Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Daheim und in Übersee
Der Kolonialismus und seine Heimatbasis im Südwesten – Eine Tagung in Stuttgart
RAVENSBURG DeutschSüdwest im Allgäu: Diepoldshofen ist ein kleiner Ort in der Nähe von Leutkirch. Dort wurde im Jahr 1911 der „Aufstand“der Herero gegen die deutsche Kolonialmacht nachgespielt, wie die Fotografien oben zeigen. Wir Heutigen bezeichnen die Schlacht am Waterberg und ihre Folgen als Genozid (auch wenn deutsche Regierungen dies aus rechtlichen Gründen verweigern). Aber für die Menschen von damals war der brutale Kommandeur Lothar von Trotha ein Held. Die Fotografien dokumentieren, dass 1911 sehr viele Diepoldshofener dabei waren, als es hieß, den „HereroAufstand“nachzustellen. Der Wahlspruch der Deutschen Kolonialschule im hessischen Witzenhausen dürfte auch im Allgäu bekannt gewesen sein: „Mit Gott für Deutschlands Ehr' – Daheim und überm Meer“.
Manfred Thierer, GeographieProfessor und engagierter Allgäuer Heimatforscher, hat diese Fotos in der Reihe „Gemeinden um Leutkirch in alten Fotos“1988 veröffentlicht. In der Bildunterschrift schreibt er: „Das ganze Dorf war die Schaubühne des Spiels. In der Dorfmitte bewegten sich die Reiter und Wagen der tropenmäßig ausgerüsteten Angehörigen der deutschen Schutztruppe. Draußen vor dem Dorf lag das Hauptquartier der Hereros (...) Auf dem Foto sehen wir einige der Krieger mit einem weißen Gefangenen. Das ganze Geschehen wurde realistisch inszeniert, die Rundhütten der Afrikaner waren mit Schilf und Stroh nachgeahmt, überall loderten Feuer, ja es wurden sogar Hühner geschlachtet. Eine Diepoldshofenerin erinnert sich noch, dass man meterweise Schläuche genäht hätte, die mit ,Käpselespulver' gefüllt und dann angezündet wurden.“
Dominanz des Religiösen
Deutschland und seine Kolonien – das ist ein Thema, das in jüngster Zeit immer wieder ins Rampenlicht rückt. Meist geht es dabei um Museen: prominent um das geplante HumboldtZentrum in Berlin, das Bestände des ehemaligen Völkerkundemuseums zeigen soll. Aber auch um das Lindenmuseum in Stuttgart, dessen Bestände aus der Kolonialzeit stammen und dessen Erweiterung und Erneuerung ebenfalls in den nächsten Jahren ansteht. Der Begriff „Völkerkunde“ist inzwischen abgeschafft. Die ethnologischen Sammlungen heißen heute „Museum der fünf Kontinente“wie in München oder schlicht „Weltmuseum“wie in Wien. Ansonsten überwiegt die Formel „Künste und Kulturen der Welt“, wie in Hamburg.
Solche Diskussionen betreffen vor allem die Metropolen. Wie ja auch die Entscheidung für Kolonien in den Zentren der Macht befördert wurde und gefallen ist. Im Zeitalter des Imperialismus, vor allem im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, versuchten die alten europäischen Großmächte wie die neuen Industrienationen ihren „Platz an der Sonne“zu verteidigen, auszuweiten oder zu gewinnen. Gesellschaftliche Unterstützung für die Kolonialbewegung wurde aber auch in der Provinz organisiert – in vielfältiger Form.
Es gab wohl Unterschiede zwischen den kolonialistischen Haltungen der Stadt und der Landbevölkerung und auch zwischen Nord und Süd. Dies versuchte jüngst die Tagung „Die vergessene Ausbeutung –
Kolonialismus und der Südwesten“im Stuttgarter Rathaus deutlich zu machen. Merkwürdigerweise waren unter den Referierenden keine Experten aus dem nahen Stuttgarter Lindenmusem, sondern fast ausschließlich Universitätshistoriker.
