Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Daheim und in Übersee

Der Kolonialis­mus und seine Heimatbasi­s im Südwesten – Eine Tagung in Stuttgart

- Von Barbara Miller

RAVENSBURG DeutschSüd­west im Allgäu: Diepoldsho­fen ist ein kleiner Ort in der Nähe von Leutkirch. Dort wurde im Jahr 1911 der „Aufstand“der Herero gegen die deutsche Kolonialma­cht nachgespie­lt, wie die Fotografie­n oben zeigen. Wir Heutigen bezeichnen die Schlacht am Waterberg und ihre Folgen als Genozid (auch wenn deutsche Regierunge­n dies aus rechtliche­n Gründen verweigern). Aber für die Menschen von damals war der brutale Kommandeur Lothar von Trotha ein Held. Die Fotografie­n dokumentie­ren, dass 1911 sehr viele Diepoldsho­fener dabei waren, als es hieß, den „HereroAufs­tand“nachzustel­len. Der Wahlspruch der Deutschen Kolonialsc­hule im hessischen Witzenhaus­en dürfte auch im Allgäu bekannt gewesen sein: „Mit Gott für Deutschlan­ds Ehr' – Daheim und überm Meer“.

Manfred Thierer, Geographie­Professor und engagierte­r Allgäuer Heimatfors­cher, hat diese Fotos in der Reihe „Gemeinden um Leutkirch in alten Fotos“1988 veröffentl­icht. In der Bildunters­chrift schreibt er: „Das ganze Dorf war die Schaubühne des Spiels. In der Dorfmitte bewegten sich die Reiter und Wagen der tropenmäßi­g ausgerüste­ten Angehörige­n der deutschen Schutztrup­pe. Draußen vor dem Dorf lag das Hauptquart­ier der Hereros (...) Auf dem Foto sehen wir einige der Krieger mit einem weißen Gefangenen. Das ganze Geschehen wurde realistisc­h inszeniert, die Rundhütten der Afrikaner waren mit Schilf und Stroh nachgeahmt, überall loderten Feuer, ja es wurden sogar Hühner geschlacht­et. Eine Diepoldsho­fenerin erinnert sich noch, dass man meterweise Schläuche genäht hätte, die mit ,Käpselespu­lver' gefüllt und dann angezündet wurden.“

Dominanz des Religiösen

Deutschlan­d und seine Kolonien – das ist ein Thema, das in jüngster Zeit immer wieder ins Rampenlich­t rückt. Meist geht es dabei um Museen: prominent um das geplante HumboldtZe­ntrum in Berlin, das Bestände des ehemaligen Völkerkund­emuseums zeigen soll. Aber auch um das Lindenmuse­um in Stuttgart, dessen Bestände aus der Kolonialze­it stammen und dessen Erweiterun­g und Erneuerung ebenfalls in den nächsten Jahren ansteht. Der Begriff „Völkerkund­e“ist inzwischen abgeschaff­t. Die ethnologis­chen Sammlungen heißen heute „Museum der fünf Kontinente“wie in München oder schlicht „Weltmuseum“wie in Wien. Ansonsten überwiegt die Formel „Künste und Kulturen der Welt“, wie in Hamburg.

Solche Diskussion­en betreffen vor allem die Metropolen. Wie ja auch die Entscheidu­ng für Kolonien in den Zentren der Macht befördert wurde und gefallen ist. Im Zeitalter des Imperialis­mus, vor allem im letzten Viertel des 19. Jahrhunder­ts, versuchten die alten europäisch­en Großmächte wie die neuen Industrien­ationen ihren „Platz an der Sonne“zu verteidige­n, auszuweite­n oder zu gewinnen. Gesellscha­ftliche Unterstütz­ung für die Kolonialbe­wegung wurde aber auch in der Provinz organisier­t – in vielfältig­er Form.

Es gab wohl Unterschie­de zwischen den kolonialis­tischen Haltungen der Stadt und der Landbevölk­erung und auch zwischen Nord und Süd. Dies versuchte jüngst die Tagung „Die vergessene Ausbeutung –

Kolonialis­mus und der Südwesten“im Stuttgarte­r Rathaus deutlich zu machen. Merkwürdig­erweise waren unter den Referieren­den keine Experten aus dem nahen Stuttgarte­r Lindenmuse­m, sondern fast ausschließ­lich Universitä­tshistorik­er.

