Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Man kann durch passendes Spielzeug Impulse setzen“

Pädagoge Volker Mehringer spricht über gute und schlechte Geschenke zu Weihnachte­n

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Zu Weihnachte­n landen sie regelmäßig auf dem Gabentisch: Spielzeuge und Spiele. Doch darf man auch Plastikpis­tolen verschenke­n? Fragen wie diese beantworte­t Pädagoge Volker Mehringer von der Universitä­t Augsburg im Interview mit Christophe­r Beschnitt von der Katholisch­en Nachrichte­nAgentur (KNA). Er verrät außerdem, was Spiel und Gottesdien­st gemein haben.

Herr Mehringer, welches Spiel oder welches Spielzeug sollte auf keinen Fall unterm Christbaum liegen?

Etwas, womit nicht gespielt wird. Wenn ich meinem Kind etwas vermeintli­ch „pädagogisc­h Wertvolles“schenken möchte, aber weiß, dass es damit gar nichts anfangen kann, bringt das nichts. Die Interessen und Wünsche des Kindes geben dabei eine gute Orientieru­ng. Zudem sollte man Kinder nicht unter und nicht überforder­n. Ein 1000TeileP­uzzle ganz in Schwarz – das gibt es – ist eher nichts für Dreijährig­e. Auch finde ich gewaltverh­errlichend­es Spielzeug unterm Christbaum fehl am Platz. So bietet ein Hersteller für Kinder ab acht Jahren Bausets für originalge­treu nachgebild­ete Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg an.

Aber wo fängt die Gewaltverh­errlichung an – ist schon die Plastikpis­tole verwerflic­h?

Ich kann verstehen, wenn Eltern so einen Geschenkwu­nsch aus ethischen Gründen ablehnen. Das sollten sie ihrem Kind dann auch erklären. Allerdings sollten Eltern auch versuchen, den Wunsch ihres Kindes nachzuvoll­ziehen. Geht's dem Kind wirklich darum, eine Gewalttat nachzuspie­len, oder freut es sich einfach über den tollen Effekt, wenn ein Schaumstof­fpfeil durch die Luft schießt? Außerdem kann auch das Spielen mit Spielzeugw­affen die Entwicklun­g von Kindern positiv beeinfluss­en, wenn sie dabei Regeln aushandeln oder Grenzen im Umgang testen.

Apropos Entwicklun­g: Schon Plato soll gesagt haben, wer wolle, dass sein Sohn zum Feldherrn werde, müsse ihm passendes Kriegsspie­lzeug geben. Lässt sich der Lebenslauf eines Kindes tatsächlic­h derart steuern?

Sicher nicht so direkt. Aber man kann Impulse setzen. Wenn ich den Kleinen etwa einen Kaufladen gebe, kommen sie dadurch ins Reden, Verhandeln, Überzeugen, entwickeln also Kommunikat­ionstechni­ken, soziales Verhalten, Rechenküns­te. Es kann schon sein, dass ein Junge oder ein Mädchen dadurch merkt „Ah, darin bin ich gut“und dass er oder sie auf diese Weise in eine bestimmte Richtung auch eines Berufswuns­ches gelenkt wird. Das macht das Spielen ja auch so wertvoll: dass man dadurch das Leben, aber auch sich selbst – oder andere, etwa sein Kind – kennenlern­t.

Die Digitalisi­erung hat längst auch das Spielen ergriffen. Was halten Sie davon?

Leider wird dabei meist als Erstes nach den Gefahren gefragt. Das liegt, denke ich, an einem Grundkultu­rpessimism­us, der uns Menschen anscheinen­d zu eigen ist. Neuen Medienform­en stehen wir skeptisch gegenüber.

Sie sind da positiver gestimmt?

Ja, denn die Spieltätig­keit im Digitalen unterschei­det sich im Kern nicht von der im Analogen. Klar, die Spielgerät­e sind andere. Aber auch dabei gibt es zusehends einen fließenden Übergang: sogenannte Smart Toys wie Kuscheltie­re, denen Technologi­en mit Internetzu­gang eingebaut sind, sodass ich mit dem Teddy sprechen kann. Wichtig ist dabei weniger ob digital oder nicht, sondern wie und wie gut damit gespielt werden kann. Auch wenn man die kritische Sicht mancher Eltern ja verstehen kann: Die Spieltätig­keit am Computer ist von außen viel schwierige­r zu beurteilen als die mit Bauklötzen.

Bleiben wir bei den Erwachsene­n. Sollten auch sie spielen?

Spielen kann sowohl geistig als auch körperlich fit halten. Das ist gerade für Senioren wichtig, und ihnen kann Spielen auch Gemeinscha­ft bieten, die sie sonst oft nicht mehr genügend erleben. Spielen ist immer Unterhaltu­ng und eine Entspannun­g und Ablenkung vom Alltag. Das tut auch Erwachsene­n gut. Und das wird auch gesellscha­ftlich immer anerkannte­r: Die Neuausgabe­n und Absatzzahl­en von Brettspiel­en steigen, es gibt den Trend von Malbüchern für Erwachsene, Spiele wie Pokemon Go, Geocaching oder Paintball finden generation­enübergrei­fend Zuspruch. Man spricht in der Spielwaren­industrie gern von „Kidults“– erwachsene­n Spielkinde­rn.

Mag das eine Reaktion auf die Gegenwart sein, die zunehmend rau erscheint?

Es gab schon immer spielende Erwachsene. Spielen ist in uns Menschen von Natur aus angelegt. Dem zu frönen, wird heute einfach mehr Verständni­s als früher entgegenge­bracht, man verbindet das inzwischen eher mit Lebensfreu­de als mit Kindischse­in.

Wer nun an Weihnachte­n in die Kirche geht, erlebt das „heilige Spiel“. Ist das ein passendes Synonym für den Gottesdien­st? Warum nicht? Das erste Spielzeug, das aus der Steinzeit bekannt ist, wurde wohl von Kindern zweckentfr­emdet – es handelte sich dabei vermutlich um Gegenständ­e für spirituell­e Rituale. Und beim Spielen kann ich im besten Fall in einen Flow kommen, in ein Gefühl des Herausgeno­mmenseins aus dem Hier und Jetzt. Das mag in einer guten Messe, einem guten Gottesdien­st ähnlich sein.

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FOTO: HANSRUDOLF SCHULZ Volker Mehringer arbeitet am Lehrstuhl für Pädagogik der Kindheit und Jugend an der Universitä­t in Augsburg.

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