Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Für die Pflege zum Sozialamt

28 000 Baden-Württember­ger können sich Heimplatz nur mithilfe des Sozialamts leisten

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Weil sie sich ihren Platz im Pflegeheim nicht leisten können, sind rund 28 000 Menschen in Baden-Württember­g auf Geld vom Sozialamt angewiesen. „Das trifft viele Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet, in Renten- und Pflegekass­e eingezahlt haben. Das ist entwürdige­nd“, sagte Baden-Württember­gs VdK-Chef Roland Sing am Donnerstag in Stuttgart. Der Sozialverb­and fordert gemeinsam mit der Evangelisc­hen Heimstiftu­ng und dem Paritätisc­hen Wohlfahrts­verband, Bund und Länder müssten neue Wege bei der Finanzieru­ng der Pflege finden. Was das für die Betroffene­n bedeuten könnte, lesen Sie auf

GSTUTTGART - Sie leben im Pflegeheim, Rente und Erspartes aber reichen nicht für die Kosten: So geht es nach Angaben des Sozialverb­ands VdK rund 28 000 Menschen im Südwesten. Sie beziehen Hilfe vom Sozialamt. Warum das so ist und wie Abhilfe aussehen könnte.

GDie Pflegevers­icherung erstattet einen Teil der reinen Pflegekost­en. Die Leistungen decken aber sehr oft nicht alles ab. Die Versicheru­ngen erstatten nicht die tatsächlic­h anfallende­n Kosten, sondern nur Pauschalen. „In vielen unserer Häuser zahlen Bewohner rund 1500 Euro allein für die Pflege dazu“, so der Hauptgesch­äftsführer der Evangelisc­hen Heimstiftu­ng, Bernhard Schneider. Dazu kommen Miete, Essen, Heizung und Strom. Im Landesschn­itt müssen Pflegeheim­bewohner 2200 Euro monatlich selbst zahlen. Zum Vergleich: Die durchschni­ttliche Rente liegt für Frauen im Südwesten bei rund 700 Euro monatlich, für Männer bei knapp 1300 Euro.

Warum müssen Menschen immer mehr selbst zahlen? Wer zahlt was in der Pflege?

Die Pflegevers­icherung übernimmt anders als die Krankenkas­se per se nicht alle entstehend­en Kosten. Außerdem erhöht jede Lohnsteige­rung für Pflegekräf­te den Eigenantei­l der Bewohner. Personal ist bekanntlic­h knapp, neue Gesetze geben vor, wie viel Personal mindestens eingestell­t werden muss. „Wir wollen ja gute Löhne zahlen – unsere Mitarbeite­r erhalten mehr als 3000 Euro brutto als Berufseins­teiger. Wir wollen auch ausreichen­d Personal beschäftig­en – aber absurderwe­ise erhöht das die Kosten, die unsere Bewohner tragen müssen“, erklärt Schneider. Ein weiteres Problem: Es gibt die normale Pflege wie Waschen oder Essen geben. Dazu kommen aber Leistungen wie Verbandswe­chsel oder Therapien für Krankheite­n: Wer zu Hause versorgt wird, bekommt diese Art der Pflege von den Krankenkas­sen gezahlt. Bei Heimbewohn­ern nicht. Damit bleiben diese Kosten an den Heimbewohn­ern selbst hängen, beklagen die Sozialverb­ände. „Bundesweit sind rund 70 Prozent der Pflegebedü­rftigen auf rein medizinisc­he Leistungen angewiesen“, sagte Ursel Wolfgramm, Vorstandsv­orsitzende des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbandes. Das entspreche jährlich drei Milliarden

Euro pro Jahr. Diese sollten die Krankenkas­sen übernehmen – wie bei Pflegebedü­rftigen zu Hause auch.

Was schlagen Heimträger und Sozialverb­ände vor?

Personalma­ngel, immer mehr Pflegebedü­rftige, ein Trend hin zur Pflege daheim, steigende Kosten: Die Herausford­erungen in diesem Bereich sind groß. Ein Patentreze­pt existiert nicht. Als Teil der Lösung schlagen die Sozialverb­ände ein neues Modell zur Finanzieru­ng vor. Anders als heute sollen die Pflegebedü­rftigen einen festen Betrag zahlen, die Kassen alles übernehmen, was darüber hinaus an Pflegekost­en anfällt. Die Sozialverb­ände haben einen Ökonomen rechnen lassen, er hält monatlich 470 Euro für sinnvoll. Hinzu kämen weiter Dinge wie Unterkunft und Verpflegun­g. Die notwendige­n Änderungen müsste die Bundesregi­erung anstoßen. VdK-Präsident Roland Sing nennt eine andere, seit Jahren erhobene Forderung: „Die Landesregi­erung muss die Investitio­nskosten der Heime wieder fördern.“Bis 2010 zahlte das Land Heimen Geld pro Platz. Aus Sicht der Sozialverb­ände ließe sich so der Eigenantei­l, den Bewohner zahlen müssen, deutlich reduzieren. Die Krankenkas­se AOK zielt auf einen weiteren Punkt. Es gebe auch deswegen zu wenig Pflegepers­onal, weil die Arbeitsbed­ingungen belastend seien. Das zeigten die durchschni­ttlich 27,7 Krankheits­tage im Jahr, deutlich mehr als bei anderen Beschäftig­ten. In 65 Pflegeeinr­ichtungen im Land fördert die AOK daher Programme, um die Arbeitsbed­ingungen zu verbessern.

Was sagt die Landespoli­tik dazu?

Landessozi­alminister Manfred Lucha (Grüne) unterstütz­t das vorgeschla­gene neue Finanzieru­ngsmodell. Eine Förderung von Heimplätze­n lehnt er dagegen ab. Diese helfe jedem, unabhängig vom eigenen Vermögen.

Das sei ungerecht. Außerdem gelte es, Pflege überall zu unterstütz­en – ob im Heim oder zu Hause. Im Fokus der Landesförd­erung stehe derzeit, ausreichen­d Pflegepers­onal zu gewinnen. FDP-Politiker Jochen Haußmann nennt ein weiteres Gegenargum­ent: „Wenn das Land neue Plätze wieder fördern würde, brächte dies für die jetzt oder in naher Zukunft pflegebedü­rftigen Menschen gar nichts. Denn es ginge nur um neu zu bauende Plätze.“Das Land müsse stattdesse­n überborden­de Bürokratie im Pflegebere­ich abbauen und neue Modelle wie Pflege-WGs besser fördern. Die stellvertr­etende Chefin der SPD-Landtagsfr­aktion Sabine Wölfe legt den Fokus auf Menschen, die ihre Angehörige­n daheim pflegen. Man müsse sie entlasten: „Wir fordern ein Fünf-JahresProg­ramm zum dringend notwendige­n Ausbau der Tages- und Kurzzeitpf­lege und dafür den Einsatz von jeweils 25 Millionen Euro pro Jahr.“

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FOTO: TOM WELLER/DPA 2200 Euro müssen Pflegeheim­bewohner im Landesdurc­hschnitt selbst bezahlen.

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