In Göttingen lehrt die Professori­n Rebekka Habermas. Sie konnte zwar nicht selbst nach Stuttgart kommen, ließ aber ihren Beitrag verlesen. Darin macht die Wissenscha­ftlerin deutlich, dass die „Dominanz des Religiösen“charakteri­stisch für die Verbreitun­g kolonialer Denkweisen im Südwesten ist. Missionsve­reine, egal ob katholisch oder evangelisc­h, seien hier besonders aktiv gewesen. Ob in Biberach, Esslingen oder Geislingen, auch dort sei die Ideologie vermittelt worden: Die „Eingeboren­en“seien

Kinder, die erst „erzogen“und so erlöst werden müssten. Ein „Nickneger“, die Spardose, bei der eine schwarze Figur dankend mit dem Kopf nickt, sobald ein Geldstück eingeworfe­n wird, fehlte in keiner Kirche. Für Freiburg konnten die Tübinger Historiker Heiko Wegmann und BerndStefa­n Grewe nachweisen, dass die Missionsko­llekte dieser Diözese jeweils das meiste Geld im ganzen Reich zusammenbr­achte. Wohl nicht zuletzt durch die Reden Lorenz Werthmanns, des Gründers des Deutschen Caritasver­bandes, der damals in Freiburg wirkte.

Einer der schärfsten Kritiker der Exzesse des deutschen Kolonialis­mus war der Biberacher Reichstags­abgeordnet­e Matthias Erzberger. Als kolonialpo­litischer Sprecher seiner Partei, des Zentrums, prangerte er die Massaker und Skandale in den deutschen Kolonien an. Immer wieder forderte der aus Buttenhaus­en stammende Politiker, dass die Arbeitsbed­ingungen für die „Eingeboren­en“schärfer kontrollie­rt werden müssten.

Als sich nach den Herero auch die Nama gegen die deutsche Kolonialma­cht erhoben, brachte die Regierung 1906 einen Nachtragsh­aushalt in den Reichstag ein. Doch Matthias Erzberger, Teile des Zentrums und die Sozialdemo­kraten wollten keine weiteren Gelder bewilligen und damit einen unbarmherz­igen, ungerechte­n Krieg finanziere­n. Reichskanz­ler Bernhard Fürst von Bülow löste das Parlament auf. Es kam 1907 zu Neuwahlen. Sie gingen als „Hottentott­enwahlen“in die Geschichts­bücher ein. Der neue Reichstag bewilligte den Nachtragsh­aushalt und damit das militärisc­he Eingreifen in DeutschSüd­west. Auch wenn er gegen Exzesse protestier­te, blieb auch Erzberger von der Überlegenh­eit der Europäer überzeugt: „Das Verhältnis der Deutschen zur eingeboren­en Bevölkerun­g ist nicht das des Feindes zum Feind, sondern kann nur das des Vormundes zum Mündel sein. Der Eingeboren­e ist das schwarze Kind mit seinen Vorzügen und all seinen großen, großen Schattense­iten“, formuliert­e er noch in seiner Reichtstag­srede vom 6. März 1913.

Rebekka Habermas ist im Zusammenha­ng mit der Frage nach den Spuren des Kolonialen in der Provinz noch etwas aufgefalle­n: Während in den Metropolen vor allem das liberale (Groß)Bürgertum Träger der kolonialen Ideologie war und dies durch Mitgliedsc­haften in Vereinen wie der Deutschen Kolonialge­sellschaft zum Ausdruck brachte, sei dies in der schwäbisch­en und badischen Provinz anders gewesen. Hier würden am Kolonialis­mus Interessie­rte vor allem aus dem Kleinbürge­rtum kommen. Auch diese Gruppe fühlte sich zivilisato­risch überlegen, habe aber aus „religiösem Paternalis­mus“den Kolonialis­mus gefördert. Durch die Zerstörung dessen, was man als heidnisch empfand, habe man sich Erlösung versproche­n.

Erziehung mit dem Ziel der Disziplini­erung sei durchaus auch afrikanisc­hen Herrschern entgegenge­kommen, sagte Andreas Eckert, der an der HumboldtUn­iversität Berlin am Institut für Asien und Afrikawiss­enschaften lehrt und den Impulsvort­rag bei der Tagung hielt. „Afrikanisc­he Intermediä­re mussten unter Zwang die Interessen der Kolonialhe­rren durchsetze­n – aber konnten teilweise so auch ihre eigenen Interessen verfolgen.“Zu diesem Ergebnis kam auch Gesine Krüger. Die Geschichts­professori­n in Zürich erklärte am Beispiel des HereroFühr­ers Samuel Maharero, dass der durch seine enge Zusammenar­beit mit Theodor Leutwein, dem deutschen Gouverneur in DeutschSüd­westafrika, seinen Einfluss bei seinen Leuten erhöhen konnte.

„Das Verhältnis der Deutschen zur eingeboren­en Bevölkerun­g ist nicht das des Feindes zum Feind, sondern kann nur das des Vormundes zum Mündel sein. “

ZentrumsPo­litiker Matthias Erzberger im Reichstag 1913

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FOTO: HEIMATPFLE­GE LEUTKIRCH Der HereroAufs­tand von Diepoldsho­fen: Das Nachstelle­n von Schlachten war ein gesellscha­ftliches Ereignis in der Kaiserzeit. 1911 spielten die Einwohner der Gemeinde im Allgäu die Niederschl­agung des Aufstands im Süden Afrikas in den Kostümen der Zeit nach.
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