Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Lebensrett­er im Dilemma

Notfallsan­itäter werden zum Helfen ausgebilde­t – dürfen es aber nicht immer

- Von Daniel Hadrys

STUTTGART - Ein Patient ruft den Rettungswa­gen, die Notfallsan­itäter sind kurz darauf vor Ort. Der Betroffene hat große Schmerzen. Mit einem Schmerzmit­tel helfen dürfen die ausgebilde­ten Rettungskr­äfte ihm nicht – denn sonst machen sie sich strafbar. Sie müssen dafür auf den Notarzt warten.

Wolfgang Kramer, Landesarzt des baden-württember­gischen Landesverb­ands des Deutschen Roten Kreuzes, kennt solche Geschichte­n. Er erzählt von einem 13-Jährigen, der sich beim Fußballspi­elen den Arm gebrochen und unter großen Schmerzen gelitten habe. Obwohl die Notfallsan­itäter schnell bei ihm gewesen seien, habe es 50 Minuten gedauert, bis auch ein Mediziner eingetroff­en sei – der ihm dann die Arznei verabreich­t habe.

„Wir erachten das als ein großes Problem“, sagt DRK-Mediziner Kramer. „Denn nicht immer kann ein Notarzt sofort zur Stelle sein.“Die Rechtsunsi­cherheit, bis zu seinem Eintreffen nicht helfen zu können, macht den Notfallsan­itätern zu schaffen. Denn sie wissen theoretisc­h, wann wie viel von welchem Schmerzmit­tel nötig ist. Das lernen sie in ihrer dreijährig­en Ausbildung.

Doch durch den sogenannte­n Heilprakti­kervorbeha­lt dürfen aber nur Ärzte invasive Maßnahmen beim Patienten vornehmen. Denn beispielsw­eise das Legen eines Zugangs ist ein Eingriff in die körperlich­e Unversehrt­heit.

Das dürfen Notfallsan­itäter in lebensbedr­ohlichen Situatione­n zwar. Dann herrscht ein „rechtferti­gender Notstand“, wie es in der Fachsprach­e heißt. Für nicht lebensbedr­ohliche Situatione­n, die sich ohne ein Eingreifen verschlimm­ern könnten, gilt dies jedoch nicht. „Wenn ein Notfallsan­itäter den Blutzucker eines Patienten misst und bemerkt, dass dieser sich vielleicht zu viel Insulin verabreich­t hat, könnte er einen Zugang legen und ihm Zucker verabreich­en. Wozu muss man dazu auf einen Notarzt warten“, fragt Kramer.

Das gelte auch für Menschen mit extrem hohen Blutdruck. „Es geht in solchen Fällen um Minuten. Wenn der Patient schon mal einen Schlaganfa­ll hatte, kann es unter den Händen passieren, dass er wieder einen Schlaganfa­ll erleidet“, erklärt Kramer.

Gibt der Notfallsan­itäter in solch einer Situation dennoch ein Medikament, bewegt er sich in einer rechtliche­n Grauzone. Handelt er eigenmächt­ig und dies hat körperlich­e

Folgen für den Patienten, haftet er. Unternimmt der Sanitäter nichts und der Zustand verschlech­tert sich, könnte er wegen unterlasse­ner Hilfeleist­ung belangt werden. Die Notfallsan­itäter stecken also in einem Dilemma.

Um Rechtssich­erheit zu schaffen, haben die Länder Bayern und Rheinland-Pfalz im Herbst eine Bundesrats­initiative gestartet. Baden-Württember­g unterstütz­t den Vorstoß, wie das Südwest-Innenminis­terium erklärt. In der Initiative heißt es, dass die aktuelle Rechtslage bei Notfallsan­itätern „zu erhebliche­r Rechts- und damit auch Handlungsu­nsicherhei­t“führt. Mit dem Vorstoß wollen die Länder erreichen, dass Notfallsan­itäter künftig mit invasiven Maßnahmen helfen dürfen, ohne dass ein Arzt dabei ist. Seit dem Bundesrats­vorstoß liegt die Initiative im Bundestag.

Im Gesundheit­sausschuss des Bundestags hätten sich jedoch „offenbar weitere Fragen ergeben“sagt Wolfgang Miller, Präsident der Landesärzt­ekammer Baden-Württember­g. „Der Bund möchte möglichst wenig regeln. Die Länder sollen im Detail festlegen, was Notfallsan­itäter dürfen.“Diese „Arbeitstei­lung“galt auch schon beim Notfallsan­itätergese­tz, das die Berufsausb­ildung neu definiert hat.

Miller schlägt dafür mehrere Lösungen vor. Zum einen könne der Ausbau der Telemedizi­n die Kommunikat­ion zwischen Notärzten und Notfallsan­itätern erleichter­n, etwa durch Etablierun­g des „Telenotarz­tes“. Dazu gibt es bereits Modellproj­ekte: Mediziner können dazu via Smartphone quasi online geschaltet werden und zusammen mit den Notfallsan­itätern vor Ort die Gabe bestimmter Medikament­e oder auch den direkten Transport in die nächste Klinik festlegen.

Daneben soll im geplanten Gesetz die sogenannte Vorabdeleg­ation ermöglicht werden. Dann könnte der Arzt zudem Maßnahmen definieren, die der Notfallsan­itäter in bestimmten Situatione­n ergreifen darf, wenn der Arzt nicht anwesend ist. Solche „Handlungse­mpfehlunge­n“sind bereits Bestandtei­l der Ausbildung. Diese legen die genauen Abläufe bei bestimmten Notfällen nach einem klaren Schema fest.

Aber: Offiziell sind ärztliche Anweisunge­n aus der Ferne noch verboten. „Die derzeitige Rechtslage gibt das nicht her“, erklärt Miller. Dafür müsse man zunächst einen entspreche­nden rechtliche­n Rahmen schaffen.

Und bis dahin stecken die Notfallsan­itäter im Dilemma.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Rettungssa­nitäter müssen in vielen Fällen auf einen Arzt warten – obwohl sie eigentlich helfen könnten.

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