Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Lebensretter im Dilemma
Notfallsanitäter werden zum Helfen ausgebildet – dürfen es aber nicht immer
STUTTGART - Ein Patient ruft den Rettungswagen, die Notfallsanitäter sind kurz darauf vor Ort. Der Betroffene hat große Schmerzen. Mit einem Schmerzmittel helfen dürfen die ausgebildeten Rettungskräfte ihm nicht – denn sonst machen sie sich strafbar. Sie müssen dafür auf den Notarzt warten.
Wolfgang Kramer, Landesarzt des baden-württembergischen Landesverbands des Deutschen Roten Kreuzes, kennt solche Geschichten. Er erzählt von einem 13-Jährigen, der sich beim Fußballspielen den Arm gebrochen und unter großen Schmerzen gelitten habe. Obwohl die Notfallsanitäter schnell bei ihm gewesen seien, habe es 50 Minuten gedauert, bis auch ein Mediziner eingetroffen sei – der ihm dann die Arznei verabreicht habe.
„Wir erachten das als ein großes Problem“, sagt DRK-Mediziner Kramer. „Denn nicht immer kann ein Notarzt sofort zur Stelle sein.“Die Rechtsunsicherheit, bis zu seinem Eintreffen nicht helfen zu können, macht den Notfallsanitätern zu schaffen. Denn sie wissen theoretisch, wann wie viel von welchem Schmerzmittel nötig ist. Das lernen sie in ihrer dreijährigen Ausbildung.
Doch durch den sogenannten Heilpraktikervorbehalt dürfen aber nur Ärzte invasive Maßnahmen beim Patienten vornehmen. Denn beispielsweise das Legen eines Zugangs ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.
Das dürfen Notfallsanitäter in lebensbedrohlichen Situationen zwar. Dann herrscht ein „rechtfertigender Notstand“, wie es in der Fachsprache heißt. Für nicht lebensbedrohliche Situationen, die sich ohne ein Eingreifen verschlimmern könnten, gilt dies jedoch nicht. „Wenn ein Notfallsanitäter den Blutzucker eines Patienten misst und bemerkt, dass dieser sich vielleicht zu viel Insulin verabreicht hat, könnte er einen Zugang legen und ihm Zucker verabreichen. Wozu muss man dazu auf einen Notarzt warten“, fragt Kramer.
Das gelte auch für Menschen mit extrem hohen Blutdruck. „Es geht in solchen Fällen um Minuten. Wenn der Patient schon mal einen Schlaganfall hatte, kann es unter den Händen passieren, dass er wieder einen Schlaganfall erleidet“, erklärt Kramer.
Gibt der Notfallsanitäter in solch einer Situation dennoch ein Medikament, bewegt er sich in einer rechtlichen Grauzone. Handelt er eigenmächtig und dies hat körperliche
Folgen für den Patienten, haftet er. Unternimmt der Sanitäter nichts und der Zustand verschlechtert sich, könnte er wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden. Die Notfallsanitäter stecken also in einem Dilemma.
Um Rechtssicherheit zu schaffen, haben die Länder Bayern und Rheinland-Pfalz im Herbst eine Bundesratsinitiative gestartet. Baden-Württemberg unterstützt den Vorstoß, wie das Südwest-Innenministerium erklärt. In der Initiative heißt es, dass die aktuelle Rechtslage bei Notfallsanitätern „zu erheblicher Rechts- und damit auch Handlungsunsicherheit“führt. Mit dem Vorstoß wollen die Länder erreichen, dass Notfallsanitäter künftig mit invasiven Maßnahmen helfen dürfen, ohne dass ein Arzt dabei ist. Seit dem Bundesratsvorstoß liegt die Initiative im Bundestag.
Im Gesundheitsausschuss des Bundestags hätten sich jedoch „offenbar weitere Fragen ergeben“sagt Wolfgang Miller, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg. „Der Bund möchte möglichst wenig regeln. Die Länder sollen im Detail festlegen, was Notfallsanitäter dürfen.“Diese „Arbeitsteilung“galt auch schon beim Notfallsanitätergesetz, das die Berufsausbildung neu definiert hat.
Miller schlägt dafür mehrere Lösungen vor. Zum einen könne der Ausbau der Telemedizin die Kommunikation zwischen Notärzten und Notfallsanitätern erleichtern, etwa durch Etablierung des „Telenotarztes“. Dazu gibt es bereits Modellprojekte: Mediziner können dazu via Smartphone quasi online geschaltet werden und zusammen mit den Notfallsanitätern vor Ort die Gabe bestimmter Medikamente oder auch den direkten Transport in die nächste Klinik festlegen.
Daneben soll im geplanten Gesetz die sogenannte Vorabdelegation ermöglicht werden. Dann könnte der Arzt zudem Maßnahmen definieren, die der Notfallsanitäter in bestimmten Situationen ergreifen darf, wenn der Arzt nicht anwesend ist. Solche „Handlungsempfehlungen“sind bereits Bestandteil der Ausbildung. Diese legen die genauen Abläufe bei bestimmten Notfällen nach einem klaren Schema fest.
Aber: Offiziell sind ärztliche Anweisungen aus der Ferne noch verboten. „Die derzeitige Rechtslage gibt das nicht her“, erklärt Miller. Dafür müsse man zunächst einen entsprechenden rechtlichen Rahmen schaffen.
Und bis dahin stecken die Notfallsanitäter im Dilemma.