In Göttingen lehrt die Professorin Rebekka Habermas. Sie konnte zwar nicht selbst nach Stuttgart kommen, ließ aber ihren Beitrag verlesen. Darin macht die Wissenschaftlerin deutlich, dass die „Dominanz des Religiösen“charakteristisch für die Verbreitung kolonialer Denkweisen im Südwesten ist. Missionsvereine, egal ob katholisch oder evangelisch, seien hier besonders aktiv gewesen. Ob in Biberach, Esslingen oder Geislingen, auch dort sei die Ideologie vermittelt worden: Die „Eingeborenen“seien
Kinder, die erst „erzogen“und so erlöst werden müssten. Ein „Nickneger“, die Spardose, bei der eine schwarze Figur dankend mit dem Kopf nickt, sobald ein Geldstück eingeworfen wird, fehlte in keiner Kirche. Für Freiburg konnten die Tübinger Historiker Heiko Wegmann und BerndStefan Grewe nachweisen, dass die Missionskollekte dieser Diözese jeweils das meiste Geld im ganzen Reich zusammenbrachte. Wohl nicht zuletzt durch die Reden Lorenz Werthmanns, des Gründers des Deutschen Caritasverbandes, der damals in Freiburg wirkte.
Einer der schärfsten Kritiker der Exzesse des deutschen Kolonialismus war der Biberacher Reichstagsabgeordnete Matthias Erzberger. Als kolonialpolitischer Sprecher seiner Partei, des Zentrums, prangerte er die Massaker und Skandale in den deutschen Kolonien an. Immer wieder forderte der aus Buttenhausen stammende Politiker, dass die Arbeitsbedingungen für die „Eingeborenen“schärfer kontrolliert werden müssten.
Als sich nach den Herero auch die Nama gegen die deutsche Kolonialmacht erhoben, brachte die Regierung 1906 einen Nachtragshaushalt in den Reichstag ein. Doch Matthias Erzberger, Teile des Zentrums und die Sozialdemokraten wollten keine weiteren Gelder bewilligen und damit einen unbarmherzigen, ungerechten Krieg finanzieren. Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow löste das Parlament auf. Es kam 1907 zu Neuwahlen. Sie gingen als „Hottentottenwahlen“in die Geschichtsbücher ein. Der neue Reichstag bewilligte den Nachtragshaushalt und damit das militärische Eingreifen in DeutschSüdwest. Auch wenn er gegen Exzesse protestierte, blieb auch Erzberger von der Überlegenheit der Europäer überzeugt: „Das Verhältnis der Deutschen zur eingeborenen Bevölkerung ist nicht das des Feindes zum Feind, sondern kann nur das des Vormundes zum Mündel sein. Der Eingeborene ist das schwarze Kind mit seinen Vorzügen und all seinen großen, großen Schattenseiten“, formulierte er noch in seiner Reichtstagsrede vom 6. März 1913.
Rebekka Habermas ist im Zusammenhang mit der Frage nach den Spuren des Kolonialen in der Provinz noch etwas aufgefallen: Während in den Metropolen vor allem das liberale (Groß)Bürgertum Träger der kolonialen Ideologie war und dies durch Mitgliedschaften in Vereinen wie der Deutschen Kolonialgesellschaft zum Ausdruck brachte, sei dies in der schwäbischen und badischen Provinz anders gewesen. Hier würden am Kolonialismus Interessierte vor allem aus dem Kleinbürgertum kommen. Auch diese Gruppe fühlte sich zivilisatorisch überlegen, habe aber aus „religiösem Paternalismus“den Kolonialismus gefördert. Durch die Zerstörung dessen, was man als heidnisch empfand, habe man sich Erlösung versprochen.
Erziehung mit dem Ziel der Disziplinierung sei durchaus auch afrikanischen Herrschern entgegengekommen, sagte Andreas Eckert, der an der HumboldtUniversität Berlin am Institut für Asien und Afrikawissenschaften lehrt und den Impulsvortrag bei der Tagung hielt. „Afrikanische Intermediäre mussten unter Zwang die Interessen der Kolonialherren durchsetzen – aber konnten teilweise so auch ihre eigenen Interessen verfolgen.“Zu diesem Ergebnis kam auch Gesine Krüger. Die Geschichtsprofessorin in Zürich erklärte am Beispiel des HereroFührers Samuel Maharero, dass der durch seine enge Zusammenarbeit mit Theodor Leutwein, dem deutschen Gouverneur in DeutschSüdwestafrika, seinen Einfluss bei seinen Leuten erhöhen konnte.
„Das Verhältnis der Deutschen zur eingeborenen Bevölkerung ist nicht das des Feindes zum Feind, sondern kann nur das des Vormundes zum Mündel sein. “
ZentrumsPolitiker Matthias Erzberger im Reichstag 1913