinterlässt eine Stadt unter Schock.
Ein kalter Wind fegt an diesem sonnigen Montagvormittag über den Königsplatz, auch Tage nach dem Tod des Feuerwehrmanns herrschen in Augsburg Fassungslosigkeit und Entsetzen. Menschen kommen zu jener Stelle vor einem Fastfoodrestaurant, wo Kerzen an die Tat erinnern. Manche diskutieren aufgeregt, andere starren stumm auf die flackernden Lichter. Um einen Baum hat jemand ein Pappschild gebunden, auf dem steht: „Pöbeln, randalieren, zuschlagen! Umbringen als Höhepunkt in VersagerKarrieren!“Über Inhalt und Wortwahl lässt sich streiten, nicht wenige werden nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen der Aussage aber nicht widersprechen.
Noch in der Tatnacht bildet die Polizei eine 20köpfige Ermittlergruppe, wertet die Videoaufnahmen aus, zieht Experten aus der Jugendszene zu Rate und befragt Zeugen. Mit Erfolg. Insgesamt sieben männliche Personen zwischen 17 und 20 Jahren konnte die Polizei inzwischen dem Haftrichter vorführen, darunter den mutmaßlichen Haupttäter, der den brutalen Schlag ausführte. Er hat einen deutschen, einen libanesischen und einen türkischen Pass. Der 17Jährige ist polizeibekannt, unter anderem wegen Körperverletzung. Er muss sich nun wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verantworten. Auch andere aus der Gruppe fielen in der Vergangenheit wegen verschiedener Delikte auf, gegen sie wird wegen Beihilfe zu Totschlag ermittelt. Alle Festgenommenen wurden in Deutschland geboren, haben zumeist einen türkischstämmigen Hintergrund, in einem Fall auch einen italienischen.
Polizeipräsident Michael Schwald lobte auf der Pressekonferenz ausdrücklich die sachliche Berichterstattung der Medien, kritisierte aber, dass die Polizei über die sozialen Medien einer „unerträglichen Anfeindung“ausgesetzt sei, sie würde vertuschen und verheimlichen. Bildmaterial und Informationen seien aber allein deshalb zurückgehalten worden, um der Gefahr von Flucht und der Vernichtung von Beweismitteln, etwa Kleidung, vorzubeugen. Beruhigen wird diese Erklärung die Gemüter kaum. Denn einmal mehr liegen nach einer solchen Tat die Nerven blank.
„Das sind die Kohorten, die wir reingeholt haben, die nun Leute umbringen“, echauffiert sich auf dem Königsplatz ein Mann mittleren Alters. „Drei Staatsangehörigkeiten hatte der Täter“, stimmt eine Frau zu. So bilden sich an diesem Vormittag immer wieder neue Pulks von Bürgern, die aufgewühlt debattieren.
Maria Spengler ist mit ihrem Kinderwagen stehen geblieben, ihr gefällt der Tonfall gar nicht: „Es ist furchtbar, dass ein Mensch sterben musste“, sagt die 37Jährige. „Diese Hetze aber mag ich gar nicht.“Mit ihrem Mann und drei Kindern zwischen ein und neun Jahren lebt sie nicht weit vom Tatort entfernt. „Ich hatte hier noch nie Angst – Augsburg ist keine gewalttätige Stadt.“Das sieht auch Dominik Wörtz so, der 21jährige Verkäufer mit Ohrring und dunkelrot gefärbten Haaren ist auch wegen der harmonischen Stimmung von Ulm hierhergezogen. „Am Freitagabend haben wir auf dem Königsplatz noch ein Feierabendbier getrunken, und dann das – Wahnsinn.“Nach einer Pause schüttelt er den Kopf und sagt „Augsburg – Friedensstadt ...“
In der Tat zählt Augsburg mit seinen rund 300 000 Einwohnern zu den friedlichsten Großstädten. Im vergangenen Jahr war die Kriminalität zwar leicht nach oben gegangen, allerdings in statistisch unbedeutendem Maß. „Man kann weiterhin sagen, dass es sich in Nordschwaben sehr, sehr sicher leben lässt“, sagte Polizeipräsident Schwald bei der Vorstellung der Kriminalitätsstatistik. In der Stadt Augsburg liegt die Zahl der Straftaten sogar auf dem zweitniedrigsten Wert der vergangenen zehn Jahre. Einen leichten Anstieg gab es bei den nichtdeutschen Tatverdächtigen. Diese machten im Jahr 2018 rund 34 Prozent der Verdächtigen aus. „Ich betone aber in allen Aussagen, dass die überwiegende Zahl der Zuwanderer rechtstreu ist“, so Schwald erst vor wenigen Monaten.
Mag Nordschwaben insgesamt sicher sein, der Königsplatz in Augsburg gilt als Ausnahme. Er ist „einsatztechnisch ein Brennpunkt“, ist auch ein Treffpunkt der Trinkerund Drogenszene, wie Polizeisprecher Michael Jakob der „Schwäbischen Zeitung“erklärte. Was kaum verwundert, der Platz ist Herzstück und Verkehrsknotenpunkt. Hier treffen alle Schichten und Kulturen aufeinander, kaum ein Bürger, der nicht regelmäßig die Fläche passiert. Bundesweit ist die Debatte um die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen nun neu entfacht.
„Die Bilder haben die Arbeit der Polizei deutlich erleichtert“, sagte schon am Wochenende Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der seit Jahren den Ausbau der Technik befürwortet und vorantreibt. Auch Staatsanwalt Rolf Werlitz sprach am Montag von einem „großen Glück“im Zusammenhang mit der Videoüberwachung. Nach kontroverser politischer Debatte wurden vor einem halben Jahr insgesamt 15 Kameras auf dem Königsplatz installiert. Mit entsprechender Wirkung. „Die Fallzahlen sind seither sogar marginal angestiegen“, sagt Polizeisprecher Jakob, da nun auch Delikte erfasst würden, die früher im Verborgenen blieben, etwa im Rauschgifthandel. Damit verbunden ist logischerweise auch eine höhere Aufklärung, wie nicht zuletzt der aktuelle dramatische Fall belegt. Mittelfristig erhofft sich die Polizei allerdings, dass sich der vorwiegende Grund für die Videoüberwachung erfüllt, nämlich die abschreckende Wirkung. Studien gehen bisher eher von einem Gewöhnungseffekt aus, also von einer verpuffenden Wirkung. Auch heißt es immer wieder, durch die Überwachung werde Kriminalität nur verlagert. Da die Studien bisher nicht eindeutig sind, wird die künftige Entwicklung in der Fuggerstadt unter besonderer Beobachtung stehen.
Keinen Trost gibt es für die Familien der beiden Opfer, sie stehen unter Schock. Die Ehefrau des getöteten 49Jährigen war am Wochenende nicht vernehmungsfähig. Auch unter Polizei und Feuerwehr herrschte am Montag noch immer tiefe Trauer, die Betroffenheit war bei der Pressekonferenz im Polizeipräsidium Schwaben Nord greifbar, daran konnte auch der schnelle Fahndungserfolg nichts ändern. Im Gedenken an den so furchtbar umgekommenen Kollegen brannten am Abend Kerzen vor den Feuerwehrwachen in ganz Deutschland. Auch und vor allem in Augsburg, der Friedensstadt.
„Ich hatte hier noch nie Angst.“
Das sagt die Passantin Maria Spengler, die mit ihrer Familie nicht weit vom Tatort entfernt lebt